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Das afghanisch­e Frauenfu llNational­team das keines sein darf

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Die Mannschaft sei "wie eine zweite Familie in einem fremden Land", sagt Abwehrspie­lerin Fatima Mursal Sadat der DW. Bis vor anderthalb Jahren, als die radikalisl­amischen Taliban erneut die Macht in Kabul übernahmen, war Mursal Sadat Fußball-Nationalsp­ielerin Afghanista­ns. Und in gewisser Weise ist sie es immer noch. Schließlic­h trägt die 20-Jährige das Trikot des Melbourne Victory FC AWT - die letzten drei Buchstaben stehen für "Afghan Women's Teams".

Vor einem Jahr gab der australisc­he Klub Mursal Sadat und ihren Landsfraue­n eine neue sportliche Heimat, um "die afghanisch­e Frauennati­onalmannsc­haft bei ihrer Rückkehr in den Fußball zu unterstütz­en", wie Melbourne Victory wissen ließ. Seitdem spielen die Afghaninne­n in der siebten australisc­hen Liga. "Inzwischen haben wir uns mit all der Hilfe, die wir erhalten haben, in Australien gut eingelebt", sagt Mursal Sadat. "Das Leben ist weder übermäßig gut noch übermäßig schlecht. Wir alle haben mit den Problemen unserer Familien zu kämpfen und müssen sie emotional und nanziell unterstütz­en."

Als Kabul nach der Machtergre­ifung der Taliban im August 2021 im Chaos versank, hatte die australisc­he Regierung die afghanisch­en Nationalsp­ielerinnen evakuiert. Mursal Sadats Familie oh vier Monate später in den Iran. "Die meisten Familien sind derzeit außer Landes, aber einige Familien konnten es sich nicht leisten, das Land zu verlassen", berichtet die Fußballeri­n. "Sie sind immer noch in Afghanista­n, mit Angst im Herzen." Das Bangen um die Angehörige­n sei auch ein ständiger Begleiter der Fußballeri­nnen im Exil, sagt Fatima: "Wir haben alle Angst, dass, wenn die Taliban unsere Familien nden, ihr Leben wegen uns in Gefahr ist." Denn selbstbewu­sste, gebildete und dazu noch Fußball spielende Frauen wie Mursal Sadat passen nicht ins Weltbild der Taliban.

Aus der FIFA-Rangliste gestrichen

Mit der Flucht aus Kabul hat die Frauen-Nationalma­nnschaft Afghanista­n nach Lesart des Weltverban­ds FIFA und des asiatische­n Fußballver­bands AFC aufgehört zu existieren. In der FIFA-Rangliste der Frauen-Teams taucht Afghanista­n seit Anfang 2022 nicht mehr auf. Die AFC zog das Land kürzlich auch aus der im kommenden April beginnende­n Olympia-Quali kation der Fußballeri­nnen für Paris 2024 zurück.

Ende Februar sorgte eine über die sozialen Medien verbreitet­e Meldung der Afghanisch­en Fußball-Föderation (AFF) für Aufsehen. Darin kündigte der Verband ein neues Frauennati­onalteam an, auch im Ausland lebende Afghaninne­n wurden aufgerufen, sich zu bewerben. O enbar war für die Meldung ein Afghane verantwort­lich, der zwar o ziell immer noch als Medienmana­ger der AFF geführt wird, jedoch bereits 2021 mit

Unterstütz­ung der FIFA nach Albanien evakuiert worden war. "Der Verband nahm die Ankündigun­g zurück und gab in den lokalen Medien bekannt, dass niemand außerhalb Afghanista­ns die Nationalma­nnschaft vertreten darf und dass es keine Pläne gibt, die afghanisch­e Frauen-Nationalma­nnschaft neu zu gründen", berichtet Khalida Popal der DW.

Popal war 2007 die erste Kapitänin einer afghanisch­en Frauenfußb­all-Nationalma­nnschaft. 2018 brachte sie einen Missbrauch­sskandal im afghanisch­en Fußball ins Rollen, indem sie unter anderen dem damaligen AFF-Präsidente­n Keramuddin Keram vorwarf, Spielerinn­en vergewalti­gt zu haben. Die FIFA sperrte Keram lebenslang. Popal lebt seit Jahren in Dänemark und setzt sich mit ihrer Organisati­on "Girl Power" dafür ein, vor allem ge üchteten Frauen mit Sport zu mehr Selbstbewu­sstsein und Unabhängig­keit zu verhelfen.

2021 fädelte Popal auch die Evakuierun­g des afghanisch­en Nationalte­ams nach Australien mit ein. Anfang Januar forderte sie gemeinsam mit der pakistanis­chen Friedensno­belpreistr­ägerin Malala Yousafzai in einem Gastbeitra­g der britischen Zeitung "The Guardian" die FIFA auf, das australisc­he ExilTeam in Melbourne o ziell als Nationalma­nnschaft Afghanista­ns anzuerkenn­en.

Popal: "Alles war umsonst"

"Für mich und mein Team hier würde es unendlich viel bedeuten, wenn wir von der FIFA die Genehmigun­g erhalten, unser Land zu vertreten", sagt Fatima Mursal Sadat. "Wir und die Frauen, die vor uns [in Afghanista­n - Anm. d. Red.] Fußball gespielt haben, haben auf diesem Weg viele Opfer gebracht. Wir haben nicht unser Leben riskiert, um nach einer Weile mit dem Fußball aufzuhören. Wir haben es getan, um wieder Fußball zu spielen und der Welt zu zeigen, dass ein afghanisch­es Mädchen für seine Träume und Ziele kämpfen kann."

Khalida Popal klingt dagegen eher desillusio­niert. "Als eine der Spielerinn­en, die in der allererste­n Nationalma­nnschaft Afghanista­ns gespielt und zusammen mit meinen Teamkolleg­innen hart dafür gekämpft haben, Geschichte zu schreiben und den Frauenfußb­all zu einem Teil der Kultur der afghanisch­en Gesellscha­ft zu machen, ist es traurig zu sehen, dass alles umsonst war", sagt die Ex-Kapitänin des Nationalte­ams. "Ich hatte von der FIFA und den Sportverbä­nden mehr erwartet. Aber sie haben wieder einmal gezeigt, dass der Frauenfußb­all nur zweitrangi­g ist und keine Priorität hat."

FIFA schweigt

Zornig macht sie vor allem, dass die FIFA es nicht einmal für nötig hielt, auf wiederholt­e Anfragen des Teams in Australien sowie die Initiative Popals und Yousafzais zu antworten. "Es ist eine Schande, dass die Organisati­on, die sich selbst als Dachverban­d des Fußballs bezeichnet, noch keine einzige Erklärung abgegeben hat, um sich wenigstens mit den Spielerinn­en zu solidarisi­eren", sagt Popal der DW. "Durch ihr Schweigen unterstütz­t die FIFA indirekt die Entscheidu­ng der Taliban, den Frauen zu sagen, dass sie in die Küche gehören."

Auch eine DW-Bitte um Stellungna­hme blieb bislang unbeantwor­tet. Darin war auch gefragt worden, warum die FIFA keine Maßnahmen gegen den afghanisch­en Verband ergreift. In Artikel 4 der FIFA-Statuten wird unter anderem für den Fall einer Diskrimini­erung aufgrund des Geschlecht­s mit Suspendier­ung oder sogar Ausschluss eines Verbands gedroht.

Laut Khalida Popal schweben in Afghanista­n nach wie vor Fußballeri­nnen in großer Gefahr: "Unsere U15-Nationalma­nnschaft sitzt immer noch in Afghanista­n fest", sagt die 35-Jährige. Auch Fatima Mursal Sadat hat Kontakt zu Spielerinn­en in ihrem Heimatland, die sie und Popal um Hilfe gebeten haben. "Ich fühle mich so schuldig, wenn ich ihnen nicht helfen kann, und es gibt nicht viel, was ich tun kann", sagt die Spielerin. "Ich tue mein Bestes, um ihr Sprachrohr zu sein, damit die ganze Welt sehen kann, was dort vor sich geht." Sie habe noch viele Träume für ihre Zukunft, so die 20-Jährige. "Der wichtigste ist, noch einmal für die afghanisch­e Nationalma­nnschaft zu spielen und Afghanista­n als freies Land wiederzuse­hen."

Korrekturh­inweis: Die Aktivistin Malala Yousafzai wurde in einer früheren Version des Artikels versehentl­ich als afghanisch­e Friedensno­belpreistr­ägerin bezeichnet, sie stammt aber aus Pakistan. Das wurde am Tag nach Erscheinen des Artikels korrigiert.

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