Er war Mister Bundesbank
Nachruf Der frühere Bundesbank-Präsident Hans Tietmeyer ist im Alter von 85 Jahren gestorben. Die Zukunft des Euro lag ihm am Herzen
Frankfurt am Main Hans Tietmeyer war der letzte Bundesbank-Präsident der D-Mark-Ära und einer der Väter der europäischen Gemeinschaftswährung. Jetzt ist der Diplom-Volkswirt im Alter von 85 Jahren gestorben. Den Weg zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion gestaltete der gebürtige Westfale maßgeblich mit, für Deutschland saß er im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB). Immer wieder trieb Tietmeyer, der für viele bis heute „Mister Bundesbank“ ist, jedoch die Sorge um die Stabilität des Euro um.
Lange bevor hoch verschuldete Staaten und klamme Banken die Gemeinschaftswährung an den Rand des Scheiterns brachten, mahnte Tietmeyer solide Staatsfinanzen, grundlegende Reformen und eine engere politische Union an. „Die Geldpolitik kann den anderen Politikbereichen – weder der Finanznoch der Sozial- und Lohnpolitik – ihre Aufgaben nicht abnehmen“, warnte er bereits 1998.
Der Diplom-Volkswirt „mit preußischer Disziplin“, wie er selbst sagte, scheute keinen Konflikt mit der Regierung und kritisierte mehrfach wirtschaftspolitische Entscheidungen. So bezeichnete er die Währungsumstellung in der DDR im Jahr 1990 im Verhältnis 1:1 als großen Fehler.
Als CDU-Mitglied verfasste Tietmeyer 1982 für den damaligen FDP-Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff das berühmte „Lambsdorff-Papier“, das den Bruch der sozialliberalen Regierung und den Sturz von Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) eingeleitet hat.
Seine Standfestigkeit hat Tietmeyer einmal selbst so beschrieben: „Westfälische Eichen können schon einiges aushalten.“
Tietmeyer folgte auf Helmut Schlesinger als Bundesbank-Präsident. Von 1993 bis 1999 stand er an der Spitze der Notenbank in Frankfurt. Insider nannten ihn die „Ikone der Geldpolitik“, oder in Anlehnung an den legendären amerikanischen Notenbank-Präsidenten Alan Greenspan den „Greenspan Europas“.
Der frühere EZB-Präsident JeanClaude Trichet bescheinigte Tietmeyer, persönlich eine Menge von ihm gelernt zu haben. BundesbankPräsident Jens Weidmann würdigte ihn als einen herausragenden Präsidenten, „dessen Handeln stets klaren und festen Linien mit dem Ziel der Geldwertstabilität folgte“.
Auch nach seiner Zeit in Frankfurt ließ Tietmeyer die Sorge um den Euro nicht zur Ruhe kommen. Die hohen Defizite vieler Eurostaaten und die Aufweichung des EuroStabilitätspaktes waren ihm ein Dorn im Auge. 2005 betonte er, Europa habe in der Fiskaldisziplin erhebliche Probleme: „Das heißt, es geht darum, dass die Länder, die heute große Defizite und hohe Schuldenstände haben, nachhaltige Korrekturen vornehmen, die das Defizit – vor allem von der Ausgabenseite her – begrenzen. Denn das ist das Entscheidende.“Nur so könne Vertrauen bei den Menschen und bei den Investoren geschaffen werden.
Gern schilderte der Westfale, der in bescheidenen dörflichen Verhält- nissen in Metelen aufgewachsen war, seine Gedanken sachlich und trocken. So gab Tietmeyer die Anekdote zum Besten, er habe 1998 im Jahr der Euro-Einführung das Orakel von Delphi gefragt, welche Währung auf Dauer stabiler sein werde: die Mark oder der Euro. Zur Antwort habe er erhalten: „Die Mark nicht der Euro.“Offen ließ Tietmeyer, welche Währung es denn nun sei – an welcher Stelle das Orakel das Komma setzte, ob vor oder nach dem „nicht“, klärte er bewusst
Ein Volkswirt mit preußischer Disziplin Die besondere Ironie der „westfälischen Eiche“
nicht auf. Das war seine besondere Form der Ironie. In solchen Momenten pflegte Tietmeyer trocken zu lachen.
Der frühere Bundesbank-Präsident begann seine Karriere im Jahr 1962 als Beamter im Bonner Wirtschaftsministerium. Zwanzig Jahre später wechselte er als Staatssekretär ins Bundesfinanzministerium. Als persönlicher Beauftragter bereitete er für den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) die internationalen Wirtschaftsgipfel vor. Die terroristische RAF scheiterte 1988 mit einem Anschlag auf ihn. Nach seiner Zeit in Frankfurt saß Tietmeyer in zahlreichen Gremien und Aufsichtsräten.
Als Vorsitzender des Kuratoriums der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“trieb der zweifache Vater zwölf Jahre lang die Erneuerung der Marktwirtschaft voran. Mit Tietmeyer verliert Deutschland einen seiner wichtigsten wirtschafts- und geldpolitischen Persönlichkeiten. (dpa/sts)