Grün gewählt
Fern der Partyhochburgen. Die Halbinsel Samaná hat sich noch viel Ursprünglichkeit bewahrt
Der weiße Sand fühlt sich unter den Füßen an wie fein gemahlen, die Palmenblätter wiegen sich leicht im Wind. Der Blick auf das glasklare, türkisfarbene Wasser reicht kilometerweit über das Meer. Auch wer noch nicht selbst an diesem Ort stand, so kennen ihn doch Millionen Menschen aus einem Werbespot – das zumindest erzählt man sich in der Dominikanischen Republik. Hier, auf Cayo Levantado, soll einst der Rumhersteller Bacardi gedreht haben. Heute, über 15 Jahre später, gehört der Großteil der Insel im Norden des Landes zur Anlage eines Fünf-sterne-ressorts – mit Ausnahme eines öffentlichen Strandes für Tagestouristen. Es ist einer von vielen paradiesischen Orten, die die Dominikanische Republik zu bieten hat.
Das Land mit rund 8,5 Millionen Einwohnern lebt neben dem Export von Kokosnüssen, Fisch und Bananen vor allem im Süden schon lange vom Tourismus. Im Norden, auch auf der Halbinsel Samaná, geht es dagegen noch etwas ursprünglicher zu: So manchen Traumstrand, wie den Playa Moron, an dem Popstar Rihanna eine Strandvilla haben soll, und den Playa Rincon, der zu einem der zehn schönsten Strände der Welt zählt, hat man an guten Tagen sogar ganz für sich alleine. Fast magische Einblicke in die Natur bieten der Nationalpark Los Haitises – und eine Fahrt auf dem Fischerboot auf dem Süßwasserfluss Cano frio durch die Mangroven.
Einer, der dem Charme des Landes erlegen ist, ist Frank Bataillard. Der 44-Jährige hat seine Liebe zur Dominikanischen Republik schon vor 20 Jahren bei einem Urlaub entdeckt – und vor über vier Jahren dann beschlossen, sein geregeltes Lebens als Buchhalter in der Itbranche in der französischen Schweiz aufzugeben und auszuwandern. Damals habe er einfach gemerkt: Das ist jetzt der Zeitpunkt. „Wenn man zu lange wartet, macht man es sonst nie.“Besonders der grüne Norden des Landes, allen voran die Halbinsel Samaná, hatte es Bataillard angetan: „Ich habe Samaná gesehen und wusste: Das ist, wo ich hingehe.“Bereut hat er seine Entscheidung nicht, er wirkt vollends zufrieden mit dem Leben, das er heute auf der Insel führt – auch wenn es so anders ist als die ganzen Jahre zuvor. Mit der Pünktlichkeit nimmt man es hier nicht so genau, daran hat sich Bataillard schon gewöhnt. „Man muss sich integrieren, man kann kein ganzes Land ändern“, sagt er schlicht.
Regeln gibt es in der Dominikanischen Republik generell um einiges weniger, als es Europäer so gewohnt sind. Um das zu merken, braucht man nur einen Blick aus dem Fenster auf die Straße zu werfen: In den Städten düsen kreuz und quer kleine und große Motorräder herum – teilweise mit einer ganzen kleinen Familie besetzt.
Am Straßenrand stehen viele kleine, halb fertige kleine Häuser – ein Teil aus Wellblech und Holzlatten, der andere aus Betonsteinen. Gebaut wird hier, wenn gerade genügend Geld da ist. Bis die neue Unterkunft fertig ist, können dann auch einmal bis zu 15 Jahre vergehen. Auch deshalb, weil sparen nicht zu den beliebtesten Verhaltensweisen der Dominikaner zählt: Wer ein paar Pesos mehr auf der Hand hat, gibt sie lieber direkt wieder aus. Zum Beispiel an einer der unzähligen kleinen Häuschen mit der Aufschrift „banca“. Darin befindet sich aber keineswegs Bank – die heißt „banco“– sondern eine Lotterie. Fast 30 000 Stück, meist in privater Hand, gibt es im ganzen Land – zumindest registrierte. Glücksspiele sind bei den Dominikanern wahnsinnig beliebt, bis zu fünfmal am Tag erfolgt eine Ziehung – und, glaubt man offiziellen Statistiken, werden dabei locker über 100 Millionen Dominikanische Peso pro Tag verspielt. Zum Vergleich: Das sind an die drei Millionen Euro. Der Traum vom sorglosen Leben im Reichtum, natürlich gibt es ihn auch hier.
Reich sind die Einwohner dagegen vor allem an einer Eigenschaft, wie Frank Bataillard erzählt: Gastfreundschaft. „Die Samaner kochen immer einen Teller mehr, falls jemand zu Besuch kommt.“Bei Morena sind es an diesem Tag ein paar Teller mehr – wie immer, wenn Bataillard, der hauptsächlich vom Tourismus lebt, Reisende mitbringt und ihnen damit Einblick in das Alltagsleben der Einwohner gibt. Bataillard hat Morena und ihre Familie damals kennengelernt, als er in den gleichen Ort, El Limón, zog. Seitdem ist die 54-jährige Morena für ihn zu einer „Ersatzmutti“geworden. Ein guter Draht zu den Nachbarn sei wichtig, erklärt der 44-Jährige. Schon allein deshalb, weil die allermeisten Häuser offene Fenster ohne Gitter haben, teure Alarmanlagen können sich nur die wenigsten Einwohner leisten. Ohne wachsame Augen hätten Einbrecher leichtes Spiel. „Die erste Sicherheit ist hier der Nachbar“, sagt Bataillard. So ein Nachbarschaftsgefühl, das finde man in Europa kaum.
Wenn der 44-Jährige Touristen mitbringt, wird fast immer Sancocho gekocht, ein landestypischer Eintopf mit allerlei Gewürzen, Maniok, Sellerie und natürlich Kochbananen. An Fleisch darf alles hinein, was gerade zur Hand ist, egal ob Huhn, Rind oder Schwein. Die meisten Zu- taten hat Bataillard vorher auf dem Markt in Samaná gekauft, wo in der Verkaufshalle der Geruch von Koriander durch die Luft weht und karibische Musik läuft.
Neben dem Nationalgericht Sancocho landen in der Dominikanischen Republik vor allem Reis, Bohnen, frittierte Kochbananen und Fleisch auf den Tellern. Fisch ist teurer und damit seltener. Wer als Tourist an typischen Landesspeisen interessiert ist, sollte am besten die Comodores besuchen, das sind kleine, schlichte und familiäre Restaurants. Die flüssigen Pendants zu den Nationalspeisen sind Fruchtsäfte, Bier und natürlich Rum – die Einwohner nennen das alkoholische Getränk aus Zuckerrohr „Medizin“und trinken es entweder pur oder mit Cola. Gerne wird auch einfach ein bisschen Kakao in heißem Wasser aufgelöst. Überhaupt: Schokolade ist eine Nationalspezialität, im vergangenen Jahr erhielt das Land einen Preis für den besten Kakao. Mit einem Stück Brot dazu ist es für die Dominikaner ein unkompliziertes Abendessen.
Zurück zum Eintopf Sancocho bei Morena: Mittlerweile köchelt alles in einem großen Topf auf dem steinernen Ofen hinter dem Haus von
Acht Menschen wohnen in drei Zimmern
der 54-Jährigen und ihrer Familie – und landet etwa eine Stunde später auf den Tellern. Im Esszimmer, das gleichzeitig als Wohn- und Arbeitszimmer dient. Mit ihrem Mann und den sieben Söhnen wohnt Morena in drei Räumen – nichts Außergewöhnliches in der Dominikanischen Republik. Und stören tut es die Einwohner auch überhaupt nicht. „Man lebt nicht zu Hause. Man isst, man schläft da, aber man lebt auf der Straße“, sagt Auswanderer Bataillard und fügt hinzu: „Armut ist hier relativ.“
Die große Freiheit des Landes bringt den rund 8,5 Millionen Einwohnern aber auch Nachteile: Soziale Absicherung gibt es wenig, und als Rente bekommen die Einwohner nur so viel, wie sie selbst tatsächlich auch eingezahlt haben. Da die meisten lieber im Hier und Jetzt leben, sei das meist nicht viel. Schätzungen zufolge haben 60 bis 70 Prozent der Dominikaner Interesse daran, auszuwandern. Daran denkt Bataillard erst einmal nicht, für die Zukunft ausschließen will er eine Rückkehr nach Europa aber nicht: „Ich kann nicht sagen, ob ich hier für immer bleibe. Ich fühle mich zwar sehr wohl, aber nichts ist für immer.“Noch nicht einmal ein Leben umgeben von Kokospalmen und den paradiesischten Stränden der Welt.