In der Hauptstadt der süßen Versuchung
Paris ist Frankreichs Mekka der Konditorenkunst. Von den edlen Backboutiquen aus traten auch die heute weltweit angesagten Macarons ihren Siegeszug an. Und hier kann jeder lernen, wie man sie auch zu Hause perfekt nachbacken kann
Wer das Geschäft von Patrick Roger mit seiner alten, holzgetäfelten Fassade in der Rue des Archives zum ersten Mal betritt, fragt sich, was in dem abgedunkelten edlen Laden wohl verkauft werden mag. Vor der Rückwand aus beleuchteten mattgrünen Glasplatten steht ein großer Metalltisch auf dutzenden astartigen Aluminiumbeinchen, darauf unter einer Glasplatte das Sortiment des Hauses: kein kostbarer Schmuck, keine Uhren – dafür Pralinen und Schokoladentafeln in ähnlicher Preislage. Denn Roger, der mit riesigen Schokoladenskulpturen bekannt wurde, gehört zu den führenden Chocolatiers und Feinbäckern von Paris.
Der Beruf des Patissiers wird im Fremdwörterbuch noch als Hotelkonditor geführt, was dem Karrierebeginn seiner bekanntesten Vertreter entspricht. Heute ist der Patissier nicht mehr nur derjenige, der am längsten, bis zum Nachtisch, in der Küche stehen muss und dafür die geringste Anerkennung bekommt, sondern ein Star der Küche. Vor allem nach der Gründung eigener Läden zählen auch die Feinbäcker zu bewunderten Koch-Promis.
Ein Blick auf die kulinarischen Abteilungen größerer Buchhandlungen vermittelt den Eindruck, allein die beliebtesten Zuckerbäcker des Landes hätten mehr Bücher veröffentlicht als alle deutschen Fernsehköche zusammen. Meist sind sie männlichen Geschlechts sowie in Paris ansässig und wie Stars auf dem Einband abgebildet. Wie Modeschöpfer firmieren die Patissiers unter ihrem Namen, der über den Filialen steht und als Monogramm auf dem Gebäck prangt. Und natürlich geht es auch beim Süßzeug darum, mit immer neuen Variationen klassischer Standards zu überraschen. Allem Starkult zum Trotz, freuen sich die Törtchendesigner dann wie kleine Jungs, wenn man erraten hat, was sich da in ihrem Gebäck versteckt.
Ja, da sei wirklich Basilikum im Erdbeertörtchen, bestätigt Yann Couvreur, dessen Läden nicht so überkandidelt wie die mancher seiner Kollegen daherkommen. Sie heben sich dadurch ab, dass man den Patissiers dort beim Backen zuschauen kann. Die edlen Süßwaren sind auch deshalb so populär geworden, weil fast jeder fünf, zehn, oder zwanzig Euro erübrigen kann, um ein echtes Stückchen Sterneküche auf höchstem Niveau zu genießen, ohne für einen Restaurantbesuch gleich ein Sparbuch auflösen zu müssen.
Die heutigen Patissiers führen eine große Tradition fort, denn Paris hat viele Süßspeisen zur berühmten französischen Küche beigesteu- ert. Allen voran erhielten an der Seine auch die bunten Modekekse, die spätestens seit der Jahrtausendwende in aller Munde ist, ihre heutige Gestalt: die Macarons. Sie gibt es hier schon mindestens seit dem 17. Jahrhundert. Damals war dieses mit italienischen Amaretti verwandte Gebäck aus Mandeln, Eiweiß und Zucker lange eine relativ trockene Angelegenheit. Wem das schließlich auf den Keks ging, ist unklar. Als Erster soll der Patissier Claude Gerbet im 19. Jahrhundert zwei Macarons aus feinem Meringenteig zu, immer noch ungefüllten, Doppeldeckern verbunden haben. Die feinen „Pariser Macarons“wurden deshalb auch „Macaron Gerbet“genannt.
Den Ursprung der heutigen Macarons beansprucht man - samt der Idee zur Füllung mit einer zähflüssigen, süßen „Ganache“– im Hause Ladurée, einer der edelsten Konditoreien der Stadt, für sich. Unstrittig ist, wem die jüngsten Verfeinerungen des Kultgebäcks zu verdanken sind. Pierre Hermé, der unbestrittene Meister der Branche, von Presse und Kollegen als „Papst des Zuckers“und „Picasso der Patisserie“ gerühmt, hat seit den achtziger Jahren auch daran gearbeitet, neue Geschmacksrichtungen des Doppelkekses zu entwickeln. Aus ursprünglich vier Sorten entstanden so Dutzende, deren Aroma an der Färbung zu erkennen sein soll.
Hermé war auch der Erste, der damit begann, unterschiedlich aromatisierte Kekse und Füllungen zu kombinieren. Inzwischen gibt es die süßen Sandwichs mit der dünnen Kruste und der weichen Füllung in unzähligen Variationen - und die sind gar nicht so schwer nachzubacken, wie es aussieht.
Wer sich bei einem Paris-Besuch von der Begeisterung der Hauptstädter für ihre bunten Doppelkekse anstecken lassen will, kann sich, etwa über die Agentur „Meeting the French“, bei einem dreistündigen Workshop in die Geheimnisse des Macaronbackens einweihen lassen.
Dann findet man sich zum Beispiel in der Altbauwohnung von Marthe Brohan an einem Boulevard im Süden der Stadt wieder. An diesem Nachmittag sucht auch eine Familie aus Washington den Rat der ehemaligen Personalmanagerin, die lieber den Ofen für Kochkurse heizt, als Leute zu feuern. Die Eltern und ihre beiden Töchter hatten schon zu Hause in den USA versucht, die französischen Kultkekse zu backen, aber den Teig nie richtig hinbekommen. Zum Glück hat Marthe allerlei Tipps auf Lager, um die Erfolgschancen deutlich zu erhöhen. Ganz einfach wird die Sache trotzdem nicht, denn sie bevorzugt, wie alle besseren Patissiers, die sogenannte italienische Baisermasse für den Teig.
Dabei wird der Zucker nicht einfach mit den fein gemahlenen und gesiebten Mandeln unter das steif geschlagene Eiweiß gehoben. Stattdessen wird die Hälfte des Zuckers in Form eines gleichzeitig hergestellten Sirups aus purem geschmolzenem Zucker unter den frischen Eischnee gerührt – bei 118 Grad Celsius, weil sich der Zucker so besonders gut mit dem Eiweiß verbindet. Das bedeutet, mit dem Schlagen des Eiweißes anzufangen, wenn der Sirup 100 Grad Celsius erreicht hat, was beim ersten Nachbacken zu Hause durchaus in Stress ausarten kann.
Dafür wird man mit festeren, glänzenden, glatten Schalen belohnt, die länger haltbar sind - im Kühlschrank eine knappe Woche. Das Wichtigste sei die richtige Konsistenz des Teigs, die durch das
Eines der Geheimnisse ist ein sehr heißer Zuckersirup
Wenden und Heben in der Schüssel entsteht, erklärt Marthe. Einmal linksherum mit dem Teigspatel rühren, einmal rechts - und dann möglichst viel hochheben, auf dass der Teig buchstäblich zähflüssig als zusammenhängendes Ganzes wieder heruntergleiten möge.
Marthe verwendet silikonbeschichtetes Backpapier und demonstriert, wie hilfreich Kreisvorlagen sein können, um mit einem Spritzbeutel einheitliche Kleckse von drei Zentimetern Durchmesser aufs Blech zu bekommen. Wenn der Teig so fest ist, wie er sein soll, sind die zukünftigen Kekse noch nicht perfekt gerundet, sondern von kleinen Zipfeln gekrönt. Um die einzuebnen, lässt Marthe das Blech einfach auf die Arbeitsplatte fallen und klopft dann, wo nötig, noch einmal von unten dagegen.
Anschließend lässt sie die schönen Kleckse 15 Minuten - an feuchten Tagen doppelt so lange - bei Zimmertemperatur ruhen, bis sich auf den Schalen eine Haut gebildet hat. Während des zwölfminütigen Backens öffnet sie zwei Mal für fünf Sekunden den Backofen, um die Feuchtigkeit loszuwerden. Danach hat Marthe einen letzten Tipp parat. Die großen Patissiers, verrät sie, füllen ihre Doppelkekse erst in letzter Minute mit der „Ganache“, wenn sie schon fünf Tage luftdicht und gekühlt gelagert wurden, weil die Schalen dann fester und aromatischer geworden sind. So lange zu warten, dürfte allerdings den meisten Hobbybäckern schwerfallen.