Die Frage der Woche Oben ohne im Büro?
Eigentlich ja schade um den knuffigen Anblick all der jungen Männer, die von ihren Müttern noch modische Krawatten zu den Plastikanzügen umgebunden bekommen, damit sie in der Ausbildung bloß irgendwie den gefordert seriösen und zugleich modischen Eindruck machen. Der ewige Tupfen-, Streifen- und MotivFasching an Bankschaltern und in Büros war ein feiner, heiterer Nebeneffekt dieser männlichen Uniformierung – und soll nun Vergangenheit sein?
Abschied vom obligatorisch um den Hemdkragen geknoteten Stück Stoff? Genau. Denn (Achtung, Satz mit Seltenheitswert): Die Top-Manager haben recht! Wenn auch sie immer öfter oben ohne unterwegs sind, ist das eben kein Zeichen von Sitten- oder Stilverfall. Sondern die Lösung eines längst nicht nur unzeitgemäß sondern auch sinnlos gewordenen Zwangs.
Lassen wir die ganzen kulturhistorischen Verwicklungen und Wechselspiele, die tatsächlich viel mit Uniformierung und durchaus fragwürdiger Symbolik zu tun haben, mal beiseite, dann bleibt: Männer wirken nicht automatisch seriöser, nur weil sie Krawatte tragen (man beachte den Beiklang des Wortes „Schlipsträger“); und Männer sind nicht automatisch besser angezogen, nur weil sie Krawatte tragen. Vor allem in Gruppen mit Schlipsverordnung. Sind die Krawatten erträglich, wirken Büromänner bloß genormter – sind sie es nicht (wie in Deutschland allzu oft), wirken sie bloß alberner und zugleich in die Haltung des geschlossenen Kragens gepresst. Denn tatsächlich zwingen die Dinger ja dazu und sind immer wieder im Weg. Mögen heute die Hipster ihre Schlipse anlegen, für die Allgemeinheit gelte: Freiheit den obersten Hemdknöpfen. Vielleicht investieren dann manche Herren ja auch das Gesparte in bessere Anzüge.
Also es ist ja gerade so, dass niemand mehr Krawatte trägt, weder die Kollegen, noch der Abteilungsleiter, nicht einmal der Geschäftsführer. Wenn selbst die Vorstandsvorsitzenden der großen Aktienunternehmen das edle Stück im täglichen Gebrauch ausrangiert haben, dann muss man erst einmal festhalten: Casual friday is everyday, man lässt es jetzt einfach jeden Tag lockerer angehen und der Hemdkragen bleibt offen. Lässig und bequem muss auch das Büroleben sein.
Der Krawatte hätte jedoch nichts Besseres passieren können. Was natürlich nicht heißen soll, dass weiße Männerbeine in kurzen Hosen, dass zu lange Zehennägel in Sandalen, dass eng sitzende T-Shirts über dem deutlichen Bauchansatz ein optischer Mehrgewinn wären, der sich nun aus der neuen Bürofreiheit ergibt. Das bestimmt nicht. Aber der gesellschaftliche Druck, die Krawatte nur zu tragen, weil es alle anderen auch machen, ist weg. Damit wird die Rückkopplung ausgehebelt, das Unbehagen an gesellschaftlichen Zwängen einfach direkt auf das zugehörige Kleidungsstück zu übertragen. Die Krawatte war unschuldig, diejenigen, die sie getragen haben, haben daraus einen Fetisch gemacht. Wer heute Krawatte trägt, der macht das nicht, um dazuzugehören. Das Gegenteil ist der Fall. Er wirkt wie jemand, der aus der Zeit gefallen ist. Aber so fühlt sich jeder, der seine Wege auch gegen den Trend geht. Wer heute Krawatte trägt, leistet Pionierarbeit für ein Kleidungsstück, das in Misskredit gebracht worden ist. Und welche Kleidungsstücke in der Männermode gibt es jenseits der Krawatte denn noch, deren einzige Bestimmung es ist, den Mann zu schmücken? Nicht viel. Also, jetzt antizyklisch einsteigen und an jedem Wochentag einen anderen Knoten binden, dann wird es nicht langweilig.