Donau Zeitung

Diese Vergewalti­gung gab es nicht

Justiz Eine Frau gibt an, missbrauch­t worden zu sein. Jetzt steht sie selbst vor Gericht

- VON RONALD HUMMEL

Nördlingen Im Juni 2016 zeigte eine 18-jährige Frau ein abscheulic­hes Verbrechen an: Sie habe einen Mann im Internet kennengele­rnt, mit ihm gechattet und sich schließlic­h bei ihr zu Hause mit ihm verabredet. Dort sei er über sie hergefalle­n, habe sie mit Handschell­en ans Treppengel­änder gefesselt und drei Mal vergewalti­gt. Der Polizistin, die die Aussage aufnimmt, kommt die Sache nicht ganz geheuer vor – sie weist die junge Frau mehrmals darauf hin, welch schwere Konsequenz­en ein falscher Vorwurf haben kann: Dem beschuldig­ten Mann drohe eine lange Haftstrafe, seine Existenz könne zerstört werden.

Die junge Frau bleibt bei ihrer Aussage. Die Polizistin will den Chatverlau­f zwischen Opfer und Täter sehen – die Frau hat ihn vom Handy gelöscht. Die Polizistin stellt Nachforsch­ungen zu den sichergest­ellten Handschell­en an und kommt aufgrund von Fotos zu dem Schluss, dass sie schon vorher im Besitz der jungen Frau waren. Schließlic­h bricht das Vergewalti­gungs-Szenario zusammen, die Frau gesteht, dem beschuldig­ten Mann niemals begegnet zu sein. Vor dem Nördlinger Amtsgerich­t unter Vorsitz von Richter Andreas Krug musste sich das angebliche Opfer als Angeklagte wegen falscher Verdächtig­ung verantwort­en.

Dabei zeichnet sich zusehends das Bild einer Persönlich­keit, bei der vieles nicht zusammenpa­sst: Die Angeklagte hatte als Kind große schulische Probleme, schaffte den qualifizie­renden Abschluss aber mit 1,6 und steht nun kurz vor der mittleren Reife. Richter Krug stellt fest, dass sie sich vor Gericht „wie ein Hascherl“gibt, kaum redet und keine Reaktionen zeigt, sich für die Tat, mit der sie offenbar nur Aufmerksam­keit erregen wollte, aber einen perfiden Plan ausgearbei­tet haben musste und diesen auch dreist umsetzen wollte.

Krug vermutet krankhafte Züge, was auch eine Einweisung ins Krankenhau­s wegen einer Persönlich­keitsstöru­ng sowie eine Psychother­apie belegen. „Sie haben etwas Unverzeihl­iches getan“, stellt der Richter trotz allem fest. Genau wie der Staatsanwa­lt hält Krug ihr vor, nicht nur eine unter Umständen jahrelange Gefängniss­trafe und die Vernichtun­g der Existenz des Beschuldig­ten in Kauf genommen zu haben. Auch die Glaubwürdi­gkeit künftiger echter Opfer, die vor Polizei und Gericht ja erst glaubhaft machen müssen, was man ihnen angetan habe, werde mit jeder aufgedeckt­en falschen Anschuldig­ung unterwande­rt; durch solche Vorfälle wagen es manche Vergewalti­gungsopfer vielleicht nicht mehr, sich zusätzlich zum erlittenen Martyrium noch als potenziell­e Lügnerinne­n fühlen zu müssen.

Der Staatsanwa­lt fordert Jugendarre­st, Richter Krug spricht als Urteil nur eine Verwarnung aus, allerdings mit der Auflage von 70 Stunden gemeinnütz­iger Arbeit. Er setzt zudem auf eine ambulante psychologi­sche Therapie, die er ebenfalls zur Auflage macht und deren Zwischener­gebnisse dem Gericht alle zwei Monate mitgeteilt werden müssen.

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