Warum brauchen wir eine Religion?
Wort zur Woche
„Sag Heinrich, wie hältst du’s mit der Religion?“, fordert Gretchen Faust in der berühmten Gartenszene heraus. Als er ausweicht, hakt sie nach: „Glaubst du an Gott?“Und Faust zögert mit der Antwort, versucht zu erklären. „Nenn‘s Glück! Herz! Liebe! Gott! Ich habe keinen Namen dafür.“
In einer Zeit, die buchstäblich „überfüllt“ist mit spirituellen und religiösen Angeboten, stellt sich gewiss auch uns die Frage, oder wir sollten sie uns ernsthaft stellen: Warum brauchen wir eine Religion? Unsere Antwort auf diese „Gretchenfrage“hängt von vielen Faktoren ab. Sicher gehört das Wissen dazu, über das wir verfügen und das sich vor allem in den letzten Jahrhunderten ungemein verändert hat.
Von uns heute verlangt die Gretchenfrage eine jeweils besondere und eigenständige Antwort. Anders als Faust und sein Dichter Goethe kennt die Wissenschaft die Quantensprünge von Atomen und Molekülen und darüber hinaus einen Anfang als Urknall und die überbordende Unermesslichkeit des Universums. Vertraut ist unsere Gegenwart auch mit den dynamischen Gedanken der Evolution und den dazugehörigen Folgerungen. Zwar verdrängt dieses Wissen keinesfalls Gott und unsere Religion, aber es macht unseren Glauben an einen personalen Gott anfällig und schwierig.
Deshalb halte ich die Frage angebracht und höchst „zeitgemäß“. Von welchem Stammbaum der erste Mensch heruntergestiegen ist, um den aufrechten Gang zu lernen, wissen wir nicht. Ziemlich sicher wissen wir aber, dass Religion etwas Urmenschliches ist und sich schon bei frühen Menschenformen wie Neandertaler und Homo erectus findet. Ich wage also zu behaupten: Unser Menschsein beginnt, wenn wir fähig sind „religiös“zu sein. Unter Religion verstehe ich die Rückbindung an etwas Göttliches. Wir haben eine natürliche Tendenz zum Übernatürlichen.
Stellen wir uns der Gretchenfrage – und antworten wir.