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"Becoming Karl Lagerfeld": Modemacher als Serienheld
Wer sagt, der Prophet gelte nichts im eigenen Lande? Erst vor wenigen Wochen entschied der Hamburger Senat die Umbenennung eines Straßenabschnitts am Alster eet (Neuer Wall 55 bis Neuer Wall 75) in Karl-Lagerfeld-Promenade. Zwar ist er nur 150 Meter lang, liegt aber sehr zentral und sogar in der Nähe von "Felix Jud", dem Lieblingsbuchladen Karl Lagerfelds. Der gebürtige Hamburger war bekanntlich ein Büchernarr.
Währenddessen widmen ausgerechnet die Franzosen, die der deutschen Modekunst gegenüber sonst eher skeptisch gegenüberstehen, dem Modeschöpfer einen Blockbuster: "Becoming Karl Lagerfeld".
Hinter dem Projekt steht ein französisches Traditionsunternehmen: der Filmkonzern "Gaumont S.A.", gegründet 1895, eines der ältesten Filmproduktionsunternehmen der Welt. Und das ist auch gut so, ndet Filmreporterin Simone Schlosser, eine der führenden deutschen Serien
expertinnen, im DW-Gespräch. "Es wäre komisch, das Ganze aus der deutschen Sicht zu machen - schließlich hat Lagerfeld fast sein ganzes Leben in Frankreich verbracht."
Ein Deutscher in Paris
Die ersten sechs Folgen sind seit Anfang Juni beim Streaming-Anbieter "Disney+" zu sehen und sollen im Erfolgsfall der Anfang einer wesentlich längeren Produktion werden. Der Regisseur Jérôme Salle und das Team der Drehbuchautorinnen arbeiteten sich zunächst durch eine Dekade des ereignisreichen Lagerfeld-Lebens: von Anfang der 1970er- bis Anfang der 1980er-Jahre. Die vorübergehend letzte Folge endet mit einem schicksalsträchtigen Fax im Juni 1981, in dem Lagerfeld eingeladen wird, das renommierte
Maison Chanel als neuer "directeur artistique"
zu überneh
men.
Man könnte sagen: Da fängt aber alles erst an! Man könnte aber auch sagen: Eigentlich wäre es ziemlich spannend gewesen,
den ganz jungen Karl zu sehen, der als 19-jähriges Kriegskind aus dem nicht gerade beliebten Deutschland (geboren 1933, im Jahr von Hitlers Machergreifung, in einer gutbetuchten hanseatischen Unternehmerfamilie) nach Paris kommt und sich zum Chefdesigner führender Häuser der Welthauptstadt der Mode emporarbeitet. Aber oft liegt die große Kunst eben im Weglassen, das gilt für Modeschöpfer wie für Serienmacher.
Intrigen, Sex, Mode - und die "Stadt der Liebe"
Wir haben also ein spannendes Setting: das Paris der 1970er-Jahre. Die Modebranche boomt, es gibt viele Partys, viele Drogen, und fast jeder schläft mit jedem. Malertochter Paloma Picasso gibt den Ton im Jetset an, Andy Warhol schaut vorbei, hinter verschlossenen Türen ihres Boudoirs zelebriert Marlene Dietrich (Sunny Melles) ihre selbstgewählte Einsamkeit. Und es gibt einen jungen Wilden, ein Genie, um den sich die Modewelt dreht: Yves
Saint Laurent (Arnaud Valois). Labil, exzentrisch, sehr französisch - ein Gegenpart zum zwar exzentrischen, aber geschäftstüchtigen und irgendwie sehr deutschen Karl Lagerfeld (Daniel Brühl).
Yves und Karl sind zwei Gegensätze, die sich anziehen, Widersacher und Vertraute. Sie konkurrieren miteinander - und können nicht voneinander lassen. Erst recht nicht, als der verführerisch schöne Dandy Jacques de Bascher ( Théodore Pellerin) dazwischenfunkt. Bascher, die große Liebe Lagerfelds, hat auch eine leidenschaftliche Affäre mit Yves Saint Laurent. Allein diese Dreieckbeziehung wäre natürlich eine Serie wert.
Ist Mode in Mode gekommen?
"Becoming Karl Lagerfeld" ist schon die dritte Serie über einen Modeschöpfer, die seit Anfang 2024 auf den internationalen Streaming-Markt kommt. Bereits Anfang des Jahres sind Serien über den spanischen Modeschöpfer Cristóbal Balenciaga (nach ihm benannt) sowie "The New Look", eine Produktion, bei der Christian Dior und Coco Chanel im Mittelpunkt stehen, angelaufen. Zufall?
Zum Teil schon, meint die Serienexpertin Simone Schosser. Aber eben nur zum Teil, denn die Produktionen folgen einem Trend: "Alle haben eine interessante Haupt gur, die in gewisser Weise nicht den Mainstream des 'alten weißen Mannes' verkörpert. Das sind zum Beispiel queere Persönlichkeiten. Das heißt, man kann darüber auch wieder Identität verhandeln." Gleichzeitig würden gerade Modeserien eine zeittypische Form des Eskapismus bedienen, so Schlosser: "Denn die haben alles, was wir so brauchen - es ist eine Faszination für Geschichten, den historischen Hintergrund, schöne Kostüme und Ausstattung. Man taucht in eine andere Welt ein, die Welt der Laufstege, der Ateliers, die einem sonst ja fern ist."
Daniel Brühl verwandelt sich in Karl Lagerfeld
"Becoming Karl Lagerfeld" habe aber etwas, was die anderen Serien nicht haben: den Hauptdarsteller Daniel Brühl. "Ich nde Brühl als Lagerfeld schlicht großartig!", stimmt Simone Schlosser in die internationalen Lobeshymnen ein. Auch wenn der eher sanft wirkende "Good bye, Lenin"Star, ein Halbspanier, auf den ersten Blick rein gar nichts mit dem schnodderigen Modezar aus dem deutschen Norden gemein habe.
Es sei faszinierend, Brühl bei seiner Verwandlung zuzusehen: "Am Anfang hat sein Lagerfeld ja noch nichts Ikonisches - keinen Pferdeschwanz, Fächer oder Sonnenbrille. Dann fängt es so langsam an: Die Haare werden immer länger, die Brillen irgendwie immer getönter." Und dann passiert das Wunder der Schauspielkunst: Wir sehen den Menschen Karl Lagerfeld, mit all seinen Brüchen.
Zu viele Bettszenen
Es hat sich gelohnt, dass der