Spurensuche beim Tatort
Fernsehen Die Rücktritte von Kommissaren bewegen Deutschland. Und sie werfen die Frage auf: Was kommt nach Lürsen und Kopper? Eine private Zukunftsvision
Augsburg Sagt Nils Stedefreund: „Ein Serienmörder?“Antwortet Linda Selb: „Wär’ doch cool, oder?“Er ist Bremer Hauptkommissar, sie vom Bundeskriminalamt (BKA). Das ist auch cool, weil beide ihren Job trotz der Sprüche ernst nehmen. Zu hören ist der Dialog in der „Tatort“-Folge „Nachtsicht“, die am Sonntag ausgestrahlt wird.
Bekanntlich ist 2019 Schluss mit dem Bremer Duo Inga Lürsen (Sabine Postel, 62) und Stedefreund (Oliver Mommsen, 48). Radio Bremen hat sich wortreich in einer Art Politsprech bedankt. Was man gemeinhin als Rauswurf deuten könnte. Die Schauspieler schweigen.
Der Hauptkommissar ist ein Mensch wie du und ich. Vielleicht ein bisschen cooler, so wie die Fans der ungewöhnlichsten Krimireihe Europas.
Dass der TV-Beamte manchmal im besten Alter gehen muss, hat aber nichts mit Einsparmaßnahmen zu tun, sondern mit Einschaltquoten und viel mehr noch mit Wettbewerbsvisionen der Anstalten, selbst innerhalb des gepamperten öffentlich-rechtlichen Systems. Ein Wettbewerb, der vom Gebührenzahler offenbar mit Freude finanziert wird. Zwischen acht und zehn Millionen Zuschauer verfolgen sonntags den Krimi. Was seit kurzem nicht mehr so richtig funktioniert. Nur 6,34 Millionen Zuschauer sammelte der zum großen Teil in Mundart improvisierte „Tatort: Babbeldasch“aus Ludwigshafen ein. Ein Anschlag auf die lange vertretene These, wonach ein „Tatort“mentalitätsmäßig und sprachlich seine Herkunft belegen sollte. Schließlich sind es 21 Teams, die Krimi-Deutschland vertreten.
Vor allem beim Südwestrundfunk (SWR) hakt es wie bei den Kaffeeautomaten der Polizei, die bundesweit einen strapazierten Gag hergeben. Bekanntlich scheidet in Ludwigshafen im Herbst der bei Zuschauern beliebte Mario Kopper, gespielt von Andreas Hoppe, 56, aus. Kollegin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts, 55), seit 1989 vor Ort, bleibt uns erhalten. Kopper, der Halbitaliener, hatte gesagt, dass er zwar nicht „Tatort“-müde sei, aber „so viele Leichen können schon belastend sein.“Ein Schauspieler, der ein Buch über Sizilien schreibt und sich über fiktive Fernsehleichen beklagt, das hat schon was.
Beton hat der SWR auch bei Harald Schmidt angerührt, der seinen Job als Kripo-Direktor im Schwarzwald gar nicht erst antreten wollte. Warum, sei seine Sache.
Offensichtlich beeinflusst ein Generationenkonflikt die Akzeptanz der Reihe, die mit der unsinnigen Quotenfrage im Grund nichts zu tun hat. Mag ARD–Programmchef Volker Herres auch recht haben, wenn er „regionale wie innovative Vielfalt“fordert, der Trend im Sammelsurium der ARD-Anstalten befördert seit Jahren einen optischen wie akustischen Mainstream-Mix, egal ob der „Tatort“in Stuttgart, Saarbrücken oder in Frankfurt spielt. Wo gerade noch der Spurensicherer Dialekt spricht – aber da muss man schon Glück haben.
Aber vor allem gehen dramaturgische und ästhetische Risse durch das Land. Es gibt kein einig „Tatort“-Land. Der kinogeschulte Zuschauer etwa steht auf die „Tatort“-Beiträge mit Ulrich Tukur aus Wiesbaden. Die jüngeren Taffen fahren ab auf die Schauspieler Christian Ulmen und Nora Tschirner (Weimar), Jörg Hartmann, Anna Schudt und Aylin Tezel (Dortmund). Und fast alle, die es gemütlich wollen, auf Liefers und Prahl in Münster.
Blieben noch die alten Hasen, von denen keiner offenbar an Rücktritt denkt. Weil die Welt sich zwar weiterdreht, aber auch der Fernsehkrimi seine Konstanten braucht. Da verscheuchen wir mal alle Gedanken an den Vorruhestand. Auch wenn Miroslav Nemec, 62, und Udo Wachtveitl, 58, längst als grau- bis weißhaarige bayerische Löwen durchgehen könnten. Sie haben eine treue Anhängerschaft, wie auch die Kölner Klaus J. Behrendt, 57, und Dietmar Bär, 56.
Und, liebe „Tatort“-Freunde, nun spielen wir mal Besetzungschef, wenn die Sender selbst nichts sagen.
Bremen Stedefreund könnte man behalten und ihm die ehrgeizige rothaarige BKA-Frau zur Seite stellen, Linda Selb (Luise Wolfram). Aber sie würde sich karrieremäßig nicht verbessern. Und sie sind verbandelt. Nicht ideal, Zoffgefahr!
Ludwigshafen Lena Odenthal hatte sich zuletzt verdächtig schnell mit der Fallanalytikerin und Rivalin Johanna Stern (Lisa Bitter) angefreundet. Wird das ein Frauenduo? Wenn ja, kann dann Superfrau Stern ständig ihre Zwillinge ins Büro schieben? Gibt es eine Stern-OdenthalWickel-WG in Lenas neuem Loft? Wir warten es ab und haben unsere Zweifel, ob das gut geht.