Schluss mit der Steinerei
Titel Thema Wie eine Illertisser Initiative die grassierende Ödnis in vielen Gärten beseitigen will
Illertissen Wäre der Garten Eden nach dem Geschmack heutiger Häuslebauer angelegt worden, hätte es wohl keine Gelegenheit zum Sündenfall gegeben: Vor allem in modernen Vorgärten ist die Steinzeit zurückgekehrt mit großzügig geschotterten Flächen, auf denen es keinen Platz mehr gibt für Pflanzen und Bäume, an denen etwa verbotene Früchte reifen können. Dieter Gaißmayer von der Illertisser Stiftung Gartenkultur hält solche bewuchsfreien Wüsteneien selbst für einen Sündenfall und kann sich darüber wortreich aufregen. Dabei belässt er es natürlich nicht, denn als pfiffiger und umtriebiger Geist, der er ist, hat er zusammen mit der Stiftung der grassierenden Steinerei den Kampf angesagt – und immer mehr Sympathisanten gewonnen. 2015 nahmen Gaißmayer und seine Mitstreiter mit Unterstützung des Kreises Neu-Ulm den Kampf gegen den schleichenden Schwund des Gartengrüns auf unter dem Schlachtruf „Entsteint euch“. Offenbar blieb er nicht ungehört: „Die Aktion fasst immer mehr Tritt“, freut sich Gaißmayer, „wir bekommen zunehmend Anfragen von auswärts.“
Offenbar hat „Entsteint euch“bei vielen einen Nerv getroffen, denn nicht nur in Vorgärten breitet sich das aus, was Gaißmayer die „grassierende Steinpest“nennt, sondern nicht wenige Städte und Kommunen wandeln öffentliche Grünflächen in vermeintlich pflegeleichte Schotterödnis um. Dann muss der Bauhof nicht mehr so oft zum Jäten und Schneiden ausrücken. Doch unter dem Druck der billig aus Asien importierten Steine stirbt der Boden, der vorher voller Würmer und Mikroorganismen steckte, und Insekten finden immer weniger Nahrung dank der dekorativen Ödnis.
Der Aufschrei der „Entsteint euch“-Aktivisten erinnert nicht von ungefähr an die Parole „Empört euch“. Die hatte vor einigen Jahren der französische Ex-UN-Diplomat Stéphane Hessel als Titel eines viel beachteten Essays gewählt, in dem er zum Widerstand gegen die politischen Entwicklungen der Gegenwart aufrief. Gaißmayer räumt ein, dass die Parallele zu Hessel durchaus gewollt sei.
Auch die widerständigen Illertisser scheinen einen gewissen Nerv getroffen zu haben, das lässt sich tatsächlich sehen: Auf dem Gelände der Stiftung gibt es einen kleinen Garten, in dem ein Haufen Kiesel aufgeschüttet ist. Dort können alle, die sich entschlossen haben, ihr Grundstück wieder zu entsteinen, symbolisch ein paar Brocken aus ihrem Besitz abladen. Dafür bekommen sie etwas zurück: Wer eine freiwillige Selbstverpflichtung zur Beseitigung seiner Kiesflächen unterschreibt, erhält von der Stiftung Gartenkultur und dem Verein „Förderer der Gartenkultur“einen Sack „Bodenaktivator“, mit dem sich das ramponierte Erdreich biologisch wieder auf Vordermann bringen lässt, und einen Gründünger, damit die Flora wieder sprießen kann. Irgendwann wird auch über den kleinen Kieshügel, auf den die Gartenentsteiner ihre nunmehr überflüssig gewordenen Bröckchen abkippen können, Gras gewachsen sein. Dort sollen einmal heimische, vom Aussterben bedrohte Pflanzen angesiedelt werden, denn kahle Schotterflächen hält Dieter Gaißmayer schlicht für einen „Unort“.