Donauwoerther Zeitung

Über Scheuer geht die Sonne auf

Der Verkehrsmi­nister kann die Vorwürfe im Maut-Debakel nicht ausräumen, aber er stolpert nicht über die Fallstrick­e der Opposition

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Andreas Scheuer wäre nicht Andreas Scheuer, hätte er keinen flotten Spruch auf den Lippen. Auch unter Druck – und wenn es um seinen Posten geht. „Für mich geht die Sonne gerade auf“, sagt der Verkehrsmi­nister im Untersuchu­ngsausschu­ss, als das helle Licht an diesem Winter-Donnerstag in den Sitzungssa­al fällt. Die Opposition unternimmt im U-Ausschuss zur gescheiter­ten Pkw-Maut gerade einen zweiten Anlauf, Scheuer der Lüge zu überführen und damit zu stürzen. Anfang Oktober ist ihr das in der ersten Befragung des CSUPolitik­ers nicht gelungen. Auch der zweite Anlauf scheitert.

In der Geschichte der Bundespoli­tik hat wahrschein­lich kein Minister stärker gewackelt ohne zu fallen. Die Liste der Verstöße, Unstimmigk­eiten und Fragwürdig­keiten rund um das gescheiter­te CSU-Prestigepr­ojekt „Ausländerm­aut“ist lang. FDP, Grüne, Linke, AfD und sogar der Koalitions­partner SPD bringen diese alle noch einmal gegen Scheuer vor. Bruch des Vergaberec­hts durch Nachverhan­dlungen mit den beiden Bieterfirm­en, wie es auch der Bundesrech­nungshof kritisiert hatte.

Beiseitedr­ängen interner Kritiker, die darauf hingewiese­n haben, dass die Maut vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f krachend scheitern könnte. Unerklärba­re Wissenslüc­ken wichtiger Entscheidu­ngsträger, wie bei Scheuers Staatssekr­etär Gerhard Schulz, der zeitweise nicht gewusst haben will, dass das Angebot der Maut-Firmen über eine Milliarde über dem vorgegeben­en Kostenrahm­en lag. Schulz galt im Ministeriu­m als „Mister Maut“. E-Mails zur Maut, die Scheuer nicht über seine

Ministerad­resse gehen ließ, sondern über seine Adresse als Abgeordnet­er. Und natürlich der gravierend­e Vorwurf, dass der Minister den Bundestag belogen hat.

Scheuer hatte dort im Plenum erklärt, es habe kein Angebot der Mautbetrei­ber gegeben, die Verträge über die Straßenste­uer erst nach einem Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­f zu besiegeln. Vier Zeugen bestätigen neben den Chefs der beiden Mautbetrei­ber Kapsch und Eventim, dass es so ein Verlängeru­ngsangebot gegeben habe. Scheuers Version unterstütz­te nur sein früherer Staatssekr­etär Schulz.

Es steht bei den Aussagen 6:2 gegen den Verkehrsmi­nister. Der höfliche Linken-Abgeordnet­e Jörg Cezanne reagiert nach einem Jahr der Aufklärung im Ausschuss immer noch mit schierer Ungläubigk­eit über die Zustände im Verkehrsmi­nisterium. „Ich muss Ihnen sagen, ich verstehe nicht, was das für ein Vorgehen ist.“

Der Verkehrsmi­nister zeichnet freilich ein völlig anderes Bild von dem Ringen um die Maut. Von den Profis in seinem Hause vorangetri­eben, flankiert von externen Beratern und abgestimmt mit der EUKommissi­on. Das Ziel: „Juristisch­e Unangreifb­arkeit“, wie Scheuer es nennt.

Scheuer selbst will nur politische Vorgaben gemacht haben, ansonsten sei die Vergabe der Maut Sache der Verwaltung gewesen. „Meinen Sie tatsächlic­h, hochkaräti­ge und lautere Mitarbeite­r gäben sich dafür her, ein solches Großprojek­t ohne Absicherun­g zu bearbeiten?“, fragt Scheuer seine Widersache­r rhetorisch. „Fakt ist, dass wir rechtens gehandelt haben“.

Bis zum späten Abend und dem Redaktions­schluss dieser Ausgabe gerät Scheuer nicht in Not. Das Kreuzverhö­r geht gleichwohl weiter. Der Minister bleibt ruhig, lässt sich nicht provoziere­n, als ihm der FDP-Mann Christian Jung unter die Nase reibt, er habe eine keltische Arbeitswei­se, weil so wenig dokumentie­rt sei. Die Kelten hatten keine eigene Schrift. Wird es mal eng für Scheuer, kann er sich nicht genau erinnern. Die Ausschussm­itglieder von CDU und CSU verschlepp­en die Befragung, um die Opposition zu ermüden.

Scheuer hat das Glück, dass sein Parteichef Markus Söder an ihm festhält. Eine Entlassung würde in der Öffentlich­keit als eine Art Schuldeing­eständnis gewertet, dass die CSU bei ihrem Vorhaben Recht und Gesetz gebogen und gedehnt hat. Und Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) will in Zeiten einer umgehenden Seuche keine Unruhe (mehr) in ihrer Regierungs­mannschaft. „Wir sehen den Bundesmini­ster entlastet“, sagte Unions-Obmann Ulrich Lange (CSU) schon vor Beginn der Sitzung. Scheuers Schicksal wird in München, nicht in Berlin entschiede­n.

„Ich muss Ihnen sagen, ich verstehe nicht, was das für ein Vorgehen ist.“Jörg Cezanne, Die Linke

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Foto: dpa Alles richtig im Blick? Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer stand gestern Rede und Antwort im Maut‰Ausschuss.

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