Norwegen, ein Land wie im Märchen
Freuen Sie sich auf mystische Landschaften, entspannte Kleinstädte und eine tolle regionale Küche
Norwegen ist das perfekte Reiseziel für alle, die mystische Landschaften und unberührte Natur abseits des Trubels suchen. Entspannte Kleinstädte und eine extrem leckere regionale Küche gibt’s obendrein
PPlötzlich taucht der Fuchs neben unserem Auto auf, also runter vom Gas und langsam fahren. Abrupt bleibt der Fuchs stehen. Er ist so nah, dass wir das Zucken seiner wachsamen Ohren sehen. Für den Bruchteil einer Sekunde begegnen sich unsere Blicke. Seelenaugen. Ob eine Trollin oder vielleicht gar die Elfenkönigin höchstselbst ihn geschickt hat, um uns ans Ende des Storlidalen-tals zu leiten, zu dem bullerbühaften Gehöft „Bortistu“? Der Beginn des Tages hat uns offenbar in mystische Stimmung versetzt: Nebelfetzen waberten über den smaragdgrünen Ångårdsvatnet-see, die schneebedeckten Gipfel der schroffen Trollheimen-berge kratzten am dämmerblauen Himmel, Eichen, Birken und Tannen posierten in unzähligen Grüns. Der Erzählung nach wimmelt es hier nur so von Fabelwesen: willkommen in Trøndelag, Mittelnorwegen, voll von Mystik und Abenteuer.
Abenteuerlich geht auch unsere Reise los. In Oslo steigen wir in eine Propellermaschine, die uns gen Norden nach Røros fliegen soll, eine der ältesten noch erhaltenen Holzstädte der Welt und seit 1980 Unesco-weltkulturerbe. Beim Landeanflug lässt die Maschine sich so stark vom Wind zausen, dass wir fast glauben, irgendwer möchte verhindern, dass wir in sein Hoheitsgebiet eindringen. Der Fahrer zum Hotel lacht laut darüber: „Das war nur der Røros-wind, der euch herzlich begrüßte. Unsere Trolle haben keine Berührungsängste!“
Die Norweger auch nicht. Auf der Fahrt erfahren wir mehr über Røros. Es ist Norwegens einzige Bergbaustadt. Der Legende nach jagte der Bauer Hans Olsen Aasen Mitte des 17. Jahrhunderts ein Rentier, das über einen schimmernden Stein stolperte: Exakt 333 Jahre bauten die Menschen rund um diese Stelle Kupfererze ab, von 1644 bis 1977. Im Winter ist Røros einer der kältesten Orte Norwegens, mit einem Rekord von minus 50,4 Grad im Jahr 1914. Schnee satt, das lockt Wintergäste – und Filmteams. Schwedische Filmemacher drehten die pulverschneeweißen Sequenzen des Pippilangstrumpf-weihnachtsfilms in der Sleggveien, einer extrem schmalen Gasse mit extrem hübschen Holzhäusern, die inzwischen nur noch „Pippi-gasse“heißt. Dann: Jane Fonda! Die spätere Aerobic-queen stand für die Filmversion des Theaterstücks „Nora oder Ein Puppenheim“des norwegischen Dichters Henrik Ibsen in Røros vor der Kamera. Schon damals fitnessverrückt, bezwang sie joggend und sehr zum Vergnügen der Bewohner die Hügellandschaft aus Schlacke, die bis heute das Stadtbild von Røros prägt. Wir wählen statt Sneakers Wanderschuhe und erklimmen die Hügel, denn das Panorama von dort oben ist einzigartig: Zu unseren Füßen, am Schlackefuß, leuchten wunderschöne alte Holzhäuser in so ziemlich allen Farben. Viele Dächer der mitunter 250 Jahre alten Häuser sind mit Gras bewachsen. Doch was von oben wie aus der Zeit gefallen scheint, ist voller Leben: Es gibt Cafés und einen Friseur, eine Gärtnerei, Werkstätten und Boutiquen. Røros ist keine Kulisse, sondern lebendige Kleinstadt, ein „Hei!“dort, ein „God dag!“hier. Wir schlendern durch die Parallelstraßen Bergmannsgata und Kjerkgata, die Prachtstraßen der Stadt, dann zieht es uns in die „Kaffestuggu“, das älteste Restaurant der Bergbaustadt. Hier genießen wir Spezialitäten wie frisches Brot mit der berühmten dottergelben
Røros-butter (fester Bestandteil von Norwegens Spitzengastronomie) und zartem Rentier. Als Nachtisch schlemmen wir „skillingsboller“, noch warme Zimtschnecken. Ja, Mehrzahl, denn bei einer bleibt es nicht.
Macht aber nichts, denn nicht nur die Gegend um Røros, sondern die ganze Provinz Trøndelag ist ein Eldorado für Bewegungsund Outdoorjunkies. Mit ihren knorrigen Kieferwäldern und geheimnisvollen Birkenhainen, dunklem Moorland, sanft gerundeten Hügeln, klaffenden Berggipfeln, tiefblauen Seen und wispernden Flüssen. Adler und Elche, Rentiere, Wölfe, Braunbären, Vielfraße und Luchse leben hier. Einmal entdecken wir Blaubeeren und naschen ganze Hände voll zu unserem Brot mit Brunost, einem dunklen Karamellkäse, einer weiteren norwegischen Spezialität. Ein anderes Mal reiben wir verblüfft unsere Augen: Wir kommen von der Gjevilvasshytta in den Trollheimen-bergen, der ältesten bewirtschafteten Wanderhütte Norwegens, um urplötzlich in die Karibik gebeamt zu werden: purweißer Sand und azurblaues Wasser. Der Rauøra-strand am Gjevilvatnet, einem 17 Kilometer langen Stausee, wirkt, als hätte sich jemand einen Spaß erlaubt inmitten dieser rauen Gegend mit schneebedeckten Gipfeln und nordisch-kargen Ebenen. Rehen und Rentieren begegnen wir vielen, Menschen kaum. Trøndelag ist nur wenig kleiner als die Niederlande, doch es leben dort gerade einmal rund 470000 Menschen. Allein Duisburg hat ungefähr ähnlich viele Einwohner. Zudem sind hier das Wandern und auch das Campieren für eine Nacht fast überall erlaubt, selbst auf größeren Ländereien, die im Privatbesitz sind.
Wir aber gönnen uns mehr Komfort. „Velkommen!“, ruft Linda Mai Helmersen, die mit ihrem Mann Rune Weiseth in vierter Generation „Bortistu“bewirtschaftet, ein Ensemble von rund einem Dutzend typisch skandinavischer Holzhäuser am Ende des Storlidalen-tals. Das älteste Gebäude ist von 1648 und Familienmuseum. Unser Lieblingsstück ist ein Foto von Lindas Urgroßeltern, damals noch kein Paar, aber die Liebe dermaßen im Blick, dass es noch 100 Jahre später knistert. Bei Linda und Rune gibt’s Gästezimmer mit Blümchentapete, viel Licht, viel Holz und Lamm, das auf der Zunge zerfällt. Köchin Lene Berg räuchert die Keule stundenlang mit Wacholder.
Auf eine aparte Dame treffen wir auch am Femundsee im Femundsmarka-nationalpark. Die Dame heißt Faemund II, trägt weiß und schippert seit 1905 auf Norwegens drittgrößtem See, der an acht Anlegern Wanderer und Kanufahrer ausspuckt und aufnimmt. Wir aber lümmeln die ganze Tages-rundfahrt lang an Deck und genießen das Panorama mit felsendurchsetzten, baumlosen Ufern, die einer Mondlandschaft gleichen und einen aufregenden Kontrast zu den angrenzenden, fast maßlos üppigen und laubsatten Wäldern bilden.
Doch natürlich verlassen wir Trøndelag nicht, ohne seinen berühmtesten Bewohnern einen Besuch abzustatten, und so zupfen wir wenige Tage später im Dovrefjell-sunndalsfjella-nationalpark weiß-silberne Fäden aus Wacholdersträuchern, die einen an Elfenhaar denken lassen. Tatsächlich sind es Winterfellreste der imposanten Moschusochsen. Erschrecken die
»Für eine Nacht ist wildes Camping, anders als in Deutschland, fast überall erlaubt«