„Mit Essen kann man die Welt verändern“
Interview Jan Bredack war Manager bei Daimler. Nach einem Burnout wurde er Veganer und gründete ein Unternehmen für pflanzliche Lebensmittel. Sogar einige seiner Kinder sind Veganer. Ein Gespräch mit einem Mann, der den Wandel seines Lebens einer Frau zu
Herr Bredack, Sie waren einst ein Top-Manager im Daimler-Konzern. Jan Bredack: Ich habe den ganzen Kundendienst für Lkw in Deutschland aufgebaut und lange geleitet. Dann habe ich für die DaimlerNutzfahrzeugsparte den Vertrieb Service Nutzfahrzeuge, also Lkw und Transporter, in Deutschland geführt. Ich war erst 30. Es ging für mich gut bergauf. Ein interessantes Projekt folgte auf das nächste. So ging ich für Daimler nach Russland. Dort habe ich unter anderem das erste Werk für Lkw in Russland aufgebaut.
Sie waren ehrgeizig.
Bredack: Ich war karrieregeil, ein richtiger Karrierist. Dafür schäme ich mich nicht.
Was hat Sie motiviert? War es Geld? Bredack: Geld war es nicht. Ich fand Macht geil. Mir ging es um Einfluss. Und Einfluss definiert sich in Konzernen über interessante Projekte, die man leiten darf. Wenn man ein Projekt im Vorstand durchbringt, fühlt man sich richtig gut. Ich habe viele Projekte durchbekommen. Aber mit Erreichen eines Zieles schaut man auf die nächste Stufe, ich wollte noch mehr Macht.
Nur wenige Manager sprechen offen darüber, was sie wirklich antreibt. Bredack: Ich schon: Es war einfach diese Lust auf das nächste große Projekt. Und ich liebe Autos.
Irgendwann haben Körper und Seele nicht mehr mitgespielt.
Bredack: Ehe ich nach Russland ging, hatte ich einen Burnout.
Haben Sie zu viel gearbeitet? Bredack: Das war es gar nicht. Ein Burnout ist nicht das Resultat von zu viel Arbeit. Ich arbeite heute als Gründer und Geschäftsführer der Firma Veganz, die vegane Produkte vertreibt, auch sehr viel.
Was ließ Sie dann ausbrennen? Bredack: Nachlassende Wertschätzung. In Konzernen definieren sich Manager über Faktoren wie: Wo steht mein Auto in der Tiefgarage? Wie groß sind meine Budgets? Wie viele Mitarbeiter habe ich? Dieses Wertesystem ist gefährlich. Denn die Macht, die man hat, ist nur geliehen. Sie kann einem weggenommen werden.
Wurde Ihnen Macht geklaut? Bredack: Ja.
Wie fühlte sich das an?
Bredack: Wie wenn Sie Gas geben, aber nicht vorankommen, weil hinten einer das Auto hochhebt. Genauso fühlt sich ein Burnout an: Die Räder drehen durch und man kommt nicht mehr vorwärts. In einem Konzern hängt alles von Machtstrukturen ab. Ich bekam Projekte plötzlich nicht mehr durch. Wenn einem die Anerkennung entzogen wird und man nichts anderes im Leben als das hat, ist der Burnout nahe. So ist es mir passiert.
Konnten Sie noch arbeiten?
Bredack: Ich war in Behandlung und wurde auch mal für längere Zeit freigestellt. Dann bin ich mit dem Auto durch Europa gefahren. Ich habe mir Gedanken über das Leben gemacht. Es folgte die Trennung von meiner ersten Frau. Aber ich habe noch lange weitergearbeitet.
Es gab eine neue Liebe. Eine Frau, die Sie auf einen anderen Weg geführt hat. Sozusagen eine Retterin.
Bredack: Ja, sie war Vegetarierin. Zunächst habe ich nur ihr zuliebe auf Fleisch und Fisch verzichtet, ohne darüber groß nachzudenken. Dann wuchs nach vier, fünf Monaten mein Bewusstsein, auch weil mich meine Kinder fragten, warum ich kein Fleisch esse. So verzichtete ich komplett auf alle tierischen Produkte, also auch auf Milchprodukte und Eier. Ich wurde Veganer und aß nur noch pflanzliche Produkte.
Sie haben das radikaler durchgezogen als Ihre damalige Freundin, die ja nur Vegetarierin war.
Bredack: Ja. Aber sie wurde dann auch Veganerin. Wir haben zusammen zwei Kinder.
Sie wurden ein anderer Mensch. Bredack: Die Erleuchtung kam nicht über Nacht. Das ist ein langer Prozess. Bei mir dauerte es Jahre. Das fing 2009 an und zog sich bis 2011 hin. Ich habe noch in Diensten von Daimler begonnen, mein eigenes Vegan-Business aufzuziehen. Aus einem Egotrip heraus habe ich mir in Berlin einen Laden nur für vegane Produkte gebaut, weil es so etwas noch nicht gab. Ich wollte so etwas haben und Daimler trotzdem nicht verlassen.
Es kam dann anders.
Bredack: Ja, mein erster Veganz-Laden hat voll eingeschlagen. Dann hat der Laden immer mehr Engagement erfordert und ich habe Daimler 2011 dann doch verlassen.
Leben Sie mit der Frau, wegen der Sie aus Liebe auf Fleisch verzichtet haben, noch zusammen?
Bredack: Nein, wir haben uns getrennt, aber wir kümmern uns bis heute gemeinsam um die Kinder. Und ich habe wieder geheiratet. Heute habe ich sieben Kinder aus drei Beziehungen.
Warum sind Sie dann Veganer geworden? Das ist ja ein radikaler Schritt. Bredack: Zu Beginn ging es mir vor allem um Tierschutz und Ethik, also Achtung vor allen Lebewesen. Und ich wollte gesünder leben. Damals ging es mir noch nicht um Klimaschutz oder die Rettung des Planeten.
Du bist, was Du isst, heißt es ja. Kann man mit Essen die Welt verändern und das Klima retten?
Bredack: Ja, man kann mit Essen die Welt verändern. Und zwar mehr, als wenn man weniger fliegt und weniger mit dem Auto fährt.
Sie haben einmal gesagt, dass Veganer für Sie früher Extremisten waren, die nicht alle Latten im Zaun haben. Haben Veganer wie Sie alle Latten im Zaun?
Bredack: Das Zitat stammt aus meiner Daimler-Zeit. Wenn ich damals an Tierrechtsdemos vorbeiging und erwachsene Menschen wälzten sich in Blut, um auf die Massentierhaltung aufmerksam zu machen, dachte ich, dass sie nicht alle Latten im Zaun haben. Mir war die Art des Protestes zu extrem. Wer sich heute rein pflanzlich ernährt, ist im positiven Sinne extrem, weil er sich extrem für die Umwelt und das Klima einsetzt. Veganer wissen eben, was man mit Essen anrichten kann. Sie sind reflektierte Menschen und haben alle Latten im Zaun. Streng vegane Ernährung ist für Kleinkinder wohl problematisch. Ein Ehepaar in Australien wurde verurteilt, weil seine Tochter mit eineinhalb Jahren erst so weit entwickelt war wie normale Kleinkinder im Alter von drei Monaten.
Bredack: Ernährung, und insbesondere bei Kleinkindern und Heranwachsenden, ist unabhängig der Ernährungsform immer eine verantwortungsvolle Aufgabe. Hierbei ist es besonders wichtig, auf eine bunte, vielseitige, ausgewogene und nährstoffreiche Nahrungszufuhr zu achten. All das bietet die pflanzliche Ernährung im Überfluss und es gibt, wie bei erwachsenen Menschen auch, keine Gründe, in dieser Zeit tierische Produkte zu füttern.
Wirklich nicht? Was ist mit Mangelerscheinungen?
Bredack: Selbstverständlich gilt es auch hier, B12 zu ersetzen, was in Form von Zahnpasta, Tropfen oder auch den zahlreichen, mit Vitamin B12 angereicherten veganen Produkten ohne Aufwand und Probleme möglich ist. Meine zwei kleinen Kinder, die sieben und neun Jahre sind, wurden schon vor ihrer Geburt rein pflanzlich ernährt und entwickeln sich prächtig. Ihrer Gesundheit hat die reine Pflanzenkost gutgetan, sagen Sie. Bredack: Ja, Migräne und Magenschmerzen gingen weg. Die Haut wurde besser.
Kann das auch einfach nur daran gelegen haben, dass Sie weniger Stress hatten?
Bredack: Nein, ich hatte deutlich mehr Stress, als ich mein VeganzUnternehmen aufbaute. Der Stress in einem Konzern wie Daimler ist ja künstlich. Doch wenn man ein Projekt nicht bekommt, ist das nicht kriegsentscheidend. Wenn ich aber heute als mittelständischer Unternehmer Fehler mache, kann das die Existenz der Firma und meine eigene bedrohen. Schon allein deswegen habe ich mehr Stress als früher.
Es gab ja auch massive Rückschläge. Bredack: Ja, ich wollte ganz Europa mit Filialen für vegane Produkte zupflastern. Dann wurde der Lebensmitteleinzelhandel auf uns aufmerksam. Edeka, dm, Metro und Kaiser’s Tengelmann wollten bei uns Produkte kaufen. Ich wurde der größte Importeur veganer Produkte aus Übersee in Deutschland. So fing ich 2014, nur drei Jahre nach Gründung des Unternehmens, an, die Großen der Lebensmittelbranche zu beliefern.
War das der Grund, weshalb Sie für das Filialgeschäft Insolvenz anmelden mussten?
Bredack: Ja, denn der Umsatz in den Filialen brach massiv ein. Schließlich gab es die Sojamilch nicht mehr nur bei uns, sondern auch im Edeka um die Ecke. Bei Edeka wurden phasenweise 300 bis 400 verschiedene Produkte von uns verkauft. Durch den Einstieg in den Großhandel haben wir uns selbst das Wasser im Filialgeschäft abgegraben. Also musste ich 2016 die bittere Entscheidung treffen, den Großteil der Filialen in die Planinsolvenz in Eigenverwaltung zu schicken. Ich musste 250 Mitarbeiter entlassen. Das war heftig.
Trotzdem haben Sie keinen weiteren Burnout erlitten. Warum hat Sie das alles nicht umgehauen?
Bredack: Weil es im positiven Sinne weiterging. Das Geschäft durchlief eine erneute Metamorphose: Wir hatten entschieden, Produkte unter meiner eigenen Marke „Veganz“zu entwickeln und zu verkaufen. Wir haben 2018 auch das Großhandelsgeschäft eingestellt und setzen seitdem nur noch auf Produkte unserer eigenen Marke. Heute findet man 165 unserer Produkte – vom Schoko-Riegel bis zum veganen Schnitzel – fast überall im Lebensmittelhandel. Das Geschäft betreiben wir international. Wir entwickeln alle Produkte selbst und lassen sie produzieren.
● Jan Bredack, 47, legte nach Lehrund Gesellenjahren im Kfz-Handwerk beim Stuttgarter Daimler-Konzern die Meisterprüfung ab. Danach machte er dort Karriere. 2008 folgte nach einem Burnout ein radikaler Lebenswandel. (sts)