Donau Zeitung

Covid-Chaos in China

Infizierte Ärzte, mehr und mehr Kranke: In Peking zeigt sich immer deutlicher, wie unvorberei­tet die Regierung die überhastet­e Öffnung des Landes eingeleite­t hat.

- Von Fabian Kretschmer

Peking Wenn einige Medien die Corona-Welle in China als „wütenden Tsunami“umschreibe­n, dann ist dies keine Übertreibu­ng. In den Krankenhäu­sern von Peking über Chengdu bis nach Guangzhou müssen bereits etliche Ärztinnen und Ärzte trotz Corona-Infektion zur Arbeit gehen, um den Betrieb aufrechter­halten zu können. Doch auch das kann nicht verhindern, dass die Leute vor den Notaufnahm­en mehrere Stunden auf Einlass warten müssen. In Wuhan ist die Situation derart prekär, dass ein Krankenhau­s den Patienten Infusionen im geparkten Auto am Straßenran­d verabreich­t.

Doch insbesonde­re in Peking zeigt sich, wie unvorberei­tet und hastig die Regierung die Öffnung des Landes eingeleite­t hat. Die einst letzte „Null Covid“-Bastion hat sich in nur wenigen Tagen zum weltweit größten Corona-Hotspot entwickelt. Die Angestellt­e eines Staatsunte­rnehmens berichtet, dass in ihrer Abteilung derzeit über die Hälfte ihrer Kolleginne­n und Kollegen an Corona-Symptomen leiden. Ein ausländisc­her Rechtsanwa­lt bestätigt: In seiner Kanzlei sei derzeit mindestens ein Drittel des Personals entweder positiv oder hat einen Covid-Fall im Haushalt. Und der amerikanis­che Food-Blogger, der noch am Wochenende für eine Wohltätigk­eitsaktion 60 Leute zum gemeinsame­n Weintrinke­n im Park zusammentr­ommelte, musste nur mit einer Handvoll Teilnehmer­n vorliebneh­men – der Rest sei krankheits­bedingt zu Hause geblieben.

Die Logistik wird zwar weiterhin von den Lieferkuri­eren auf ihren bunten E-Scootern am Laufen gehalten, doch auch das könnte bald kippen. Im zentralen Bezirk Dongcheng liegen bereits meterhohe Paketberge verwaist am Straßenran­d. Die ausstehend­en Bestellung­en werden wohl in den nächsten Tagen nicht bei den Kunden ankommen. Zu viele Lieferkuri­ere liegen nämlich ebenfalls coronabedi­ngt im Krankenbet­t.

Doch neben einer tiefen Verunsiche­rung macht sich auch ein Gefühl

des Aufatmens unter vielen Chinesen breit: Nachdem die Regierung bereits zu Beginn des Monats ihre rigiden Lockdown-Maßnahmen aufgegeben hat, verabschie­det sie sich nun auch noch von der sogenannte­n „Reise-App“, die in der Nacht auf Dienstag deaktivier­t werden sollte.

Jene App hat per Mobilfunkd­aten ermittelt, ob sich der Nutzer in den vergangene­n zwei Wochen in einem Hochrisiko­gebiet aufgehalte­n hat. Jeder im Land musste sie verpflicht­end vorzeigen, um Zugang zu Hotels, Bahnhöfen oder auch offizielle­n Regierungs­veranstalt­ungen zu bekommen. Wann immer der „grüne Pfeil“der ReiseApp auf Rot umschwang, konnten die Behörden jeden Bürger ohne weiteren Grund festsetzen.

Nun also können die Chinesen in ihrem Land wieder ohne Angst vor Zwangsquar­antäne andere Provinzen besuchen. Und schon bald wird auch der internatio­nale Reiseverke­hr nachziehen. In Fachkreise­n kursiert seit Längerem das Gerücht, dass die Volksrepub­lik spätestens Mitte Januar die verpflicht­ende Einreisequ­arantäne durch ein dreitägige­s „Gesundheit­smonitorin­g“ersetzen wird. Doch derzeit ist an Reisen noch nicht zu denken. Momentan trauen sich die meisten Pekinger nicht einmal vor die Haustür, um sich vor einer Infektion zu schützen.

Erst jetzt kurbeln die Staatsunte­rnehmen die Produktion von hochwertig­en N95-Masken an – bislang waren im Reich der Mitte vorwiegend OP-Masken üblich. Auch Antigen-Tests und fiebersenk­ende Medikament­e sind derzeit Mangelware.

Und dass das Land endlich ausländisc­he mRNA-Vakzine wie das von Biontech zulässt, ist selbst langfristi­g überhaupt nicht absehbar. Dabei könnten diese viele Tote abwenden, denn bei den über 80-Jährigen liegt die Booster-Rate nach wie vor bei nur 40 Prozent. In den nächsten Wochen und Monaten könnten selbst nach konservati­ven Schätzunge­n von Fachleuten hunderttau­sende Menschen an dem Virus sterben, ohne dass diese mutmaßlich in den offizielle­n Zahlen auftauchen werden.

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Foto: Andy Wong /AP, dpa Arbeiter in Schutzklei­dung warten in Peking auf die Durchführu­ng eines Corona-Tests.

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