On the road again
Spritschleuder, Luftverpester und Ps-schlitten – Autofahren hat in vielerlei Hinsicht keinen guten Ruf. Schade eigentlich, findet unsere Autorin Katja Klementz. Denn hin und wieder setzt sie sich ganz bewusst ins Auto: um zu entschleunigen …
Für unsere Autorin fühlt sich eine gute Autofahrt ein bisschen wie ein Besuch im Kloster an
Niemals werde ich vergessen, wie ich mit Mitte zwanzig alleine im Auto durch Andalusien fuhr. Ich war beruflich in Marbella und konnte die Reise um ein paar Tage privat verlängern. Ich wollte über Ronda und Granada in die Küstenstadt Nerja fahren, wo ein Freund mir sein Apartment zur Verfügung gestellt hatte. Also mietete ich mir ein kleines Auto und fuhr los. Im ersten Kreisverkehr mit Hupen, Stau und nicht nachvollziehbaren Vorfahrtsregeln habe ich mich schon gefragt, warum ich mir diesen Stress eigentlich antue und nicht mit einem Drink in der Hand an einem Hotelpool liege. Aber kurz hinter der Stadtgrenze, mit Justin Timberlake im Ohr, änderte sich meine Stimmung: Mich packte das Gefühl von Freiheit. Ich gab Gas und fühlte mich wie in einem Roadmovie – der leider nur in diesem völlig uncoolen Mietwagen spielte. Egal, ich zuckelte über die hügelige Landschaft und sang mit Justin im Duett „Let’s take a ride on the countryside“. In Ronda bin ich dann tatsächlich gar nicht ausgestiegen, obwohl ich immer allen erzählt hatte, wie sehr mich die Hemingwaystadt über der Schlucht von El Tajo interessiert. Hinterm Steuer in meiner kleinen Reisekapsel habe ich mich extrem wohlgefühlt und die atemberaubende Brücke kann man echt gut vom Auto aus besichtigen. Weiter ging es nach Granada, wo ich dann tatsächlich das Auto verließ, aber nur, um einmal durch die Alhambra zu laufen.
Schließlich bin ich die gesamte Costa Tropical abgefahren und habe es geliebt, die Küstenstraße mit Blick aufs Meer entlangzucruisen und Gummibärchen zu essen. Inzwischen war ich auf spanische Rosario-flores-songs umgestiegen. Es war mein erster Roadtrip mit mir ganz alleine. Auf dieser Reise konnte ich wunderbar nachdenken. Auch über unangenehme Dinge. Zum Beispiel über meinen Freund, der damals nicht spontan genug war, mich auf den Trip zu begleiten. War vielleicht besser so. Mir wurde klar, dass er sich über den lahmen Wagen beschwert, auf warme Mahlzeiten bestanden und mit mir über meine Musikauswahl diskutiert hätte. Er wäre auch im Kreisverkehr keine Hilfe gewesen. Als ich nach Hause kam, habe ich Schluss gemacht, eine wirklich gute Entscheidung. Und ich bin überzeugt: Das lag definitiv daran, dass ich so lang hinterm Steuer saß, am Hotelpool hätte ich nicht so intensiv in mich gehen können.
AUF DER LANGWEILIGSTEN AUTOBAHN DEUTSCHLANDS KOMMEN MIR DIE GUTEN GEDANKEN
Manchmal ist Autofahren für mich wie der Aufenthalt in einem mobilen Schweigekloster. Hier finde ich zu mir. Ich muss nicht mal durch das malerische Andalusien fahren, damit mich die Geistesblitze hinterm Steuer treffen. Das funktioniert auch auf der langweiligsten Autobahn Deutschlands, der A31 in Niedersachsen, die ich regelmäßig befahre. Hier gibt es keine pittoreske Landschaft, noch nicht einmal einen Stau. Aber gerade hier, mitten im Nirgendwo, komme ich auf gute Gedanken im fünften Gang.
Bei Reisen mit dem Zug kann ich nicht so gut nachdenken. Dort bin ich zu abgelenkt, um auf gute Ideen zu kommen. Da sind das Bordbistro, meine Schnittchen, die Schnittchen des Nachbarn und das Angebot der Bahn,„jerks.“kostenfrei zu streamen. Denke ich sinnierend nach? Nein, höchstens über Christian Ulmens Peinlichkeiten. Und im Flugzeug?…enden meine Gedanken irgendwie immer mit Tomatensaft.
Mit dem Auto ist es anders: Sitze ich alleine am Steuer, ist das eine der wenigen Situationen, in denen ich tatsächlich „temporarily not available“bin. Ich kann mit bestem Gewissen das „Pling“ignorieren, wenn im Eltern-chat
Es war mein erster Roadtrip mit mir ganz alleine
nach dem neuen Stundenplan gefragt wird. Ich werde die E-mails mit den Nachfragen zu einem Projekt später beantworten und auch nicht mit meiner Mutter über Wochenendpläne sprechen. Ich fokussiere mich einfach nur auf das, was gerade im Moment vor mir liegt: die Straße. Natürlich ist man beschäftigt mit dem Verkehr, mit dem Lenken – aber eben nur damit. Ich finde: Wenn einen kein Podcast, kein nervöser Beifahrer oder stressiger Verkehr ablenkt, kann Autofahren fast etwas Entschleunigendes haben. Für mich ist das Auto ein fantastisch exklusiver Ort, an dem ich ganz alleine sein kann. Mein faradayscher Käfig, an dem sowohl Blitze als auch schlechte Stimmungen abprallen und der mir immer dieses ganz spezielle Freiheitsgefühl gibt: Wenn ich will, kann ich sofort in meine Transfer-bubble steigen und bin weg.
Ich wohne heute in einer Stadt, in der es viele umweltfreundliche Alternativen zum Autofahren gibt, die ich immer mehr nutze. Mein eigenes Auto würde ich dennoch nicht abgeben. Als Mutter zweier Töchter habe ich mich mitten im Irrsinn des Homeschooling-lockdowns sogar einmal in meinem parkenden Auto versteckt und dort Atemübungen gemacht. Nur für 15 Minuten saß ich da. Das war zwar längst nicht so erfüllend wie eine Reise, hat mir und meiner pubertierenden Tochter aber bestimmt einen dramatischen Streit erspart. Ich bin mir sicher, dass ich als Berufspendlerin anders darüber denken würde, aber solange die langen Autofahrten eher eine Ausnahme für mich sind, werde ich sie immer genießen: Einfach die Tür zumachen und alles ist schallgedämpft und leise. Die Welt ist draußen, ich bin drinnen.
Einfach die Tür zumachen und alles ist schallgedämpft