Mit der Zauberwatte gegen die Ölpest
Der Friedberger Chemiker Ernst Krendlinger ist in Venedig mit dem Europäischen Erfinderpreis ausgezeichnet worden. Er hat eine Methode entwickelt, um mit Öl verseuchtes Wasser zu reinigen. Welche Rolle dabei der Zufall spielte
Friedberg/Venedig Es sind erschütternde Bilder, wenn sich riesige Ölfelder im Meer verteilen und die klebrige, schwarze Masse ganze Strände verseucht, Pflanzen und Tiere vernichtet und Menschen die Lebensgrundlage raubt. Bisher gab es kaum Möglichkeiten, eine Ölkatastrophe einzudämmen. Doch der Chemiker Ernst Krendlinger hat eine Methode entwickelt, um ausgelaufenes Öl rückstandlos aus Wasser zu entfernen. Die Erfindung: eine Watte aus Wachs, die Öl an sich bindet. Dafür erhielt der Friedberger mit seinem Chef Günter Hufschmid den Europäischen Erfinderpreis.
Dabei war die Entdeckung der Watte eher ein Zufall, wie Krendlinger in einem Interview mit unserer Zeitung erklärte, bevor seine Erfindung für den „Oscar der Tüftler“nominiert wurde. Eigentlich wollte die Chemiefirma Deurex in Zeitz in Sachsen-Anhalt, bei der er als Entwicklungsleiter arbeitet, ein neues Wachs herstellen. Doch einem Mitarbeiter waren bei einem Versuch Fehler unterlaufen. Ergebnis: eine ganze Produktionshalle voll mit vermeintlich unnützer Watte. Das war 2011. Um das Material nicht wegwerfen zu müssen, begann Krendlinger zu experimentieren. Die passende Inspiration lieferte die Havarie der Deepwater-Horizon-Ölplattform, bei der Millionen Barrel Öl in den Golf von Mexiko flossen. Die Deurex-Tüftler stellten fest, dass die Watte eine geniale Eigenschaft besitzt: Sie kann Öl und andere Chemikalien an sich binden. Legt man sie in öliges Wasser, saugt sie das Öl auf. Zurück bleibt sauberes Wasser. Dank ihrer geringen Dichte schwimmt die Watte immer an der Wasseroberfläche. Selbst wenn sie viel Öl aufgenommen hat – bis zum Siebenfachen ihres Eigengewichts.
Für den 61-Jährigen, der vor seinem Wechsel zu Deurex 15 Jahre als Abteilungsleiter bei Clariant in Gersthofen arbeite, war das eine bahnbrechende Entdeckung. Doch ein Patent zu bekommen, war nicht einfach: „Am Anfang hat uns keiner geglaubt und uns abgelehnt“, so Krendlinger. „Erst als ich in München und in Den Haag vorstellig geworden bin und die Wirkung gezeigt habe, hat man uns geglaubt.“
Und dann ging alles recht schnell. Die Firma bekam ein Patent und seit 2014 ist die weiße Wachswatte „Pure“auf dem Markt. Es folgte die Nominierung für den Erfinderpreis 2017 in der Kategorie „Kleine und mittelständische Unternehmen“. Und nun die feierliche Verleihung am Feiertag im Arsenale in Venedig vor rund 600 Gästen: Zusammen mit Produktmanager Steffen Remdt nahm Krendlinger den Preis aus der Hand von Jesper Kongstad, dem Verwaltungsratschef der Europäischen Patent Organisation, entgegen. Eine Jury hatte die Preisträger in fünf Kategorien aus 450 Vorschlägen ausgewählt.
Dass die fädrig-fluffige Substanz funktioniert, hat das Unternehmen schon mehrfach unter Beweis gestellt. So kam sie 2013 beim ElbeHochwasser zum Einsatz. Dabei wurde das Wasser von ausgelaufenem Heizöl befreit, bevor die Feuerwehr es abpumpte. In Kenia wurde ein See damit gereinigt und auch im Delta des verschmutzten Niger fand die Watte Anwendung, um das verseuchte Wasser zu reinigen. Die Umweltorganisation „One Earth, One Ocean“nutzt die „Zauberwatte“immer wieder, um Ölteppiche aus den Weltmeeren zu fischen.
Krendlinger, der auch die Fußball-Abteilung des TSV Neusäß leitet, sieht den großen Vorteil vor allem in der rückstandslosen Reinigung. Denn anders als bei chemischen Verfahren hinterlässt die Watte keinerlei Spuren. In netzartigen Schläuche verpackt kann sie auch auf rauer See angewandt werden. Und das Allerbeste daran: Sie kann wie ein Schwamm ausgewrungen und wiederverwendet werden. Und das Geschäft läuft gut. Laut Torsten Rödiger vom Marketing der Firma kann Deurex bis zu 700 Tonnen der Zauberwatte im Jahr produzieren. Zudem werde die Zahl der Mitarbeiter von derzeit 22 weiter steigen. Der Europäische Erfinderpreis, der seit 2006 jährlich vom Europäischen Patentamt verliehen wird, ist ein weiterer Schritt in der Erfolgsgeschichte der Watte. „Es ist uns eine Ehre“, betont Rödiger. „Diesen Preis bekommt man nicht einfach so.“
Für Krendlinger, der gestern telefonisch nicht erreichbar war, ist es derweil immer noch ein kleines Rätsel, wie die Watte im Detail „funktioniert“. Wichtig ist aber erst mal nur, dass sie es tut. »Kommentar