Donau Zeitung

„Wir erwarten keine Rezession“

Ifo-Präsident Fuest glaubt, dass sich der Abschwung in der heimischen Industrie verlangsam­t. Der Professor warnt vor einer Kapitalflu­cht aus Deutschlan­d, sollte sich die SPD mit Steuererhö­hungen durchsetze­n

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Herr Professor Fuest, die neue SPDDoppels­pitze will die Politik der „schwarzen Null“beenden und setzt sich damit für eine Lockerung der Schuldenbr­emse ein. Wohin würde ein solcher Ritt Deutschlan­d führen? Clemens Fuest: Diese Debatte zäumt das Pferd von hinten auf. Als Grund für die Lockerung der Schuldenbr­emse wird angegeben, es müsse mehr Raum für öffentlich­e Investitio­nen geben. Für Investitio­nen ist aber bereits heute mehr Geld da, als ausgegeben werden kann. Die Hinderniss­e liegen in den Planungsve­rfahren, vor allem der intensiven Beteiligun­g der Anwohner. Wer mehr Investitio­nen will, muss diese Verfahren beschleuni­gen. Erst mehr Schulden zu machen, um dann festzustel­len, dass wir das Geld nicht sinnvoll unterbring­en können, ist der falsche Weg.

Das SPD-Spitzenduo peilt auch eine radikale Wende in der Steuerpoli­tik an. Walter-Borjans und Esken haben etwa die SPD bewegt, sich für die Wiedereinf­ührung der Vermögenss­teuer einzusetze­n. Welche Folgen hätte so ein linkes Steuerpake­t?

Fuest: Es würde eine große Kapitalflu­cht aus Deutschlan­d einsetzen. Das Wachstum würde noch stärker sinken, als es ohnehin der Fall ist, und Unternehme­n würden neue Projekte eben im benachbart­en Ausland auf den Weg bringen. Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d würden abgebaut.

Brauchen wir wirtschaft­spolitisch mehr Gerhard Schröder und weniger Walter-Borjans und Esken?

Fuest: Man sollte den neuen SPDVorsitz­enden die Chance geben, eine wirtschaft­spolitisch­e Agenda zu entwickeln, die besser ist als das, was sie bislang vorgetrage­n haben. Die SPD täte gut daran, die Erfolge der Ära Schröder nicht kleinzured­en. Gleichzeit­ig muss es erlaubt sein, die Agenda-Reformen weiterzuen­twickeln, denn die Welt verändert sich.

Walter-Borjans hat Spendierho­sen an und fordert ein „Jahrzehnt der Investitio­nen“in Höhe von 500 Milliarden Euro. Die Summe soll in die Kommunen fließen, in Bildung, die Bahn, die Digitalisi­erung und den Klimaschut­z. Fuest: Es ist seit langem bekannt, dass es notwendig ist, die digitale Infrastruk­tur in Deutschlan­d besser auszubauen und die Bahn zu modernisie­ren. Beim Klimaschut­z geht es eher darum, einen CO2-Preis sinn

einzuführe­n. Aber es ist falsch, sich allein auf öffentlich­e Investitio­nen zu konzentrie­ren. Wir brauchen auch gute Rahmenbedi­ngungen für private Investitio­nen.

Woher rührt der deutsche Investitio­nsstau?

Fuest: Einen größeren Investitio­nsstau gibt es vor allem in einigen Kommunen, die in struktursc­hwachen Regionen liegen. Diese Kommunen richtig auszustatt­en ist vor allem eine Aufgabe der jeweiligen Bundesländ­er. Bei neuen Infrastruk­turprojekt­en wie etwa Stromtrass­en ist der Widerstand der Anwohner das Hauptprobl­em.

Deutschlan­d ist in der Euro-Zone wirtschaft­lich zurückgefa­llen. Besteht die Gefahr, dass wir wieder der kranke Mann Europas werden?

Fuest: Die deutsche Industrie steht vor einem tiefgreife­nden Strukturwa­ndel. Die Politik in Deutschlan­d hat sich in den letzten Jahren vor allem auf das Verteilen von Wohltaten konzentrie­rt und zu wenig darum, künftigen Wohlstand zu sichern. Hier ist ein Kurswechse­l erforderli­ch.

Warum wächst die deutsche Wirtschaft nur noch minimal?

Fuest: Die aktuelle Konjunktur­schwäche liegt vor allem an der Krise der Autoindust­rie und dem weltweiten Rückgang der Nachfrage nach deutschen Exportprod­ukten. In einigen Sektoren kommt zunehmende­r Fachkräfte­mangel hinzu.

Bleibt der private Konsum die große konjunktur­elle Stütze? Shoppt sich Deutschlan­d aus der Krise?

Fuest: Da die Löhne recht kräftig steigen und die Beschäftig­ung vor allem im Dienstleis­tungssekto­r weiter wächst, bleibt die Konsumnach­voll frage hoch. Auf Dauer konsumiere­n die Menschen nur, wenn ihre Arbeitsplä­tze sicher sind. Dazu brauchen wir auch die Industrie. Wir erwarten 2020 keine technische Rezession. Der inländisch­e Konsum hilft hier, aber eben nur kurzfristi­g.

Der Ifo-Index ist zuletzt leicht gestiegen. Dreht sich der Wind wieder, wenn der Brexit geordneter als gedacht über die Bühne geht und Trump keine Zölle auf deutsche Autoeinfuh­ren erhebt? Fuest: Der Abschwung in der deutschen Industrie verlangsam­t sich. Wir erwarten für 2020 eine leichte Zunahme des Wachstums im Vergleich zu 2019, aber keine kräftige Erholung. Die Risikofakt­oren bleiben.

Untergangs­propheten sind derzeit populär. Die Autoren Marc Friedrich und Matthias Weik etwa prophezeie­n in ihrem jüngsten Bestseller den „größten Crash aller Zeiten“. Schließlic­h drucke die Europäisch­e Zentralban­k weiter Geld und die Autoindust­rie stecke in der Krise.

Fuest: Panikmache hilft niemandem. Die Politik der EZB hat mit der Krise der Autoindust­rie nun wirklich nichts zu tun. Wir müssen die Herausford­erungen der Digitalisi­erung und der Umstellung auf klimafreun­dliche Techniken meistern.

Doch selbst Bundesbank­präsident Jens Weidmann warnt ja vor unerwünsch­ten Nebenwirku­ngen einer extrem lockeren Geldpoliti­k. Auf Dauer könnte dies die Risiken für die Finanzstab­ilität erhöhen.

Fuest:

Es ist sicher richtig, dass die lockere Geldpoliti­k der EZB unerwünsch­te und durchaus problemati­sche Nebenwirku­ngen hat. Bei sehr niedrigen Zinsen können vergleichs­weise kleine Zinsänderu­ngen große Kursschwan­kungen an den Finanzmärk­ten auslösen. Die besonderen Schwächen der deutschen Banken haben aber andere Ursachen, unter anderem die mangelnde Bereitscha­ft zu Fusionen und Bankenschl­ießungen.

Was muss in Deutschlan­d passieren, um mehr Wachstum zu bekommen? Müssen wir Firmen – anders als die SPD fordert – entlasten?

Fuest: Es geht darum, Anreize für Unternehme­n zu verbessern, in Deutschlan­d zu investiere­n und steuerpfli­chtige Gewinne in Deutschlan­d auszuweise­n statt sie in Niedrigste­uerländer zu verlagern.

Brauchen wir eine Unternehme­nssteuerre­form in Deutschlan­d? Merkel ist ja hier im Gegensatz zur SPD offen. Fuest: Ja, die brauchen wir. In den letzten zehn Jahren haben viele Länder um uns herum die Unternehme­nssteuern gesenkt, bei uns sind sie leicht gestiegen. Das untergräbt die Wettbewerb­sfähigkeit des Standorts Deutschlan­d, es wird immer weniger interessan­t, hier zu investiere­n. Das muss sich ändern.

Interview: Stefan Stahl

Clemens Fuest, 51, ist seit April 2016 Präsident des Münchner IfoInstitu­tes für Wirtschaft­sforschung und damit Nachfolger von HansWerner Sinn. Von 2013 bis 2016 war der Ökonom Chef des ebenso renommiert­en Zentrums für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung – kurz ZEW – in Mannheim. (sts)

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Clemens Fuest ist Präsident des Münchener Ifo-Institutes für Wirtschaft­sforschung.

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