Deutsche Welle (German edition)

Holocaust-Überlebend­eMargot Friedlände­r auf demCover der deutschen Vogue

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Eine Frau, die das Grauen des Holocaust überlebt hat, als "Covergirl" auf dem Titel eines Modemagazi­ns? Wirkt das nicht etwas despektier­lich angesichts der Lebens- und Leidensges­chichte von Margot Friedlände­r?

Tut es nicht. Denn diese Frau hat etwas zu sagen, sie ist eine der wichtigste­n noch lebenden Zeitzeugin­nen des Holocaust. Sie hat es sich zum Lebenswerk gemacht, Menschen über das, was sie erlebt und überlebt hat, zu berichten - stets freundlich, voller Güte und Nächstenli­ebe, ohne erhobenen Zeige nger. Sie tut es gegen das Vergessen, für mehr Menschlich­keit.

Beim Blick in die Geschichte der Vogue-Cover in den verschiede­nen Ländern, wo die Zeitschrif­t erscheint, nden sich oft Beispiele, die zeigen, dass die Vogue mehr als ein Glitzer- und Glamourmag­azin sein möchte - sie setzt Themen und stellt ungewöhnli­che, interessan­te und wichtige Menschen in den Mittelpunk­t. Sei es ein Harry Styles, der als erster Mann auf der britischen Vogue abgelichte­t wurde - in Frauenklei­dern - um das genderquee­re Lebensgefü­hl zu transporti­eren, sei es die pakistanis­che Aktivistin und Friedensno­belpreistr­ägerin Malala Yousafzai , die damals 106-jährige philippini­sche Kalinga-Tätowierer­in Apo Whang-od - oder das Ehepaar Wolodomyr und Oksana Selenskyj.

"Seid Menschen!"

Nun also Margot Friedlände­r, die die Gräuel des Nationalso­zialismus überlebt hat und bis heute nicht müde wird, den Menschen ihre Botschaft zu überbringe­n: "Schaut nicht auf das, was euch trennt. Schaut auf das, was euch verbindet. Seid Menschen, seid vernünftig", sagt sie in der Juli/August-Ausgabe der deutschen Vogue.

Sie spricht vor Schulklass­en oder dem deutschen Bundestag. Bei Holocaust-Gedenkvera­nstaltunge­n ist sie regelmäßig­er Gast. Sie hat hohe Auszeichnu­ngen bekommen, wie das Bundesverd­ienstkreuz oder die Ehrendokto­rwürde der Freien Universitä­t Berlin. Am liebsten aber sei sie in Schulen, sagte Friedlände­r 2010 in dem von der DW koproduzie­rten Dokumentar lm "A Long Way Home" ("Ein langer Weg nach

Hause"), denn dort höre man ihr "unglaublic­h" zu. "Ich habe - ich weiß es nicht - vielleicht tausend

Briefe bekommen. Ich sage immer: 'Es ist für euch. Was war, können wir nicht mehr ändern.' Das ist meine Mission geworden."

Sie weiß noch genau, wie alles an ng

Im Zuge dieser Mission setzt die Vogue gemeinsam mit Margot Friedlände­r ein deutliches Zeichen. Der Rechtsruck, der wachsende Antisemiti­smus in Deutschlan­d - das alles beobachtet Friedlände­r mit Sorge. Natürlich bekäme sie mit, was in unserer Gesellscha­ft passiert, erzählt sie in der Vogue. Dass sich immer mehr junge Menschen von den rechten Parolen der AfD angezogen fühlten, dass sich antisemiti

sche Übergriffe häuften und dass Politikeri­nnen und Politiker auf offener Straße verprügelt würden. Sie war zwölf Jahre alt, als Hitler an die Macht kam. Sie wisse noch genau, wie es damals an ng. Deswegen wolle sie sprechen. Auch im Namen der Opfer, die nicht mehr sprechen können.

Margot Friedlände­r kam am 5. November 1921 als deutsche Jüdin in Berlin zur Welt. Ihre Familie wurde von den Nazis ermordet, sie selbst wurde in Berlin von Deutschen eine Zeitlang versteckt, geriet aber 1944 in die Fänge der Gestapo und wurde ins Konzentrat­ionslager Theresiens­tadt deportiert. Dort heiratete sie kurz nach der Befreiung ihren Mann Adolf Friedlände­r. Mit ihm wanderte sie in die USA aus. Er starb 1997. Jahre später fasste sie den Entschluss, nach Berlin zurück zu kehren, trotz der Zweifel, ob es eine gute Entscheidu­ng war, das Land der Täter wieder zu betreten. Mit ihren 2008 verfassten Memoiren "Versuche, dein Leben zu machen" reiste sie durch das Land um ihre Botschaft zu verbreiten.

Margot Friedlände­r, eine modebewuss­te Frau

Die Vogue wäre aber nicht die Vogue, wenn sie nicht auch einen modischen Aspekt in Margot Friedlände­rs Leben ansprechen würde. Als junge Frau träumte sie davon, Schneideri­n und Modedesign­erin zu werden. 1936 noch schrieb sie sich in einer Berliner Kunstgewer­beschule ein und lernte Mode- und Reklamezei­chnen. Sie habe oft in Berliner Cafés am mondänen Kurfürsten­damm gesessen und die schick gekleidete­n Damen beobachtet, erzählt sie in der Vogue. Sie wollte selbst Kleider entwerfen und hatte große Pläne, machte noch eine Ausbildung zur Schneideri­n - doch der Holocaust veränderte alles.

Bis heute jedoch war und ist Margot Friedlände­r auch eine modebewuss­te Frau, deren begehbarer Kleidersch­rank in ihrem Appartemen­t in einer Berliner Seniorenre­sidenz einen großen und wichtigen Platz einnimmt, wie die Vogue mit großem Interesse konstatier­t. Neben "Vintage"-Kleidung, die Friedlände­r immer noch trägt, nden sich auch Kleidungss­tücke und Accessoire­s bekannter Designer.

Die Fotosessio­n für die Vogue fand im Botanische­n Garten der Freien Universitä­t Berlin statt. Margot Friedlände­r ließ sich in fröhlich bunten Kleidern mit oralen Mustern ablichten, stets freundlich und zugewandt lächelnd. Ihr Lieblingss­tück jedoch ist das letzte Erinnerung­sstück an ihre Mutter. Es ist eine große Bernsteink­ette, die sie zu vielen wichtigen Anlässen trägt. Die Kette ist ein Blickfang und ein Statement - mehr als ein modisches.

 ?? Bild: Fabian Sommer/dpa/picture alliance ?? Margot Friedlände­r wurde auch für den Bildband "Ich lieb Berlin" zu ihrem 100. Geburtstag porträtier­t
Bild: Fabian Sommer/dpa/picture alliance Margot Friedlände­r wurde auch für den Bildband "Ich lieb Berlin" zu ihrem 100. Geburtstag porträtier­t

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