Strampeln für gute Noten
Ein Fahrrad im Klassenzimmer? Welche Erfahrungen zwei Schulen in Augsburg und Aschaffenburg damit gemacht haben und was die Schüler von der Idee halten
Aschaffenburg/Augsburg Zweite Stunde. Deutsch. Die elfjährige Amelie Pabst holt Schreibheft und Stifte aus dem Rucksack und legt alles vor sich auf den Tisch. Klassenlehrer Stefan Megerle erklärt, was die Fünftklässler tun sollen und schreibt Stichpunkte an die Tafel. Amelie hört aufmerksam zu – und tritt dabei langsam in die Pedale. Die Schülerin sitzt auf einem Fahrrad. So wie die beiden Jungs neben ihr. Die drei haben die aktuelle „Ergometer-Schicht“. Die Klasse 5a des Friedrich-Dessauer-Gymnasiums in Aschaffenburg ist der Mittelpunkt eines Pilotprojektes. Schulleiter Michael Lummel wollte damit vor allem eines erreichen: bessere Noten, gesündere Schüler und ein gutes Klassenklima. Dafür radeln die Kinder seit Schuljahresbeginn jeweils eine Unterrichtsstunde am Tag auf einem der Ergometer im hinteren Teil des Klassenzimmers. Langsam, damit der Puls nicht mehr als 100 Schläge pro Minute erreicht. Die
Eine Strecke bis nach Russland geradelt
Räder sind Spezialanfertigungen mit Schreibpulten. „Eine Strecke bis weit nach Russland rein sind die Schüler schon geradelt“, sagt Lummel.
Die Ergometerklasse ist eines von mehreren Projekten, die das Gymnasium und damit die Schüler nach vorn bringen sollen. Dabei setzt Schulleiter Lummel ausschließlich auf Versuche, die bereits wissenschaftlich ausgewertet wurden und die schulische Leistung der Kinder und Jugendlichen gesteigert haben. Effektstärke ist der wissenschaftliche Begriff dafür, den der neuseeländische Bildungsforscher John Hattie in die pädagogische Welt gebracht hat. Das Gymnasium hat eine sehr gemischte Schülerschaft. Viele bildungsferne Elternhäuser, fast ein Viertel der etwa 1300 Kinder haben ausländische Wurzeln. Seit Lummel auf die Forschung setzt, hat sich spürbar was bewegt: „Wir haben die unserer Schüler in den vergangenen Jahren mehr als halbiert und liegen inzwischen weit unter dem bayerischen Durchschnitt.“Die leichte und stetige Bewegung beim Lernen fördert Konzentrationsfähigkeit, Klassenklima und Gesundheit.
Das sieht auch Britta Siemer so, Schulleiterin der Löweneckschule im Augsburger Stadtteil Oberhausen. Auch dort wird im Klassenzimmer gestrampelt. Die Räder stehen in den fünf Ganztagsklassen – und weil das Projekt bisher ein großer Erfolg war, bleiben sie auch dort. „Das ist eine gute, sinnvolle Sache. Die Schüler machen das gerne“, sagt sie. Und nicht nur die Schüler finden Gefallen an der Bewegung im Unterricht. Auch für die Lehrer sei das ein guter Weg, mit Kindern zu arbeiten, die sich nicht mehr konzentrieren können. „Wir sagen dann: ,Komm, geh mal aufs Rad‘.“Das Strampeln falle im Unterricht überhaupt nicht auf. „Die Räder sind so leise, dass die Lehrer nicht gestört werden“, sagt Schulleiterin Siemer. Allerdings gebe es auch AusnahDurchfallquote men. Nicht immer sei der Einsatz der Hometrainer sinnvoll – etwa dann, wenn in Mathematik etwas Neues eingeführt wird.
Auch am Friedrich-DessauerGymnasium in Aschaffenburg ist man von den Rädern begeistert – auf Lehrer- und auf Schülerseite. Amelie hat eine eindeutige Meinung: „Ich merke schon, dass ich besser mitmache, wenn ich auf dem Rad sitze. Schon allein, weil ich vorne mehr mit meinen Tischnachbarn reden würde. Das geht hier hinten gar nicht.“