Leben im Alter: Wie Leih-Omas jungen Eltern im Alltag helfen
Nicht immer klappt es mit dem Wunsch, Enkel zu haben. Doch dem Großeltern-Glück kann man nachhelfen. Illertissen ist ein Beispiel, wo es funktioniert
Illertissen „Oma Gerti, Oma Gerti“ruft der zweijährige Anton, läuft so schnell er kann und streckt seine beiden Ärmchen Gerti Keßlinger entgegen. Wer nun in das Gesicht der 70-Jährigen blickt und beobachtet, wie sie den kleinen Blondschopf hoch hebt und an sich drückt, der sieht einfach nur Glück. Hier haben sich zwei gefunden. Nein vier. Schließlich hat Anton noch zwei Brüder und für Hannes und Jonas ist Gerti Keßlinger ebenso eine warmherzige Oma wie für Anton. Dass sie mit den dreien gar nicht verwandt ist, beeinträchtigt die innige Beziehung ganz offensichtlich gar nicht.
Und streng genommen haben sich sogar sechs Menschen gefunden. Das wird deutlich, wenn man der Mutter der drei aufgeweckten Buben zuhört, der Oberärztin Ute Fiedler. Sie, ihr Mann, die drei Buben und natürlich Oma Gerti sind froh, einander zu haben. Die 38-Jährige war es auch, die Keßlinger auf die Idee brachte, in Illertissen im Landkreis Neu-Ulm ein Projekt für Leihgroßeltern anzustoßen. Die Gynäkologin kannte solche Initiativen aus ihrer Heimat Niedersachsen. Als sie mit ihrem Mann und den beiden Buben nach Illertissen zog, erwartete sie gerade Anton. Um ein paar Leute an ihrem neuen Wohnort kennenzulernen und weil sie gerne strickt, ging sie einfach mal in den Strickkreis. Dort traf sie auf Gerti Keßlinger. Die Chemie zwischen den beiden Frauen stimmte vom ersten Augenblick an. Der Elan, dieses Engagement, das Keßlinger auszeichnet, gefiel Ute Fiedler. Keßlinger ist eine Macherin, die schon viele Projekte in der Stadt ins Leben gerufen hat, unter anderem auch eine Hospizgruppe. „Und sie war von Anfang an an meinem dicken Bauch interessiert“, erinnert sich Fiedler.
Der Gedanke, Leihoma zu sein, begeisterte Gerti Keßlinger. Sie und ihr Mann haben keine Enkel. Also machte sie in der Bürgerstiftung Illertissen, wo sie dem Stiftungsrat angehört, den Vorschlag, so etwas doch mal zu probieren. Mittlerweile ist dieses Ehrenamt ein Erfolg. Das bestätigt Margitta Häußler. Sie ist stellvertretende Stiftungsvorsitzende und Koordinatorin des Projekts. 18 Leihomas und Leihopas zählen sie aktuell und 16 Bedarfsfamilien. Das Alter der Leihgroßeltern reicht von 50 bis 70. Alle Leihgroßeltern sind versichert, falls wirklich mal ein Unfall passieren sollte. Dies übernimmt die Bürgerstiftung Illertissen, die Trägerin des Projektes. Margitta Häußler vermittelt die Leihgroßeltern zu den jeweiligen Familien oder Alleinerziehenden und bemüht sich, wie sie erzählt, dass beide Seiten zusammenpassen.
Doch wer stellt sich als Leihoma oder Leihopa überhaupt zur Verfügung und warum? Oft sind es Senioren wie Gerti Keßlinger, die keine eigenen Enkel haben, erzählt Margitta Häußler. Es sind aber auch leidenschaftliche Großeltern, deren eigene Enkel weit weg wohnen. Was sie verbindet: „Es sind alles Menschen, die Kindern eine hohe Wertschätzung gegenüberbringen, Herzenswärme“, betont Häußler und ergänzt: „Es ist eine Win-Win-Situation für beide Seiten.“
Das findet auch Ute Fiedler. Sie selbst hatte, wie sie erzählt, ein sehr enges Verhältnis zu ihren Großeltern. Und auch wenn ihre Eltern den weiten Weg für die Enkel regelmäßig auf sich nehmen, genießt sie es, vor Ort Oma Gerti zu haben, die auch kurzfristig und spontan kom- men kann. Ihr ist es wichtig, dass ihre Kinder einen Zugang zum Erfahrungsschatz der Älteren haben, erklärt sie. Dass sie aber auch von klein auf Respekt und Rücksichtnahme gegenüber Älteren lernen. Und sie weiß, dass ältere Menschen Kindern oft ganz anders zugewandt sind. Es entstehen meist besonders herzliche Verhältnisse. Das könne man mit dem Verhältnis zu einem Kindermädchen, das Familie Fiedler übrigens auch hat, in der Regel nicht vergleichen. Ein Kindermädchen versorge die Kinder. Eine Oma umsorge sie.
Dass auch die Leihomas und Leihopas aufleben, erlebt Margitta Häußler von der Bürgerstiftung. Sie ist beeindruckt, von welchen Erfahrungen die Ehrenamtlichen beim regelmäßigen Erfahrungsaustausch berichten. Wie tief die Beziehungen sind, wie sehr es viele genießen, auf diese Weise jung und „am Leben dran zu bleiben“. Eine Leihoma hat zu ihr gesagt: „Das kleine Mädchen habe ich sofort in mein Herz geschlossen.“So erging es Gerti Keßlinger mit Anton. „Als ich ihn noch im Kinderwagen spazieren fahren konnte, war ich so stolz als wäre es meiner.“Stolz ist sie noch heute. Auf alle drei Buben. Daher hat sie ihre Tischharfe eingepackt, als sie an diesem Nachmittag zu Familie Fiedler geht. Auf dem Instrument spielt Hannes so gerne. „Er hat ein großes musikalisches Talent“, sagt Gerti Keßlinger, strahlt und erzählt gleich, wie berührt sie immer ist, wenn einer oder gleich alle drei Buben bei ihr zu Hause vorbeischauen. „Oma Gerti, Oma Gerti ist dann schon von weitem zu hören.“