Ein Wäschekorb voller Publikationen
Die Augsburger Brechtforschungsstätte gibt es seit 25 Jahren. So lange bekleidet Jürgen Hillesheim die Stelle. Die Liste mit seinen Veröffentlichungen ist lang. In der Fachwelt hat er sich einen hervorragenden Ruf erarbeitet
Am Anfang stand ein Ankauf, als die Staats- und Stadtbibliothek Augsburg unter ihrem Leiter Helmut Gier den Nachlass von Walter Brecht erwarb und dadurch auf einen Schlag ihre Brecht-Sammlung um bedeutende Unikate erweiterte. Das war Ende der 1980er Jahre. Aber was ist eine Sammlung wert, die nicht in die Hände genommen, die nicht erforscht wird? Also entschloss sich die Stadt Augsburg damals auch noch zu einer weiteren Ausgabe: Sie spendierte der Staatsund Stadtbibliothek eine Brechtforschungsstätte.
Heute – 25 Jahre und ein paar Monate später – zeigt sich, wie folgenreich diese Entscheidung war. Denn mit Jürgen Hillesheim verpflichtete die Bibliothek am 1. Oktober 1991 einen jungen Wissenschaftler, der sich zwar mit Brechts Werk noch nicht intensiver beschäftigt hatte, dafür aber umso gewillter war, sich an die Erforschung der Sammlung zu machen. Es wäre an dieser Stelle tatsächlich uferlos, alles aufzuzählen, was in den vergangenen Jahren von Jürgen Hillesheim, dem Leiter der Brechtforschungsstätte, veröffentlicht worden ist: fast 100 Aufsätze, 20 Monografien, elf Bücher als Herausgeber und mehr als 100 Zeitungsartikel – ein großer Anteil davon in dieser Zeitung.
Grundlage für das alles war die Sammlung, wie Hillesheim heute erzählt. „Die wissenschaftlichen Kontakte standen damals noch bei Null“, sagt der Brechtforscher, der 1961 in Koblenz geboren ist. Heute das anders aus. Jürgen Hillesheim steht in sehr engem Kontakt mit dem Brechtarchiv in Berlin, wirkt als Unterstützter und Förderer des Brechtzentrums der IvanFranko-Universität in Zhytomyr (Ukraine), ist Mitherausgeber des Brecht-Jahrbuchs und Herausgeber der Buchreihe „Brecht – Werk und Kontext“.
Als eines der wichtigsten Forschungsergebnisse bezeichnet Hillesheim selbst die Wiederentdeckung einer verschollen geglaubten Ausgabe der „Ernte“, die Schülerzeitung, die Brecht am Peutinger Gymnasium von September 1913 bis Februar 1914 ins Leben gerufen hatte. Auf einem Dachboden in England wurde in den 1990er Jahren ein kompletter Satz mit allen sechs Ausgaben gefunden, darunter ein völlig unbekanntes Heft.
Auch einige amüsante Anekdoten ranken sich um die Brechtforschungsstätte – etwa jene, als vor ein paar Jahren die damalige SPDStadtratsfraktion wissen wollte, was die Augsburger Brechtforschungsstätte macht. Es wird kolportiert, dass Jürgen Hillesheim daraufhin mit einem Wäschekorb voller eigener Publikationen die Fraktion aufsuchte – woraufhin sich Staunen einstellte.
Fragt man zum Beispiel Augsburger Kulturreferent Thomas Weitzel, was er von der Brechtforschungsschaut stätte denkt, ist er voll des Lobs. In der Stadt habe sich in der Welt der Brechtforschung ein Ansprechpartner entwickelt, der nicht mehr wegzudenken sei. Durch die Tätigkeit der Brechtforschungsstätte sei es gelungen, neben dem Brecht-Archiv in Berlin, die zweitgrößte Brechtsammlung aufzubauen. „Im Dreiklang mit dem Brechtfestival und den Veranstaltungen im Brechthaus bildet die kontinuierliche Arbeit der Forschungsstätte den Sockel für die Profilierung der Brechtstadt Augsburg“, sagt Weitzel.
Auch die Zusammenarbeit der Brechtforschungsstätte mit der Universität Augsburg ist eng. Professor Mathias Mayer, Literaturwissenschaftler an der Universität, sagt, dass die Brechtforschungsstätte in mehrfacher Hinsicht eine wichtige Schaltstelle sei. „Brecht wird in Augsburg erforscht, gleichzeitig wird die Forschung von Augsburg aus bereichert“, sagt Mayer. Und die Universität sei auch froh, eng mit Jürgen Hillesheim zusammenarbeiten zu können.
Wie bei einem Geschwisterpaar sieht Erdmut Wizisla, der Leiter des Brecht-Archivs in Berlin, das Verhältnis der Berliner und der Augsburger Institutionen. Wobei er dem Berliner Brecht-Archiv die Rolle des älteren Parts zuschreibt, weil dort der Brecht-Nachlass aufbewahrt werde. „Wir sehen die Arbeit der Brechtforschungsstätte in Augsburg mit großer Sympathie. Ich staune über die Effizienz der Arbeit und über die Publikationsfreudigkeit von Jürgen Hillesheim. Das ist beeindruckend“, sagt Wizisla. Und er betont, dass es ein großes Verdienst der Augsburger Brechtforschungsstätte sei, Brechts Augsburger Jahre als eine eigenständige Phase im Werk herauszuarbeiten. Dabei sei es Jürgen Hillesheim gelungen, Brechts Werk nicht nur literaturwissenschaftlich, sondern in einem geistesgeschichtlichen Kontext einzuordnen.
Den wissenschaftlichen Gepflogenheiten gemäß wird nun auch das 25-jährige Bestehen der Brechtforschungsstätte gefeiert – mit einem zweitägigen Kongress am 6. und 7. März im Brechthaus. Eingebunden ist der Kongress in das diesjährige Brechtfestival, das vom 3. bis 12. März stattfindet.