Stolpersteine rühren Angehörige zu Tränen
Nach jahrelanger Diskussion wurden die ersten Gedenksteine und Erinnerungsbänder für NS-Opfer mitten in Augsburg angebracht. Warum das für die Familien so wichtig ist und eine 86-Jährige einen Wunsch hat
Für die Angehörigen war es, als ob ihre Familien nach Hause zurückkehren dürfen. „Sie bekommen wieder ihren Platz in der Stadt“, sagte Josef Pröll, dessen Großvater Karl Nolan Opfer des Nazi-Regimes war. Gestern wurden in Augsburg die ersten zwölf Stolpersteine auf öffentlichem Grund verlegt und auch zwei Erinnerungsbänder angebracht.
Als der Kölner Künstler Gunter Demnig in der Maximilianstraße 17 vor der Burger-King-Filiale die ersten Stolpersteine einsetzte, war er von etlichen Menschen umringt. In dem Haus betrieben einst Eugen und Emma Oberdorfer eine Schirmfabrik. Schülerinnen des MariaTheresia-Gymnasiums lasen über Mikrofon die Biografien der Opfer vor. Demnach wurde das Geschäft von den Nationalsozialisten enteignet. Das jüdische Ehepaar Oberdorfer wurde nach Auschwitz deportiert und ermordet. Enkelin Miriam Friedmann brachte Blumensträuße mit in die Maxstraße. „Ich bin sehr froh, dass endlich meiner Großeltern gedacht wird. Mit den Stolpersteinen bekommen sie ein Gesicht.“Angehörige weiterer NS-Opfer empfanden ähnlich. Sie alle zeigten sich sehr bewegt. Für sie war nach der jahrelangen Debatte das Verlegen der Stolpersteine etwas ganz Besonderes. Für zehn weitere Augsburger Opfer des Nazi-Regimes wurden die mit Messing beschichteten Steine an den Orten eingelassen, wo ihr letztes Zuhause beziehungsweise ihr Geschäft war.
Wie etwa auch am Martin-Luther-Platz 5 in der Fußgängerzone. Wo jetzt die Kreissparkasse ihre Filiale hat, besaß die Familie Friedmann eine Wäschefabrik. Vor der Bank brauchten Demnig und ein Mitarbeiter des Tiefbauamtes viel Zeit, um das Pflaster aufzubrechen. Dabei entstand so viel Staub, dass dieser in der Bank einen Feueralarm auslöste. Die Berufsfeuerwehr rückte an, aber schnell wieder ab.
Schüler, Angehörige, interessierte Augsburger und Mitglieder der Stolperstein-Initiative zogen von Ort zu Ort in der Stadt mit. Auffallend war, dass Vertreter der Stadt fehlten. „Das spricht für sich“, fand Thomas Hacker von der Stolper- Vonseiten der Stadt hieß es, dass die jeweiligen Initiativen, Opfer und Angehörigen im Vordergrund stehen sollten. Man wolle nicht, „dass durch die Anwesenheit offizieller Repräsentanten unterschiedliche Wertigkeiten in die beiden Erinnerungsformate, interpretiert werden könnten“. Bürgermeister Stefan Kiefer sei beim Auftakt am Abend zuvor dabei gewesen.
Acht von 20 beantragten Stolpersteinen waren von der Stadt im Vorfeld nicht genehmigt worden, unter anderem weil diese Opfer das Jahr 1945 überlebt hatten. Künstler Demnig zeigte sich unbeeindruckt. Dort, wo Stolpersteine abgelehnt waren, brachte er sogenannte Platzhalter an. Steine, die noch keine Messingbeschichtung mit Inschrift haben. „Es ist seit 25 Jahren mein Konzept, dass Opfer-Familien zusammengeführt werden. Und dann schmeißt es die Stadt um, ohne einmal zu fragen.“Demnig hat schon tausende Stolpersteine in Europa verlegt. Aber so etwas habe er noch nicht erlebt. Platzhaltersteine gab es etwa im Fall der Familie Lossa, die einst in der Wertachstraße 1 wohnte. Heute steht hier das Modehaus Jung. Für Vater Christian und Sohn Ernst Lossa, die den NS-Gräueltaten zum Opfer fielen, wurden zwei Stolpersteine eingelassen. Hinzu kamen vier Platzhalter-Steine. Drei davon für weitere tote Angehörige. Einer ist für die inzwischen 86-jährige Amalie Speidel gedacht. Die Schwester Ernst Lossas, die im Rollstuhl sitzt, war aus Baden-Würtstein-Initiative. temberg angereist. Unter Tränen hielt sie eine Rede für Vater und Bruder. Sie bat: „Ich wünsche mir auch einen Stolperstein.“
Bewegende Momente gab es auch, als „Erinnerungsbänder“für weitere NS-Opfer angebracht wurden. Sie sind eine Alternative für Stolpersteine. An die Sinti-Familie Reinhardt erinnert nun eine Gedenkmanschette aus Metall in der Donauwörther Straße 90. Angela Bachmair von der Erinnerungswerkstatt ging auf das Schicksal von Franz, Maria, Ferdinand und Marie Reinhardt ein. Nach vielen Repressalien im KZ starben sie dort oder verschwanden spurlos. Pate für das Erinnerungszeichen war der Regionalverband Deutscher Sinti und Roma. „Wir dürfen den Holocaust nicht vergessen und müssen Aufklärungsarbeit leisten“, sagte Vorsitzende Marcella Reinhardt. Sinti hätten bis heute unter Ausgrenzung zu leiden. Ein weiteres Erinnerungsband in der Stadtbachstraße 9 ist Josef Prantl gewidmet. Wegen Widerstands gegen den Krieg wurde er hingerichtet. »Kommentar u. S. 35