Studienbibliothek: „Man muss Dillingen fürs Studium gar nicht verlassen.“
In Dillingen gibt es keine Universität mehr, aber immer noch eine Bibliothek. Marius Müller leitet sie seit Kurzem und verrät, warum hier ein Ort für alle sein soll.
Dillingen Direkten Zugang zu Schätzen, die in der Dillinger Studienbibliothek schlummern, haben nur wenige. Dabei sind sie in demselben Gebäude, das auch den Lesesaal beherbergt. Nur eben in der anderen Hälfte des Hauses. Und die bemerkt man eigentlich nur an den vielen Knöpfen im Aufzug, die man nicht ohne Weiteres bedienen kann. Mit dem richtigen Schlüssel und der dazugehörigen Ortskenntnis stehen einem dann allerdings sieben versteckte Stockwerke offen. Marius Müller ist einer der wenigen, der einen solchen Schlüssel hat. Seit März leitet er die Dillinger Studienbibliothek und führt sichtbar stolz durch die Regalreihen, die sich auf der anderen Seite des Aufzugs verbergen.
Mehr als 170.000 Bücher reihen und stapeln sich dort. Die Faustregel scheint zu sein: Je älter sie sind, desto weniger leicht können sie einheitlich aufbewahrt werden. Einige Bücher ruhen in Boxen, auf denen steht: „Nur liegend aufbewahren!“Andere stehen zwar, werden aber links und rechts von Trennwänden gehalten. Manche Werke sind klein und passen auf eine Handfläche. Andere sind etwa einen halben Meter lang und um sie zu lesen, muss man erst einmal genug Platz zum Ablegen finden. „Manchmal machen wir auch Detektivarbeit“, sagt Müller und zeigt einen kleinen Karton, in dem sich lose Seiten und andere Bestandteile befinden, bei denen er und seine Kollegen erst einmal schauen müssen, wie alles zusammengehört.
Diese Tausenden an Büchern durchzusehen ist eine der Aufgaben, die Müller als Leiter der Bibliothek hat. Er hat die Stelle übernommen, nachdem sie zwei Jahre lang unbesetzt geblieben war. Aber der 31-jährige Augsburger weiß jetzt schon, dass er niemals alles wird sichten können – auch wenn er erst einmal bis auf Weiteres der Studienbibliothek erhalten bleiben möchte. „Zwei bis drei Leben würden dafür nicht ausreichen“, sagt er schmunzelnd. Den Bestand durchzugehen und aufzuräumen ist allerdings kein reiner Selbstzweck. Denn die Werke seit dem 15. Jahrhundert sollen nicht einfach nur penibel beschriftet auf ihren
Regalbrettern vor sich hin stauben. Vielmehr geht es darum, sie für alle im ersten Schritt zu katalogisieren, schwer lesbare Handschriften zu erschließen und damit letztendlich für alle zugänglich zu machen.
So elitär wie Bibliotheken oft seien, soll es in der Studienbibliothek nämlich nicht zugehen. Das ist Müller ein großes Anliegen: „Bibliotheken wie unsere sind für Leserinnen und Leser immens wichtig. Besonders der niedrigschwellige Zugang, dass man keinen Konsumzwang
hat, sondern sich einfach weiterbilden kann, ohne einen Penny zu zahlen“. In Zeiten, in denen Buchkosten steigen, sieht er die Studienbibliothek als eine Art Gegenpol.
Der Ausweis kostet nämlich: gar nichts. Und hat man ihn erst einmal in der Tasche, hat man Zugriff auf beinahe all die mehr als 170.000 Bücher, die sich im Magazin in der Haushälfte auf der anderen Seite des Aufzugs verbergen. Das Einzige, was man dafür tun muss: nett fragen. Oder sich die gewünschten Bücher im Onlinekatalog bestellen.
Werke, die vor 1900 erschienen oder besonders sind, darf man dann zwar nur im Lesesaal verwenden. Abgesehen davon stehen sie aber allen zur Verfügung, nicht nur Akademikerinnen und Akademikern. „Wir freuen uns über jeden, der kommt“, sagt Müller. Sein Eindruck aus einigen Gesprächen ist bisher, dass viele Menschen gar nicht wissen, was die Studienbibliothek alles zu bieten hat. Zum Beispiel, dass man sich über die Fernleihe so gut wie jedes Buch aus den staatlichen bayerischen Bibliotheken hierhin bestellen kann, etwa aus Bamberg, Passau, München oder Augsburg. Laut Müller gibt es einige Studierende, die dieses Angebot zum Beispiel in den Semesterferien nutzen, um hier ihre Hausarbeiten zu schreiben. „Man muss Dillingen fürs Studium gar nicht verlassen“, sagt er scherzhaft. Zumindest, wenn viele Kurse online stattfänden.
Damit noch mehr Menschen das Angebot der Studienbibliothek kennen – und es auch nutzen – ist es ihm ein persönliches Anliegen, die Institution in der Region bekannter zu machen. Auch möchte er die Räume modernisieren und komfortabler machen, also quasi den Staub von den Regalbrettern pusten. WLAN einrichten steht auch ganz oben auf seiner Liste. Denn ohne lasse sich es im Lesesaal nicht ganz so gut arbeiten. Wer einen ruhigen Arbeitsplatz sucht, der oder die ist aber auch jetzt schon hier willkommen. Innerhalb der Öffnungszeiten – und auf Nachfrage auch außerhalb. „Man muss sich auch nicht alibimäßig ein Buch oder eine Zeitung herausziehen“, sagt Müller.
Bildungsmöglichkeiten?