„HEUTE SOLL LIEBE MÖGLICHST UNKOMPLIZIERT SEIN“
Frau Sehrt, aktuell schwirrt der Begriff „Situationship“durchs Internet. Sie sind eine erfahrene Paartherapeutin und medial bewandert: Was steckt dahinter?
So, wie ich Situationship verstehe, ist das der Zustand, wenn man etwas miteinander hat, sich aber weder emo‑ tional noch verbindlich darauf ein‑ lässt. Ein Status mag nicht klar sein, trotzdem sehnen sich manche Men‑ schen nach Definitionen – für etwas, das sie nicht einordnen können.
Situationship, Freundschaft Plus, Mingles: Was befeuert diese Nichtwirklich-beziehungen?
Unser Bedürfnis nach Liebe und Gebor‑ genheit ist uns angeboren. Dement‑ gegen steht aber die heutige Sehnsucht nach Freiheit und dem Unverbindlich‑ bleiben‑wollen. Wir wollen Reisen bu‑ chen und wieder stornieren, auf Silves‑ terpartys ohne feste Zusage gehen, und so unkompliziert soll es auch in der Liebe sein. Beziehungen bedeuten al‑ lerdings Absprachen, Kompromisse – und die Herausforderung, Nähe auszu‑ halten, sich durch den Partner mit sich selbst auseinanderzusetzen. Und damit tun sich viele immer mehr schwer. Aber erst das bringt die Tiefe, die eine Bezie‑ hung auch auszeichnet.
War das früher besser, einfacher?
Jein. Eine ältere Frau meinte mal bei einer Umfrage: „Natürlich habe ich meinen Mann gehasst, manchmal sogar über Jahre – aber das ist doch kein Grund, sich zu trennen.“Früher hatten gerade Frauen oft keine andere Wahl. Heute dagegen, durch digitale Da‑
ting‑plattformen etwa, gibt es vermeint‑ lich viel Auswahl. Sich auf jemanden fest einzulassen, obwohl vielleicht eine Kleinigkeit nicht passt, fällt schwerer.
Ab wann weiß man denn heutzutage, dass man „zusammen“ist?
Wenn die Emotionen da sind und man sich einander verbindlich zeigt. Ge‑ wöhnlich läuft es ja so: Man findet je‑ manden attraktiv, wird körperlich. Und fühlt sich das gut an, weiß man: Den will man weiter treffen. Vom ers‑ ten Augenblick an projiziert man unter‑ bewusst alle Wünsche an eine Partner‑ schaft in das Gegenüber. Ob das wirklich passt, zeigt sich dann erst mit der Zeit. Etwa als Eddy feststellt, dass er bei Jasmin sein darf, wie er ist. Domi‑ nique merkt, dass Fred ihr morgens vor dem Duschen die Heizung anmacht – sich also kümmert. Fragen wie „Wie streiten wir?“oder „Wie geht der andere mit Problemen um?“lassen sich ja erst im Alltag klären.
Der erste Sex entscheidet also nicht?
Dass man sich wiedersehen will, schon. Viele Paare legen das erste Mal gern im Nachhinein als „Moment, an dem wir zusammen waren“fest, weil er signifikanter ist als unbewusste Emotio‑ nen. Aber die sind langfristig entschei‑ dender. Und weil sie bei den Partnern nicht gleichzeitig kommen, ist der eine oft schneller oder mehr verliebt als der andere. Auch das gleicht sich erst mit der Zeit aus.