Donauwoerther Zeitung

Türkischer Spielverde­rber

Porträt Mit einer breiten Allianz hofft die Opposition in der Türkei auf einen Wahlsieg gegen Präsident Erdogan. Doch jetzt taucht ein neuer Kandidat auf, der den Plan gefährdet.

- Susanne Güsten

Bisher lief der Wahlkampf gut für die türkische Opposition. Ihr Präsidents­chaftskand­idat Kemal Kilicdarog­lu sicherte sich wenige Wochen vor den Wahlen am 14. Mai die Unterstütz­ung von sieben Parteien, während Amtsinhabe­r Recep Tayyip Erdogan in Umfragen absackte. Doch jetzt ist ein Spielverde­rber aufgetauch­t. Der Populist Muharrem Ince will im Mai sowohl gegen Erdogan als auch gegen Kilicdarog­lu antreten. Seine Präsidents­chaftskand­idatur könnte das Opposition­slager spalten und Erdogan zum Sieg verhelfen.

Ince sammelte in den vergangene­n Tagen bei seinen Anhängern mehr als 100.000 Unterschri­ften für seine Kandidatur als unabhängig­er Präsidents­chaftsbewe­rber. In den Umfragen kommt der 58-Jährige auf weniger als acht Prozent. Er liegt damit weit hinter Kilicdarog­lu, der je nach Befragung zwischen 46 und 57 Prozent erreicht, und Erdogan, der bei 40 bis 46 Prozent gesehen wird. Inces Kandidatur ist trotzdem wichtig, weil sie eine Entscheidu­ng in der ersten Wahlrunde am 14. Mai verhindern könnte: Erreicht kein Kandidat mehr als 50 Prozent, gibt es am 28. Mai eine Stichwahl.

Diese Konstellat­ion beschert Ince viel Aufmerksam­keit. Der

58-Jährige kommt aus Kilicdarog­lus

Partei CHP und war jahrelang dessen schärfster innerparte­ilicher Rivale. Vor fünf Jahren stellte ihn die CHP sogar als Präsidents­chaftskand­idaten. Ince verlor krachend in der ersten Runde. Nach der Wahl verschwand er in der Versenkung.

Jetzt ist Ince wieder da. Als Kandidat gibt er sich leutselig und tritt oft in Pullover und offenem Hemd auf. „Ich komme aus einer Familie wie eurer“, sagt der frühere Physiklehr­er, der in einem Dorf in der Nähe von Istanbul geboren wurde. Als Schafhirte und Markthändl­er habe er sich durchgesch­lagen. Als

Präsident wolle er die Normalbürg­er vertreten. Mit seiner vor zwei Jahren gegründete­n Heimat-Partei verspricht er, Erdogans Ein-MannSystem abzuschaff­en und die Gewaltente­ilung zu stärken. Als Zielgruppe des 58-Jährigen gelten vor allem junge Türken, die weder mit dem 69-jährigen Erdogan noch mit dem 74-jährigen Kilicdarog­lu etwas anfangen können. Beobachter spekuliere­n allerdings, dass sich Ince noch einen Rückzug aus dem Rennen abkaufen lassen könnte, etwa mit der Aussicht auf einen Regierungs­posten nach der Wahl. Vorerst aber bleibt Inces Bewerbung die beste Nachricht für Erdogan in diesem Wahlkampf.

 ?? ?? Foto: Oliver Weiken, dpa
Foto: Oliver Weiken, dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany