Wie der Siemens-Chef Deutschland stärken will
Die Welt steckt durch die Digitalisierung in der vierten industriellen Revolution. Kaeser will die Verlierer der Entwicklung nicht alleine lassen. Das kostet viel Geld
Siemens-Chef Joe Kaeser macht sich große Sorgen um die Zukunft Deutschlands. Dabei geht es ihm vorrangig nicht nur um Wirtschaft. Der 60-Jährige ist einer der wenigen deutschen Manager, der in ökonomisch-politischen Zusammenhängen denken kann. So fragt er: Was tun mit all den Globalisierungsverlierern, wenn die Digitalisierung als vierte industrielle Revolution immer mehr Bereiche des Arbeitslebens erfasst?
Wie sollen Firmen und Staat dann mit Beschäftigten umgehen, die mit dem Tempo des disruptiven Umbruchprozesses nicht mithalten können? Also jenen, die irgendwann daran scheitern, in immer kürzeren Abständen neue Fertigkeiten zu erlernen. Kaeser gibt darauf eine Antwort, die man sich so auch von politischen Spitzenleuten im Wahlkampf gewünscht hätte. Der Siemens-Chef hat nämlich erkannt, dass die Eliten in Deutschland sich mit den Ängsten der Menschen auseinandersetzen müssen. Die Erkenntnis ist wichtig, denn viele Bürger fühlen sich abgehängt, verunsichert und vor allem nicht ernst genommen. Ob Digitalisierung, Globalisierung oder Zuwanderung: Was für urbane Eliten eine positive tägliche Lebenswirklichkeit ist, löst bei anderen Irritationen aus. Auch deshalb haben viele rechtspopulistisch gewählt.
Kaeser fordert deshalb die Politik auf, den wirtschaftlichen Transformationsprozess sorgfältiger zu erklären. Kanzlerin Angela Merkel versucht das immer wieder. Doch das Thema ist kompliziert. Es lässt sich schwer erklären, welche politische Konsequenzen aus der Beschleunigung unseres Lebens durch die Welt unbegrenzter Kommunikationsmöglichkeiten zu ziehen sind. Der Siemens-Chef traut sich. Denjenigen, die trotz bester Bemühungen, Umschulungen und Förderungen nicht mithalten können, will er eine Art Grundversorgung für das Alter gewähren. „Damit sie nicht herunterfallen“, sagt er im Globalisierungsverlierer, die mit 60 im Job nicht mehr mithalten können, würden vom Staat finanziell aufgefangen, damit sie nicht zu Wutbürgern werden. Ist das nicht eine allzu naive Idee? Lässt sich mit Staatsknete wirklich wieder erstarkendem Nationalismus entgegenwirken? Und wer zahlt das Populismus-Trockenlegungsprogramm? Die deutschen Konzerne etwa?
Soweit geht Kaeser nicht. Siemens ist schließlich eine auf Rendite ausgerichtete Aktiengesellschaft und kein gesellschaftlicher Reparaturbetrieb. Doch der Manager drückt sich nicht um die Frage der Finanzierung seines Demokratie-Stärkungskonzepts. Dabei macht er einen charmanten Vorschlag: Wenn das Steueraufkommen nicht reicht, um Digitalisierungsopfer aufzufangen, müsse die Frage gestellt werden, welchen gesellschaftlichen Wert ein Unternehmen erbringt. Ein Konzern wie Siemens, der zigtausende Arbeitsplätze sichert, sei anders zu bewerten als „ wenn ein paar hochintelligente Hedgefonds-Manager durch geniale Modelle für sich und ihre vermögenden Investoren Milliarden verdienen“. Kaeser will diese „Heuschrecken“, wie Ex-SPDChef Franz Müntefering die GeldAkrobaten nannte, wesentlich höher besteuern als andere Unternehmen, die etwa Züge herstellen.
Das wird allerdings schwer. Denn schon heute entziehen sich die globalen Glücksritter wie im Übrigen auch viele US-Internetkonzerne (Amazon, Apple) trickreich ihrer Steuerpflicht. Auch wenn es gelingen sollte, die Gewinner der Globalisierung etwas stärker zur Kasse zu beten, reicht das nicht, die Verlierer der Globalisierung aufzufangen. Am Ende müssen auch Konzerne wie Siemens einen höheren finanziellen Beitrag als bisher leisten, um den Frieden in der Gesellschaft aufrecht zu erhalten.