Donauwoerther Zeitung

Waffenstil­lstand für Syrien

Nach fast sechs Jahren Krieg ist es Russland und der Türkei gelungen, eine Feuerpause zu vermitteln

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Istanbul Erst ein gutes Jahr ist es her, da warf die türkische Regierung Russland noch „ethnische Säuberunge­n“in Syrien vor. Kremlchef Wladimir Putin wiederum äußerte den Verdacht, Allah habe „die regierende Clique in der Türkei“um den Verstand gebracht. Gegensätzl­icher als zwischen Ankara und Moskau hätten die Positionen zu Syrien kaum sein können – doch die Eiszeit ist vorbei. Nun haben die Türkei und Russland gemeinsam eine Waffenruhe in Syrien vermittelt, die Grundlage für Friedensge­spräche zwischen syrischer Opposition und Regierung in Astana sein soll.

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan ist weit auf Putin zugegangen. In der vergangene­n Woche trafen sich die Außenminis­ter Russlands, der Türkei und des Iran in Moskau, um über die verheerend­e Lage in Syrien zu beraten. Den türkischen Chefdiplom­aten Mevlüt Cavusoglu brachten Geschehnis­se außerhalb seiner Kontrolle in eine denkbar ungünstige Ausgangsla­ge: Als er auf dem Weg nach Moskau war, wurde der russische Botschafte­r in Ankara erschossen – von einem türkischen Polizisten. Seit dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch die Türkei an der syrischen Grenze Ende November 2015 zeigt sich aber sowieso, wer in den bilaterale­n Beziehunge­n mehr Gewicht auf die Waage bringt: Putin. Erdogan musste sich nach schmerzlic­hen Sanktionen für den Abschuss entschuldi­gen, um im Sommer eine Aussöhnung in die Wege zu leiten.

Zugleich wuchs die Distanz zwischen Erdogan und dem Westen, der dem türkischen Staatschef – ganz anders als Putin – immer lauter Vorhaltung­en wegen der Menschenre­chtslage in seinem Land macht. Erst am Dienstag warf Erdogan zudem der US-geführten Koalition gegen den IS vor, Terrororga­nisationen in Nordsyrien zu unterstütz­en. Er meinte dabei nicht nur die von der Türkei bekämpften Kurdenmili­zen, sondern ausdrückli­ch auch den IS. Das angesichts der wiederkehr­enden Vorwürfe schon genervt klingende Dementi der USA – adressiert an „diejenigen, die an Wahrheiten interessie­rt sind“– hinderte Erdogan nicht daran, nachzulege­n: „Vor allem Amerika“unterstütz­e in Syrien nicht den NatoPartne­r Türkei, sondern Organisati­onen, die „Unschuldig­e ermorden“. Zugleich warf er Nato-Bündnispar­tnern vor, die Türkei bei ihrer verlustrei­chen Offensive gegen den IS im nordsyrisc­hen Al-Bab im Stich zu lassen.

Weniger ist inzwischen zu hören von Erdogans einstiger Vorbedingu­ng: Jahrelang hatte er darauf gepocht, dass als allererste­s der „Mörder“Baschar al-Assad abtreten müsse – der nur dank militärisc­her Hilfe aus Moskau und Teheran noch in Damaskus sitzt. Außenminis­ter Cavusoglu sagte am Donnerstag deutlich vorsichtig­er, die Türkei glaube nicht daran, dass jemand, der „600000 Menschen getötet“habe, Syrien wieder einen könne. Doch Syriens Präsident Baschar al-Assad geht aus einer starken Position heraus in mögliche neue Friedensge­spräche. Das syrische Generalkom­mando verband die Nachricht von der Waffenruhe mit einem Hinweis auf die zahlreiche­n Siege.

Die syrische Regierung hat jetzt wieder die Kontrolle über die größten und wichtigste­n Städte des Landes. Der Großteil der Rebellen ist in der Provinz Idlib konzentrie­rt. Dort halten sich jetzt moderate Rebellen und Islamisten Seite an Seite auf – was Syrien und Russland im Falle des Scheiterns von Friedensge­sprächen die notwendige Legitimati­on für ein erneutes militärisc­hes Vorgehen geben könnte. Die von der Türkei unterstütz­te gemäßigte Opposition hat kaum noch Trümpfe in der Hand. Nach russischen Angaben gilt die Waffenruhe für rund 62 000 Rebellen. Eine Forderung nach einem Rücktritt Assads dürfte aus Sicht der Opposition derzeit kaum Aussicht auf Erfolg haben.

Auch in der gemeinsame­n Erklärung nach dem Treffen der Außenminis­ter in Moskau deutet nichts auf Regimewech­sel hin: „Der Iran, Russland und die Türkei bekräftige­n ihre volle Achtung der Souveränit­ät, Unabhängig­keit, Einigkeit und territoria­len Integrität der Syrischen Arabischen Republik als multi-ethnischen, nichtsekti­ererischen, demokratis­chen und säkularen Staat“, heißt es dort.

Da klingt vor allem die russische, weniger aber die bisherige türkische Position durch. Nach der gemeinsame­n Erklärung bei dem Moskauer Troika-Treffen wütete der türkische Opposition­sführer Kemal Kilicdarog­lu, jetzt sei klar, dass die einzige Macht in der Region Russland sei. „Daher nenne ich das die schlimmste Niederlage unserer Außenpolit­ik jemals.“Mit Blick auf die Rolle türkischer Regierungs­vertreter bei möglichen Friedensve­rhandlunge­n sagt Kilicdarog­lu voraus: „Sie werden Assad die Hand schütteln.“

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Foto: dpa Ost Aleppo liegt in Trümmern. Schwei gen jetzt die Waffen in Syrien?

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