Wertingens Stadtpfarrer setzt auf Bewegung
Rupert Ostermayer sucht mit Coach Markus Kratzer die eigene Balance und spürt dabei seine vielen kleinen Muskeln. Warum es trotz Kälte kein Zurück gibt und was die Natur ihn an diesem Morgen lehren kann
Wertingen/Rieblingen Es ist kalt an diesem Morgen. Die Anzeige im Auto zeigt fünf Grad minus Außentemperatur. Ein eisiger Wind pfeift über die Felder auf der Anhöhe am Ortsrand von Rieblingen. Den spüren auch Rupert Ostermayer und Markus Kratzer, als sie sich gemeinsam auf den Weg machen. Der Wertinger Stadtpfarrer will den Fokus – wie berichtet – während der diesjährigen Fastenzeit auf seinen Körper und dessen Beweglichkeit legen. Sein einstiger Abiturkollege und heutiger Personal-Coach Markus Kratzer aus Biberbach unterstützt ihn dabei, in Bewegung zu kommen.
Der Pfarrer weiß, dass zum ganzheitlichen Wohlfühlen neben Geist und Seele der Körper gehört. „Aus eigenem Antrieb suche ich keine Bewegung“, gibt er offen zu. Auch sein Beruf bringe kaum körperliche Anstrengungen mit sich. Jetzt hat er sich entschieden, selbst Initiative zu ergreifen. Eigene Walkingstöcke besitzt er bereits, lässt sie locker rechts und links am Körper mitschwingen. Seite an Seite setzen sich die beiden ehemaligen Schulkameraden in Bewegung, erkunden in der folgenden Stunde gleichermaßen die eigene Heimat und den eigenen Körper. Links liegt Prettelshofen, rechts hinterm Berg der Biberbacher Ortsteil Markt und vor ihnen der kleine Weiler Neuschenau. Während sich der Körper von Minute zu Minute aufwärmt, lenkt Kratzer den Fokus des Pfarrers auf das Gehör. Der hört die Stöcke klappern, den Wind rauschen und – auf den letzten Metern – ein paar Vögelchen zwitschern. Ostermayer bleibt im Hören, richtet seinen Fokus jetzt allerdings nach innen auf den eigenen Atem. „Alles ruhig“, berichtet der 49-Jährige. Als er anschließend probiert, bewusst ein bisschen länger auszuatmen, empfindet er schnell Atemnot und kehrt gerne in seinen natürlichen Atemrhythmus zurück. Bis die beiden an einem kleinen Weiher jenseits der Straße ankommen, riechen sie „ganz viel frische, saubere Winterluft“. Eine Spur frischer Fußstapfen führt von der Straße weg durch den frischen weißen Schnee zum Wasser. Sie stammen von Markus Kratzer. Frühmorgens hat der 50-jährige Coach die Strecke bereits erkundet – auf dem Rückweg vom Gebet in Wertingen. Zum zweiten Mal hatte an diesem Donnerstag frühmorgens um 6 Uhr daran teilgenommen und – wie Pfarrer Ostermayer lachend bemerkt – ihm selbst alle Möglichkeiten einer Absage genommen. Wie berichtet, lässt Kratzer sich im Gegenzug auf das Experiment des Stillsitzens ein. Die Uhrzeit kommt Kratzer als Frühaufsteher entgegen, schlüpft er doch immer mal wieder schon vor dem Frühstück in die Laufschuhe. Sich sitzend in aller Ruhe auf den Tag auszurichten, ist für ihn dagegen ungewöhnlich. Erneut erkennen die beiden Männer ihre Unterschiedlichkeiten an. „Das Sitzen hat gut getan“, gesteht Kratzer während Ostermayer sich – nach anfänglicher Skepsis – freudvoll auf die Körperübungen am Weiher einlässt. Neben dem Herz-Kreislauf-Training geht es Kratzer jetzt um die Mobilisierung des Rückens. Er reicht seinem Gegenüber das Ende eines dehnbares Gymnastikseils und behält das andere Ende in den eigenen Händen. Erst auf beiden Füßen, dann auf einem Bein stehend streckt und beugt der Pfarrer seine Arme. Zunächst kommt das Seil von vorne, anschließend von hinten. Danach drückt Kratzer punktuell gegen verschiedene Körperteile und erklärt: „Der Mensch ist dafür gemacht, barfuß durch den Wald zu laufen. Indem wir heute mit Schuhen über geteerte und gepflasterte Straßen laufen, verkümmern die Muskeln der Balance.“Rupert Ostermayer spürt, wie die vielen kleinen Muskeln seines Körpers zusammenarbeiten müssen, um das Gleichgewicht zu halten. „Die Muskeln, die dich aufrichten, bekommen so wieder mehr Power“, motiviert der Coach ihn und verspricht, dass der Pfarrer aufgrund des Trainings nach dem Duschen aufrechter in den Tag gehen werde. „Hast du noch so etwas in deiner Wundertüte?“, fragt Ostermayer gut gelaunt und staunt darüber, was prompt folgt. Der Coach reicht ihm seinen Rucksack. Mit acht zusätzlichen Kilos macht sich der Wertinger Pfarrer auf den ansteigenden Rückweg und kommt an diesem Morgen erstmals wirklich ins Schwitzen. Der 49-Jährige spürt deutlich, um wie viel mehr sein Körper mit dem extra Gewicht leisten muss. Für Kratzer steckt in dem Rucksack gleichzeitig eine Metapher: „Er ermöglicht einem, Belastung zu spüren.“
Nach dem Riechen und Hören soll sich Ostermayer nun auf das Sehen konzentrieren. Zunächst fokussiert er alles Braune an, danach liegt nacheinander das Grau, Gelb und Lila in seinem Blickfeld. Wie reagiert er, wenn sich eine Fülle von Möglichkeiten vor ihm auftut? Wie, wenn er nichts Wirkliches findet, stattdessen seine Fantasie zu arbeiten beginnt.
Manche der Übungen erinnern den Pfarrer an seine Exerzitien,
„Der Mensch ist dafür gemacht, barfuß durch den Wald zu laufen. Indem wir heute mit Schuhen über ge teerte und gepflasterte Stra ßen laufen, verkümmern die Muskeln der Balance.“Markus Kratzer, Personal Coach
wenn er mit offenen Sinnen durch die Natur geht, um seine Aufmerksamkeit zu wecken. „Die Gedanken gehen dorthin, wohin sich der Fokus richtet“, unterstreicht Markus Kratzer und lenkt den Blick auf das, was (in uns) funktioniert. „Unsere Augen, Ohren, Gelenke erfüllen seit Jahrzehnten tagtäglich ihren Dienst.“Der 50-Jährige lädt zu eier nem Rundumblick ein. Bei der Bewegung könnten wir wie bei vielem anderen von der Natur viel lernen: „Es gibt Zeiten, da tut sich nichts, und dann geht’s wieder los.“
Mit einem rotbackigen Apfel und einer respektvollen Verbeugung verabschiedet der Coach den Pfarrer nach einer wahrlich bewegenden Stunde. Begegnungen haben Wertingens Stadtpfarrer Rupert Ostermayer und der Personal Coach Markus Kratzer wäh rend der Fastenzeit einmal pro Woche vereinbart. Unsere Zeitung begleitet sie dabei und berichtet darüber, was sich bei den beiden Männern im gegenseitigen Austausch in den sechs Wochen vor Ostern körperlich, geistig und seelisch entwickelt.