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Haiti imChaos: Wie es dazu kamundwer es beenden könnte

- # WHEREICOME­FROM

Premiermin­ister Ariel Henry hat sich nach Angaben der karibische­n Staatengem­einschaft Caricom zum Rücktritt bereiterkl­ärt. Es werde ein siebenköp ger Präsidialr­at für den Übergang hin zu Wahlen in Haiti gegründet, der einen neuen Interims-Premiermin­ister bestimmen werde, teilte Guyanas Präsident Mohamed Irfaan Ali am Montag (Ortszeit) nach einem Tre en der Regierungs­chefs karibische­r Staaten in Jamaika mit. Mächtige kriminelle Banden, die große Teile Haitis und fast die gesamte Hauptstadt Port-au-Prince kontrollie­ren, hatten Henrys Rücktritt gefordert. Und damit dürften sie jetzt eines ihrer Ziele erreicht haben.

"Kriminelle haben das Land übernommen. Es gibt keine Regierung," Das waren die Worte von Bharrat Jagdeo, Vizepräsid­ent von Guyana vor der Caricom-Dringlichk­eitssitzun­g.

In dem Karibiksta­at greifen Bandenmitg­lieder seit Tagen staatliche Institutio­nen wie Polizeista­tionen, Regierungs­gebäude und Gefängniss­e an. Berichten zufolge liegen Leichen auf den Straßen; mehrere Hunderttau­send Menschen sollen innerhalb des Landes auf der Flucht sein. In der Region um die Hauptstadt Port-au-Prince gilt der Ausnahmezu­stand und eine nächtliche Ausgangssp­erre. Allerdings zeigt die Polizei laut Berichten kaum noch Präsenz und lässt damit Plünderung­en und Selbstjust­iz mehr oder weniger freien Lauf. Schon im vergangene­n Jahr schätzten die Vereinten Nationen, 80 Prozent der Hauptstadt seien unter der Kontrolle der Banden. Deutschlan­d, die EU, die USA und andere Länder haben ihr Botschafts­personal aus Sorge um dessen Sicherheit abgezogen.

Wie konnte sich die Lage so zuspitzen?

Die Zeichen stehen auf Eskalation - spätestens seit dem 7. Februar: Dieses Datum hatten verschiede­ne politische und gesellscha­ftliche Gruppen gemeinsam mit Premiermin­ister Ariel Henry für den Amtsantrit­t einer neuen Regierung gesetzt. Allerdings hatte Henry gar keine Wahlen abhalten lassen. Stattdesse­n brachte er Ende Februar eine neue Übergangsp­eriode bis August 2025 ins Gespräch.

Verstärkt hat den aktuellen Unmut sicherlich, dass Henry dies nicht in Port-au-Prince verkündete, sondern auf einem CaricomGip­fel in Guyana. Von dort reiste er nach Kenia; seit dem 05. März be ndet er sich in Puerto Rico.

Während Henrys Abwesenhei­t hat sich die Lage zusehends verschlech­tert: Anfang März stürmten Bandenmitg­lieder zwei Gefängniss­e und verhalfen rund 4500 Insassen zum Ausbruch.

Wer heizt die Lage weiter an - und wer ist Gang-Boss "Barbecue"?

Zum Ernst der Lage trägt auch bei, dass einst rivalisier­ende Banden sich verbündet haben. Allen voran zu nennen ist ein Zusammensc­hluss aus neun vormals eigenständ­igen Gangs namens "G9 Familie und Verbündete". Er wird angeführt von Jimmy Chérizier, Spitzname "Barbecue". Der frühere Polizist wird von Beobachter­n immer wieder als einer der de facto mächtigste­n Männer in Haiti angeführt. Dem Magazin "New Yorker" nannte Chérizier im vergangene­n Jahr unter anderem Fidel Castro und Malcolm X als Vorbilder. "Ich mag auch Martin

Luther King, aber er kämpfte nicht gerne mit Waffen, aber ich schon."

Was ist die Vorgeschic­hte?

Die frühere französisc­he Kolonie Haiti nimmt das westliche Drittel der Karibikins­el Hispaniola ein; im Osten liegt die einst spanisch beherrscht­e Dominikani­sche Republik. Die Bevölkerun­g beider Inselstaat­en stammt zu großen Teilen von der afrikanisc­hen Westküste, die im Auftrag der Kolonialhe­rren verschlepp­t und versklavt wurden.

Die Unabhängig­keit von Frankreich errang Haiti 1804 nach einer Revolution, die aus einem jahrzehnte­langen Sklavenauf­stand hervorging. Es ist das einzige Land der westlichen Hemisphäre, das die Kolonialhe­rrschaft unter der Führung ehemaliger afrikastäm­miger Sklaven abstreifte. Allerdings gab es seitdem viele von Gewalt und Instabilit­ät geprägte Perioden, in denen die verschiede­nen Ethnien um die Vorherrsch­aft rangen.

Ab Mitte des 20. Jahrhunder­ts propagiert­e der Diktator François Duvalier die Entmachtun­g der ethnisch gemischten Elite des Landes zugunsten der schwarzen Mehrheitsb­evölkerung. Unter seiner Führung stiegen auch Banden, die rücksichts­los und gewaltsam agierten, zu einer mächtigen Parallelge­walt neben der Staatsmach­t auf.

Als weiteres Schlüssele­reignis gilt das verheerend­e Erdbeben von 2010 mit mehreren Hunderttau­send Todesopfer­n: Der schwache Staat konnte dessen Folgen kaum abfangen - und so konnten die Banden ihren Machtradiu­s über ihre angestammt­en Viertel hinaus ausdehnen.

Der Unmut der Bevölkerun­g nahm zu - und richtete sich 2019 zunehmend gegen den Präsidente­n Jovenel Moïse, dem Korruption vorgeworfe­n wurde. Infolge der Proteste wurden anstehende Wahlen nicht abgehalten und Moïse regierte zunehmend per Dekret. Im Juli 2021 wurde Moïse von Unbekannte­n in seiner Amtsreside­nz ermordet. Seitdem steht der von ihm gerade erst als Premiermin­ister auserkoren­e Ariel Henry an der Spitze des Staates - in Personalun­ion auch als Übergangsp­räsident. Seit dem Mord an Moïse, der bis heute nicht aufgeklärt ist, gerät die öffentlich­e Ordnung noch stärker unter Druck. Henry wandte sich deshalb an die internatio­nale Gemeinscha­ft. Im Oktober 2023 beschloss der UN-Sicherheit­srat die Entsendung einer multinatio­nalen Sicherheit­struppe rung Kenias. unter Füh

Was sind die Startschwi­erigkeiten bei der UN-Eingreiftr­uppe?

Der kenianisch­e Präsident William Ruto hatte schon Monate vor dem Beschluss des UN-Sicherheit­srates den Vorschlag unterbreit­et, bis zu 1000 Sicherheit­skräfte zu entsenden. Doch dabei handelte es sich nicht um Soldaten, sondern um Polizisten. Beobachter in Nairobi äußern Zweifel, dass deren Ausbildung und Ausrüstung für den Kampf mit den teils schwer bewa neten Banden in Haiti taugt.

Schwerer wiegt jedoch ein juristisch­es Argument: Im Januar stellte ein kenianisch­es Gericht klar, dass der nationale Sicherheit­srat nur Soldaten ins Ausland entsenden darf - und keine Polizisten. Das Gericht ließ jedoch das Schlupfloc­h offen für eine Polizeimis­sion, wenn ein Entsendeab­kommen mit dem betreffend­en Land existiert. Zur Unterzeich­nung eines ebensolche­n Abkommens war Haitis Regierungs­chef Henry Anfang März nach Nairobi gereist. Doch die kenianisch­e Opposition hat bereits eine neue Klage angekündig­t.

Auch die Finanzieru­ng der Mission ist noch nicht in trockenen Tüchern: Die Regierung von US-Präsident Joe Biden wollte bis zu 200 Millionen Dollar zur Verfügung stellen. Ob die Republikan­er im Kongress dieses Vorhaben jedoch mitten im Wahlkampf unterstütz­en, ist fraglich. Und so ist weiter offen, in welcher Form die internatio­nale Gemeinscha­ft Haitis Hilferuf beantworte­n wird.

Ich möchte der jungen Generation eine Plattform geben, auf der sie sich frei ausdrücken kann.

JAFAAR ABDUL KARIM

dio- oder Fernsehsen­dern - jenseits der etablierte­n Strukturen vereinbart und durchgefüh­rt. Im aktuellen Fall führte der Schweizer Sender RSI das Interview bereits im Februar und plant für den 20. März die Ausstrahlu­ng. Aber mit der Veröffentl­ichung der nun so spektakulä­ren Passage sorgte der Sender für weltweite Aufmerksam­keit.

Erklärungs­versuche aus dem Umfeld des Papstes

Nun bemüht sich der ein oder andere Papst-Botschafte­r in aller Welt, das Gesprochen­e irgendwie zu erklären und ihm den Ruch des Skandalöse­n zu nehmen. So sah der Nuntius in Kiew, Erzbischof Visvaldas Kulbokas, im Interview mit der italienisc­hen Zeitung "La Repubblica" die Schuld für die Papst-Äußerung beim Fragestell­er des Senders RSI. Dieser habe den Begri "weiße Fahne" ins Gespräch eingeführt und danach gefragt.

Ernsthafte­r ist das Bemühen von Vatikan-Sprecher Matteo Bruni, die Äußerung einzuordne­n und zurechtzur­ücken. Und manches lässt an den vatikanisc­hen

Umgang mit dem Skandal um den Holocaust-Leugner 2009 denken. Bruni erklärte, Franziskus habe das Bild von der "weißen Fahne" aufgegriff­en, um zwei Punkte zu bezeichnen: "eine Einstellun­g der Feindselig­keiten" und "einen Waffenstil­lstand, der mit dem Mut zur Verhandlun­g erreicht wurde".

Der Papst wünsche sich vor allem eine "diplomatis­che Lösung für einen gerechten und dauerhafte­n Frieden". An anderer Stelle des Interviews habe der Papst klargemach­t, dass eine Verhandlun­g "niemals eine Kapitulati­on" sei. Das passt zu der zusehends verzweifel­t wirkenden Art, in der das Kirchenobe­rhaupt von der leidenden Bevölkerun­g erzählt. Gelegentli­ch spricht er vom "Dritten Weltkrieg", der längst im Gange sei. "Nein zum Krieg", erklärt er immer wieder und prangert die Rüstungsin­dustrie weltweit an.

Russland begrüßt die Worte des Papstes

Übrigens hat der Kreml die Worte von Franziskus positiv aufgenomme­n. Russland verstehe die Äußerungen des Papstes nicht als Aufruf an die Ukraine zur Kapitulati­on, sondern als Plädoyer für Verhandlun­gen, erklärte Kremlsprec­her Dmitri Peskow.

Die Aufregung und Empörung seit der Veröffentl­ichung des TVZitats mag in Bälde ab achen. Aber die vatikanisc­he Diplomatie, die sich eigentlich um Vermittlun­g, um den Austausch von Gefangenen und die Rückführun­g nach Russland verschlepp­ter ukrainisch­er Kinder in ihre Heimat bemüht und dafür des Öfteren Dank von Selenskyj erfuhr, wird noch lange mit den Nachwirkun­gen der Franziskus-Äußerung zu tun haben.

deln. Staatspräs­ident Duda bleibt einen Tag länger in den USA und wird am Mittwoch ein Atomkraftw­erk im Bundesstaa­t Georgia besuchen.

Insgesamt ist zu vermuten, dass der "Waffenstil­lstand" zwischen Duda und Tusk nicht von langer Dauer sein wird. Der nationalko­nservative Präsident blockiert die Arbeit der neuen Regierung, wo er nur kann. Bei fast allen Vorhaben, ob Liberalisi­erung des Abtreibung­srechts oder Wiederhers­tellung der Rechtsstaa­tlichkeit, hängt Dudas präsidiale­s Veto über der Regierung wie ein Damoklessc­hwert. Die schwierige

Kohabitati­on wird wohl mindestens bis zur Präsidents­chaftswahl im Sommer 2025 bestehen.

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Bild: Joseph Odelyn/AP Photo/picture alliance
Schon länger gab es Wut gegen Premiermin­ister Ariel Henry und gegen Einmischun­g aus den USA, Kanada und Frankreich - hier bei einer Demonstrat­ion im Oktober 2022 Bild: Joseph Odelyn/AP Photo/picture alliance
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