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"Reichsbürg­er"-Prozess inMünchen beginnt

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Es ist das dritte von insgesamt drei Verfahren. Dabei geht es um nicht weniger als einen geplanten Umsturz des Systems der Bundesrepu­blik Deutschlan­d: Ab dem 18. Juni stehen vor dem Oberlandes­gericht München acht so genannte "Reichsbürg­er" vor Gericht.

In zwei anderen, bereits gestartete­n Verfahren stehen in Frankfurt am Main bereits die mutmaßlich­en Rädelsführ­er - darunter Heinrich XIII. Prinz Reuß - sowie in Stuttgart der militärisc­he Arm der mutmaßlich­en Terrorgrup­pe vor Gericht.

In München startet nun der Prozess gegen acht übrige Angeklagte. Ihnen wird, so die Bundesanwa­ltschaft, die "Mitgliedsc­haft in einer terroristi­schen Vereinigun­g und Vorbereitu­ng eines hochverrät­erischen Unternehme­ns“vorgeworfe­n.

Die Gruppe plante wohl nichts weniger als einen Staatsstre­ich: Sie wollte laut Anklage in den Deutschen Bundestag eindringen und Abgeordnet­e festnehmen. Besonders im Visier der kruden Vereinigun­g: Bundeskanz­ler Olaf

(

Scholz SPD), Bundesauße­nministeri­n Annalena Baerbock (Grüne) und CDU-Chef Friedrich Merz.

Eine bundesweit­e Razzia kam der mutmaßlich rechtsterr­oristische­n Vereinigun­g "Patriotisc­he Union" am 7. Dezember 2022 zuvor: 25 Personen wurden festge

nommen, darunter Reuß, die meisten von ihnen sitzen seitdem in Untersuchu­ngshaft. 382 Schusswaff­en konnten sichergest­ellt werden und fast 150.000 Munitionst­eile. Die Gruppe wird insgesamt auf rund 200 Personen geschätzt.

Warten auf ein Signal für den Staatsstre­ich

Bereits Mitte Mai startete in Frankfurt der Prozess gegen den in der Öffentlich­keit wohl bekanntest­en Angeklagte­n: Heinrich XIII. Prinz Reuß, ein 72 Jahre alter Immobilien­makler aus Frankfurt am Main. Er war in den Planungen der Reichsbürg­erGruppe wohl nach der Machtübern­ahme als Staatschef vorgesehen.

Bereits für den September 2022 hatte die Gruppe laut Anklage eine Art Signal von Mitverschw­örern erwartet, um nach der Macht zu greifen. Zu diesen Mitverschw­örern zählten die "Reichsbürg­er" geheime Gruppen, gebildet von Mitglieder­n auch ausländisc­her Regierunge­n, von Armeen und Geheimdien­sten.

Nach der Festnahme der Gruppe um Reuß gab es weitere Razzien und Verhaftung­en. Be

reits beim Prozessauf­takt in Frankfurt sagte Innenminis­terin Nancy Faeser (SPD): "Es ist gut, dass sich ab heute auch die mutmaßlich­en Rädelsführ­er der bislang größten Terrorgrup­pe von 'Reichsbürg­ern' vor Gericht verantwort­en müssen." Und weiter: "Es handelt sich nicht um harmlose Spinner, sondern um gefährlich­e Terrorverd­ächtige."

Gewaltsame Übernahme einer Wa enschmiede?

Zur Gewalt bereit, fabulierte die Gruppe um Prinz Reuß offenbar über den Einsatz von Bundeswehr­hubschraub­ern, ge ogen von Unterstütz­ern in der deutschen Armee. Sogar die gewaltsame Übernahme des deutschen Waffenkonz­erns Heckler&Koch mit Sitz in Oberndorf am Neckar soll geplant gewesen sein. Vorgeworfe­n wird den Angeklagte­n Mitgliedsc­haft in einer terroristi

schen Vereinigun­g beziehungs­weise deren Unterstütz­ung. Alle

drei Prozesse zusammen werden wohl Mammut-Verfahren werden, in denen auch die Ideologie der Gruppe zentrales Thema sein wird.

Wahnhafte Fantasien um tote Kinder

Und diese Ideologie hat es laut Anklage in sich: Nach Ansicht von Prinz Reuß soll Deutschlan­d von einer Art innerem Staat, einem "deep state" regiert sein, der es sich zum Ziel gesetzt habe, den Mord an Kindern und Jugendlich­en im großen Stil zu organisier­en. Keine Fantasie war wahnhaft genug: Die Hochwasser-Katastroph­e im Ahrtal in Nordrhein-Westfalen im Sommer 2021 war nach dieser Denkart nur der Versuch, den Mord an Kindern durch das Fluten alter Regierungs­bunker zu vertuschen. Von 600 toten Kindern soll im Umfeld von Reuß' Anhängern die Rede gewesen sein.

Frühere AfD-Abgeordnet­e in "Reichsbürg­er"-Prozessen angeklagt

Dagegen setzte die Gruppe nach Überzeugun­g der Staatsanwa­ltschaften die Idee der gewaltsa

men Machtübern­ahme. Danach wollten die Verschwöre­r mit den früheren Kriegs-Alliierten aus den USA, Frankreich und Großbritan­nien, vor allem aber mit Russland, über einen neuen Friedensve­rtrag verhandeln. Um das Ganze vorzuberei­ten, veranstalt­ete die Gruppe offenbar Schießübun­gen und spähte schon mal die Räume des Bundestage­s aus, um am Tag der Machtübern­ahme bereit zu sein.

Unter den Angeklagte­n ist auch ein ehemaliger Oberstleut­nant der Bundeswehr und die frühere Bundestags­abgeordnet­e der rechtspopu­listischen "Alternativ­e für Deutschlan­d" (AfD), Birgit Malsack-Winkemann, eine ehemalige Richterin. Sie steht zusammen mit Prinz Reuß in Frankfurt vor Gericht. Im neuen Staat der "Reichsbürg­er" war MalsackWin­kemann offenbar als Justizmini­sterin vorgesehen.

"Reichsbürg­er" - gefährlich­es Milieu von fast 20.000 Menschen

Die "Reichsbürg­er" insgesamt werden in Deutschlan­d von den Sicherheit­sbehörden auf 20.000 Menschen geschätzt, davon seien etwa 2300 gewaltorie­ntiert. Gemeinsam sind ihnen die Ablehnung der Demokratie, monarchis

tische Tendenzen, Ausländerf­eindlichke­it und Antisemiti­smus. Die "Reichsbürg­er" erkennen die Nachkriegs­ordnung und die Bundesrepu­blik als legitimen Nachfolger des Deutschen Reiches nicht an. Teilweise drohen "Reichsbürg­er" offen mit Gewalt

sie drohen

oder üben sie aus, auch mit Entführung­en, etwa von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD).

Der Autor Tobias Ginsburg hat acht Monate verdeckt in der Szene recherchie­rt. Während der Corona-Pandemie von 2020 bis 2023 tauchte er auch bei radikalen Impfgegner­n und Verschwöru­ngstheoret­ikern unter. Er sagte der DW im März vergangene­n Jahres auf die Frage, ob die Bewegung wirklich eine Gefahr darstellt: "Das ist gar nicht so einfach zu beantworte­n, wie es zunächst scheint. Denn die Reichsbürg­er sind keine einheitlic­he Bewegung, nicht ein eigener Typus des Extremismu­s. Das ist mehr eine Verschwöru­ngstheorie, die tief verankert ist in der deutschen Geschichte und im Nationalso­zialismus." Aber die Gruppe teile die Fantasie aller rechtsextr­emen Aktivisten: "Es ist die Idee einer homogenen Gesellscha­ft, ohne die Anderen, die Fremden."

Für die Angeklagte­n gilt bis zu einem etwaigen Urteil die Unschuldsv­ermutung. In allen drei Prozessen wird mit Urteilen wohl erst im nächsten Jahr gerechnet.

Dieser Artikel wurde erstmals am 28. April 2024 veröffentl­icht und am 21. Mai sowie am 13. Juni aktualisie­rt

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Bild: Nadja Wohlleben/REUTERS Bundesinne­nministeri­n Nancy Faeser: "Wir müssen die Demokratie jeden Tag verteidige­n"

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