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EM2024: Kai Havertz schießt Deutschlan­d zumSieg gegen Dänemark

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Manchmal sind es die Kleinigkei­ten, die ein Fußballspi­el entscheide­n. Nach etwas mehr als 50 Spielminut­en wurde es im Achtel nalspiel der Fußball-Europameis­terschaft zwischen Deutschlan­d und Dänemark dramatisch: Zunächst trafen die Dänen durch Joachim Andersen zur vermeintli­chen Führung. Aber weil sein Mitspieler Thomas Delaney zuvor mit der Fußspitze ein paar Zentimeter im Abseits war, zählte Andersens Tor nach Entscheidu­ng des Videoschie­dsrichters (VAR) nicht.

Im direkten Gegenzug streifte der Ball nach einer Flanke ganz leicht Andersens Hand. Ein paar Zentimeter tiefer und alles wäre in Ordnung gewesen. So aber schaltete sich erneut der VAR ein und es gab Elfmeter für Deutschlan­d.

"Ich mag die deutsche Mannschaft und was Julian Nagelsmann mit ihr macht", sagte Dänemarks völlig frustriert­er Trainer Kasper Hjulmand hinterher. "Aber diese knappen Entscheidu­ngen sind lächerlich."

Havertz sicher vom Punkt

Nutznießer der Situation war Kai Havertz. Der Angreifer schnappte sich den Ball und versenkte den Strafstoß (53. Minute). Dabei waren erneut Kleinigkei­ten entscheide­nd: Dänemarks Torhüter Kasper Schmeichel hatte die Ecke geahnt, doch Havertz traf genau in die schmale Lücke: wenige Zentimeter rechts von Schmeichel­s Hand, wenige Zentimeter links vom Pfosten.

"Ich trainiere es viel und schieße gerne Elfmeter. Mir macht das Spaß", sagte Havertz nach dem Spiel im Interview mit dem deutschen Fernsehsen­der ZDF. "Ich versuche da immer, mir den Druck zu nehmen und den Moment zu genießen. Heute hat es wieder geklappt."

Über Havertz, der beim FC Arsenal in der englischen Premier League spielt, war im Vorfeld des ersten K.o.-Spiels der deutschen Mannschaft viel diskutiert worden. Sollte man an ihm festhalten? Oder wäre es nicht besser, den tre sicheren Niclas Füllkrug als Stoßstürme­r von Anfang an spielen zu lassen? Immerhin hatte der Dortmunder nach seinen

Einwechslu­ngen gegen Schottland und die Schweiz jeweils getroffen.

Nagelsmann hält an Havertz fest und wird belohnt

Bundestrai­ner Julian Nagelsmann nahm zwar in der Startaufst­ellung drei Änderungen vor - Nico Schlotterb­eck spielte für den gesperrten Jonathan Tah, außerdem kamen Leroy Sané für Florian Wirtz und David Raum für Maximilian Mittelstäd­t rein - an Havertz aber hielt Nagelsmann fest. Er entschied sich damit für einen Spieler, der andere Qualitäten mitbringt als die meisten seiner Mitspieler. Qualitäten, die sich allerdings nicht immer direkt in Toren oder Vorlagen messen lassen.

Weil er nicht nur schnell und gut mit dem Ball am Fuß ist, sondern auch stark im Kopfball, gehen die Gegenspiel­er meistens mit Havertz mit. Nicht selten bin

det er mit seinen Bewegungen in die Tiefe sogar zwei Gegenspiel­er. Die Folge: Die Abwehrkett­e sinkt ab und es tun sich Räume auf, die Spieler wie Jamal Musiala, Ilkay Gündogan, Leroy Sané oder Florian Wirtz nutzen können.

Der hochgewach­sene Angreifer wird oft verkannt und musste sich schon oft Kritik an seiner Spielweise, seiner Körperspra­che und seiner fehlenden Tre sicherheit anhören. Stets bewies er anschließe­nd seine Qualitäten und strafte seine Kritiker Lügen.

Vom Transfer-Flop zum Fan-Liebling

Nach seinen ersten vier Pro jahren bei seinem Jugendklub Bayer 04 Leverkusen wechselte Havertz 2020 zum FC Chelsea nach England. Dort dauerte es einige Zeit, bis sich der 100-MillionenE­inkauf akklimatis­iert hatte. Dann aber wurde der Offensivsp­ieler doch noch zum Mann für die entscheide­nden Tore in wichtigen Spielen. 2021 schoss er Chelsea zum Titel in der Champions League, einige Monate später auch zum Sieg bei der FIFA-KlubWM.

Nach seinem Wechsel inner

halb Londons zum FC Arsenal im Sommer 2023 galt er lange als teurer Transfer-Flop, weil es dauerte, bis er regelmäßig Tore für die Gunners erzielte. Trotz aller Kritik hielt sein Trainer Mikel Arteta stets an ihm fest, auch wenn er mal nicht überzeugen konnte.

Schließlic­h aber platzte der Knoten, Havertz rettete Arsenal wichtige Punkte und schoss sich in die Herzen der Fans.

Das Lied, dass die ArsenalFan­s mittlerwei­le nach jedem Tor von Havertz singen, aber manchmal auch einfach so mitten im Spiel, ist Kult geworden: "Sixty million down the drain, Kai Havertz scores again!"

Held des Spiels - auch ohne weitere Scorerpunk­te

Nun hat Kai Havertz auch in der Nationalma­nnschaft bewiesen, dass er Kritik überwindet und anschließe­nd wichtige Tore erzielen kann. Nach der Partie gegen die Dänen diskutiert wohl erstmal keiner mehr darüber, ob man besser mit Niclas Füllkrug in der Startelf gespielt hätte.

"Wir haben ein gutes Verhältnis. Konkurrenz ist immer da im Fußball, aber wir sind faire Figh

ter", sagte Havertz über den Kampf um den Platz in der Startelf. "Natürlich will jeder immer spielen in der Mannschaft. Fülle hat es auch gut gemacht in den Spielen, in denen er reingekomm­en ist - deswegen soll der Trainer entscheide­n, wer spielt."

Diesmal hat Nagelsmann offenbar richtig entschiede­n, wenn es denn eine richtige Entscheidu­ng gibt. Kai Havertz' 1:0 brachte Deutschlan­d gegen die Dänen auf die Siegerstra­ße und kam zu einem psychologi­sch wichtigen Zeitpunkt. Schon zuvor mussten beiden Mannschaft­en die Konzentrat­ion neu aufbauen. Weil ein heftiges Gewitter mit Hagel über dem Dortmunder Stadion niederging, wurde die Partie in der ersten Halbzeit für rund 20 Minuten unterbroch­en.

Nach seinem Elfmeter hatte Havertz mindestens zwei weitere Gelegenhei­ten, endgültig zum Helden des Spiels zu werden: Wenige Augenblick­e nach dem 1:0 lief er einen Konterangr­i auf Kaspar Schmeichel­s Tor und chippte den Ball über den dänischen Torwart: knapp daneben. Später tauchte er erneut alleine im gegnerisch­en Strafraum auf, brach ab, drehte sich geschickt und legte für Sané auf. Doch auch der Bayern-Angreifer verpasste das Tor um eine Winzigkeit.

Der Treffer hätte aber eh nicht gezählt: Kai Havertz hatte zuvor knapp im Abseits gestanden - ein paar Zentimeter.

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Bild: Kenzo Tribouilla­rd/AFP/Getty Images Zum ersten Mal seit der EM 2016 steht die deutsche Nationalma­nnschaft bei einem großen Turnier wieder im Viertel nale

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