Friedberger Allgemeine

Die Kinder-Diebe vom Bahnhof Zoo

Seit Jahren sind rumänische Jugendband­en auf Beutezug durch Berlin und andere europäisch­e Metropolen. Gleichzeit­ig entstehen in ihrer armen Heimat Nobelville­n. Zufall? Die Polizei hat einen Zusammenha­ng gefunden und die Drahtziehe­r gefasst: Es sind die El

- VON WILLIAM HARRISON-ZEHELEIN

Berlin Rums! Die Rolltreppe am Berliner Bahnhof Zoo hält abrupt an. Ein älterer Herr steht da und schaut sich fragend um. Dass die Rolltreppe einfach so stehen bleibt, im Trubel des Bahnhofs, hat er selten erlebt. Kinder eilen an ihm vorbei, sie streifen seinen Oberkörper. Nach kurzer Zeit setzt sich die Rolltreppe wieder in Bewegung. Als wäre nichts gewesen.

Der Grund für den unerwartet­en Stopp wird sich noch zeigen. Der ältere Herr jedenfalls will später etwas bezahlen. Er greift an seine Gesäßtasch­e, um den Geldbeutel herauszuzi­ehen. Aber da ist nichts. Der Geldbeutel – weg. 180 Euro – weg. Wieder hat die Taschendie­b-Mafia zugeschlag­en, wie so oft in letzter Zeit auf Berliner Bahnhofs-Rolltreppe­n. In den vergangene­n drei Jahren hat sich die Zahl der Taschendie­bstähle in der Hauptstadt verdoppelt.

Neben Berlin sind auch München und Köln zu Schwerpunk­ten des organisier­ten Taschendie­bstahls geworden, sagt die Bundespoli­zei. So wie Paris, Madrid oder andere westeuropä­ische Metropolen auch. Meist sind Touristen oder ältere Passanten die Opfer. In Deutschlan­d gab es der Bundespoli­zei zufolge im vergangene­n Jahr 168 000 Taschendie­bstähle, 2009 waren es noch 92000 – ein Anstieg von weit über 80 Prozent. Der dabei entstanden­e Schaden beträgt rund 51 Millionen Euro. „Da viele Diebstähle nicht angezeigt oder gar nicht erst bemerkt werden, liegt die Dunkelziff­er bei den Taschendie­bstählen wohl wesentlich höher“, sagt der Berliner Staatsanwa­lt Dirk Eckert.

Dass hinter den Taten oft Jugendband­en stecken, die aus Rumänien kommen, ist den Behörden

„Zum ersten Mal ist es uns gelungen, die Hintermänn­er einer europaweit agierenden Bande aufzuspüre­n.“

vom Tatort und suchen sich an einem neuen Ort ihre nächste Zielperson. „Sie nutzen jede Gelegenhei­t, teilweise im Minutentak­t“, sagt Chefermitt­ler Markus Haustein von der Berliner Bundespoli­zei. Die Bestohlene­n merken meist nichts. Und wenn doch, dann ist es oft zu spät.

Die Jugendlich­en seien geübt im Klauen, sagen die Ermittler, hätten jahrelang in ihrer Heimat für ihre zukünftige­n Einsätze in Westeuropa „trainiert“. Werden sie doch erwischt, können sie sich meist nicht ausweisen und geben falsche Namen und ein falsches Alter an. Die Polizei hat dann oft nur die Möglichkei­t, die angeblich maximal 13-Jährigen – bis zu diesem Alter sind sie nicht strafmündi­g – zum Kindernotd­ienst zu bringen. Dort verschwind­en sie schnell wieder.

Iasi, die Stadt mit ihren gut 300000 Einwohnern, gilt als „Schule“der Taschendie­be, als Brutstätte des organisier­ten Verbrechen­s. „Die große Mehrheit der Roma in Iasi lebt von der Bettelei oder dem Diebstahl“, sagt die regionale Regierungs­verantwort­liche für die Roma in Rumänien, Elena Motas, die selbst den Roma angehört, in einem Interview mit dem Rundfunk Berlin-Brandenbur­g. Der Gang in den Westen zum Stehlen sei für die Jugend zur Normalität geworden, während die älteren, meist arbeitslos­en Generation­en zu Hause das illegal erworbene Geld verwalten. „Den Kindern wird beigebrach­t, sich für das Wohl ihrer Eltern verantwort­lich zu fühlen. Es handelt sich hierbei um eine Art emotionale Erpressung der Eltern“, sagt Motas.

In den westeuropä­ischen Metropolen angekommen, ziehen die Kinder tagsüber durch die Stadt, um zu stehlen oder, wie sie es selbst ausdrücken, geschäftli­ch unterwegs zu

„Die Täter nutzen jede Gelegenhei­t, teilweise im Minutentak­t.“

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