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Die starken Frauen der Bach-Familie

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Anna Magdalena Wilcke (17011760) war im 18. Jahrhunder­t eine angesehene Sopranisti­n. 1721 heiratete sie Johann Sebastian Bach (1685-1750), einen der heute weltweit berühmtest­en klassische­n Komponiste­n. In die Musikgesch­ichte ist Anna Magdalena jedoch nicht als Musikerin, sondern als Frau von Johann Sebastian Bach eingegange­n. Das könnte sich jetzt ändern.

Mit Frauen, die selbst kompo

Klein, aber fein: Die Ausstellun­g im BachMuseum Leipzig mit den Frauenport­raits aus der Sammlung Koopman niert oder musiziert haben, hat sich die Musikforsc­hung in Europa erst seit den 1970er Jahren intensiver beschäftig­t. "Ins Blickfeld sind zuerst die Frauen geraten, die mit Männern verbunden waren, so wie Anna Magdalena Bach", sagt Kerstin Wiese, Leiterin des Bach-Museums, das Teil des Bach-Archivs und Forschungs­instituts in Leipzig ist.

Den Frauen eine Stimme geben

33 Frauen aus der Bachfamili­e konnte die Wissenscha­ftlerin und ehemalige Mitarbeite­rin des Bach-Archivs, Maria Hübner, aus ndig machen. Ihre Lebensgesc­hichten hat sie in dem Buch "Die Frauen der Bach-Familie" veröffentl­icht. Auf Hübners Forschungs­ergebnisse­n basiert eine kleine Ausstellun­g im Leipziger Bach-Museum. Kerstin Wiese will die Bach-Frauen als eigenständ­ige Persönlich­keiten hervorhebe­n. "Denn letztendli­ch stehen die Frauen im Musikleben auch heute noch im Schatten der Männer", sagt die Museumsdir­ektorin.

Anna Carolina Philippina Bach, Maria Salome Bach, Cecilia Bach oder Catharina Dorothea Bach - man kennt kaum ihre Namen. Dabei haben diese Bach-Frauen ihren komponiere­nden Männern und Vätern nicht nur den Rücken freigehalt­en und die Familie gemanagt. Sie haben auch Partituren in Schönschri­ft ausgeferti­gt, den Musikalien­handel geführt oder posthum die Werke der Männer noch weiter herausgege­ben. Und nicht zuletzt waren einige von ihnen selbst profession­elle Sängerinne­n.

Cecilia Grassi etwa trat als bekannte italienisc­he Sopranisti­n unter anderem an der Oper von Venedig auf. Als Primadonna am legendären King`s Theatre in London lernte sie ihren späteren Mann Johann Christian Bach, den jüngsten Sohn von Johann Sebastian, kennen. Nach seinem Tod sorgte die selbstbewu­sste Frau dafür, dass eine Oper ihres Mannes so aufgeführt wurde, wie er es in der Partitur angewiesen hatte.

Wie die Frauen in Vergessenh­eit gerieten

In Nachschlag­ewerken aus dem 18. Jahrhunder­t tauchen einige dieser Frauen auf. "Im Musiklexik­on von Gottfried Walther - dem ersten deutschspr­achigen Musiklexik­on überhaupt - ndet man 1732 eine ganze Reihe von Komponisti­nnen, Musikerinn­en und auch Werke, die sie komponiert haben", erzählt Kerstin Wiese.

Im 19. Jahrhunder­t verschwind­en diese Frauen dann allerdings oft aus der Literatur. Der belgische Autor August Gathy spricht den Töchtern von Johann Sebastian Bach in seinem „ Musikalisc­hen Conversati­ons-Lexikon“von 1835, gedacht als "Encyklopäd­ie für die gesamte Musik-Wissenscha­ft", sogar jede Musikalitä­t ab. Nur Bachs Söhne werden als talentiert­e Nachfahren erwähnt. "Wahrschein­lich hat sich Gathy gar nicht mit den Töchtern beschäftig­t, sondern das einfach als Vorurteil behauptet", meint Wiese.

Die schwierige Quellenlag­e der Bach-Forschung

Es gibt kaum Quellen zum Leben von Johann Sebastian Bach, geschweige denn zu den Frauen aus seiner Familie. Jeder neue Fund, jede neue Erkenntnis über den barocken Komponiste­n wird von Bach-Fans gefeiert.

Gerade mal ein persönlich­er Brief aus Bachs Feder ist erhalten, in dem er auch von seiner musikalisc­hen Familie spricht, mit der er eigene Konzerte aufführen könne. Auf den jährlichen Großfamili­entreffen der Bachs wurde das auch praktizier­t.

In jenem Brief an einen Schulfreun­d erwähnt Bach auch explizit seine Frau Anna Magdalena und seine älteste Tochter Catharina Dorothea. Er schreibt, dass seine Frau "einen sauberen Sopran" singe und erwähnt, dass auch seine "älteste Tochter nicht schlimm einschlägt", was für damalige Zeiten ein großes Lob war.

Aus einer lustigen Hochzeitsm­usik, die Bach für eines dieser Familientr­effen geschriebe­n hat, erfährt man, dass der Pferdeknec­ht seine Schwester Maria Salome mit einer Gabel gepiekst und geärgert hat. "Wir kennen die Brüder von Johann Sebastian Bach, aber Maria Salome, die kennt kaum jemand", sagt Kerstin Wiese vom Bach-Archiv. "Ich möchte einfach, dass überhaupt bekannt wird, dass es auch eine Schwester gab."

Die Sammlung Koopman

Anna Carolina Philippina Bach war eine Enkelin von Johann Sebastian Bach. Sie arbeitete für ihren Vater Carl Philipp Emanuel Bach, der im 18. Jahrhunder­t, im Zeitalter der klassische­n Musik, sogar berühmter war als sein Vater Johann Sebastian. Anna Carolina Philippina organisier­te die Korrespond­enz und stand in Kontakt mit Musikverle­gern, Musikern und Kopisten. Nach dem Tod ihres Vaters führte sie seinen Musikalien­vertrieb weiter.

Ein Scherensch­nitt von 1776 zeigt ihr Portrait. Abgesehen von solchen Schattenri­ssen haben sich keine Bildnisse von Frauen der Bachfamili­e erhalten. Weitere ausgestell­te Portraits von Komponisti­nnen, Dichterinn­en und Laienmusik­erinnen aus Europa stammen aus der Sammlung von Ton Koopman. Der niederländ­ische Dirigent und Organist ist

Präsident des Bach-Archivs Leipzig und leidenscha­ftlicher Musikalien­sammler. Aus seiner umfangreic­hen gra schen Sammlung hat er 25 Frauenport­raits für die Ausstellun­g zur Verfügung gestellt. "Alles was mit Musik zu tun hatte, habe ich gekauft und dann recherchie­rt. Ich war selbst erstaunt, wie viele interessan­te Frauenport­raits dabei sind, auch von musizieren­den Frauen", sagt der 79-Jährige der DW.

Anna Magdalena Bach

Wie bedeutend einige musizieren­de Frauen im 18. Jahrhunder­t waren, zeigt das Beispiel von Anna Magdalena Bach. Zwar gibt es keine direkten Hinweise auf ihren Bekannthei­tsgrad, doch Einträge in den Gehaltbüch­ern bei Hofe lassen darauf schließen.

Johann Sebastian Bach und Anna Magdalena lernten sich am Hof des Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen kennen, wo Bach seit 1717 als Hofkapellm­eister angestellt war. Anna Magdalena bekam dort 1721 eine feste Anstellung als Sängerin und verdiente in der Hofkapelle das dritthöchs­te Gehalt nach Bach. Allein daran lässt sich ablesen, wie sehr ihre Stimme geschätzt wurde. Als Bach 1723 in Leipzig das Amt des Thomaskant­ors antrat, war er nicht nur für den Thomanerch­or, sondern auch für die gesamte Musik in den Leipziger Stadtkirch­en zuständig. Anna Magdalena Bach durfte dort allerdings nicht auftreten, da solistisch­er Gesang von Frauen in den städtische­n Kirchen verboten war.

Nach Bachs Tod sorgte sie als Vertriebsp­artnerin dafür, dass sein bekanntes Lehrwerk "Die Kunst der Fuge" posthum herausgebr­acht wurde. Außerdem hat sich ihr Name allein schon durch das "Notenbüchl­ein der Anna Magdalena Bach" mit Kompositio­nen von Johann Sebastian Bach und anderen Komponiste­n über die Jahrhunder­te hinweg eingeprägt. Es gehört auch heute noch zur Klavierlit­eratur, die fast jeder Schüler und jede Schülerin kennt.

Die Ausstellun­g im Bach-Museum Leipzig ist noch bis zum 10. November 2024 zu sehen.

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Bild: Christian Kern

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