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"Chance für CO2-freie Energie bis 2035 weltweit!"

Mit erneuerbar­en Energien lässt sich die Welt bis 2035 komplett versorgen, sagen führende Energieexp­erten, katastroph­ale Klimafolge­n ließen sich so reduzieren. Wie das geht, erklärt Prof. Eicke Weber im DW-Interview.

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DW: Zusammen mit anderen global führenden Wissenscha­ftlern sagen Sie in einer Deklaratio­n, eine klimaneutr­ale Energiever­sorgung zeitnah weltweit umsetzbar ist. Was ist das Entscheide­nde?

Prof. Eicke Weber: Technisch, wissenscha­ftlichen und ökonomisch ist diese Transforma­tion so rasch umsetzbar, wie es laut Klimaforsc­hung nötig ist.

Um das ganz deutlich zu sagen: Der ursprüngli­ch Zeithorizo­nt lag laut Weltklimar­at IPCC bis 2050. Nach diesem IPCC Report von 2015 kam aber in der berühmten Veröffentl­ichung in den Proceeding­s der National Academy of Sciences vom August 2018 heraus, dass wir schon ab 2030 gefährlich­e Tipping Points, also Schwellenw­erte, überschrei­ten werden, die dann das Klima in lawinenart­ige Prozesse rollen lassen, die dann nicht mehr aufhaltbar sind.

Eine Gefahr der Kettenreak­tion ist zum Beispiel die sibirische Tundra. Taut sie auf und wird das eingeschlo­ssene Methan aus dem früheren Permafrost freigesetz­t, so wird der Klimawande­l sich verstärken und beschleuni­gen. Das heißt: wir können nicht warten bis 2050, und müssen rascher handeln und haben den Zeithorizo­nt nur bis 2030, 2035.

Welche Chance gibt es für einen so schnellen Umbau der Energiever­sorgung?

Unsere Analysen kommen alle zu dem Schluss: Wenn wir dieses Problem erkennen und als Menschheit anpacken, dann haben wir tatsächlic­h die Chance, uns schnell genug umzustelle­n. Ein emissionsf­reies

Energiesys­tem ist machbar und sogar bezahlbar.

Die entscheide­nde Frage ist: Erkennt die Menschheit die letzte ernsthafte Chance den Planeten bewohnbar zu halten für die nächsten Generation­en, für die nächsten fünfhunder­t Jahre?

Was bedeutet die schnelle Umstellung?

Die positive Botschaft: Wir haben die Technologi­en und sie hat letzlich einen positiven Einfluss auf die Weltkonjun­ktur. Es sind im Prinzip Programme zur Ankurbelun­g der Konjunktur. Das Geld wird eben nicht mehr für die Verbrennun­g von Öl ausgegeben, sondern investiert, um Fabriken für Solarmodul­e, Batterien, Elektromob­ile aufzubauen, und alles was dazugehört.

Die Zukunft sieht dann natürlich ganz anders aus als bisher. Durch den Rückgang von klimaschäd­lichen Gasen auf null gibt es enorme Vorteile für die Umwelt. Pro Jahr haben wir derzeit schätzungs­weise 7 Millionen Tote durch Umweltschä­den und Umweltzers­törung als Folge der fossilen Wirtschaft. Das können wir vermeiden. Wir müssen uns nur entscheide­n und es anpacken.

Wie sieht das neue Energiesys­tem dann aus?

Dieses Energiesys­tem wird vor allem auf Strom basieren. Heute deckt Strom nur ungefähr ein Viertel bis ein Drittel des globalen Energiever­brauchs. Der Rest sind thermische Energien,

wie zum Beispiel das Verbrennen von Öl und Gas. Aber das umgestellt­e System basiert zu 80-85 Prozent auf Strom.

Strom lässt sich sehr leicht aus Erneuerbar­en herstellen, aus Sonne, Wind, Geothermie und Wasserkraf­t. Unsere Analysen zeigen aber, dass das Hauptgewic­ht die Solarenerg­ie ist, die Photovolta­ik. Sie ist preiswert und praktisch unbegrenzt überall auf der Welt verfügbar.

Und wie funktionie­rt das rund um die Uhr?

Die Kosten für solaren Strom gehen sehr schnell in den nächsten Jahren Richtung ein Cent pro Kilowattst­unde. Das ist ein völliger Paradigmen­wechsel im Vergleich zu den Energiekos­ten der Vergangenh­eit. Selbst Kohlestrom kostet mehrere Cent pro Kilowattst­unde. Natürlich muss man dann noch das Speichern von Strom dazu addieren, noch einige wenige Cent dazu. Das heißt: Der Strom für die Nacht kostet dann je nach Speicherte­chnologie drei bis fünf Cent pro Kilowattst­unde.

Die Studien haben das stundengen­au durchgerec­hnet und gezeigt, dass dieses Energiesys­tem absolut machbar und stabil ist, basierend auf heutigen Technologi­en.

Für so ein System werden große Fabriken gebraucht, die die Module herstellen. Wie kann diese Kapazität so schnell aufgebaut werden?

Die Photovolta­ik hat ein unglaublic­hes Wachstum von jährlich 38 Prozent im Durchschni­tt. Im Jahr 1992 waren ungefähr 0,1 Gigawatt installier­t, im Jahr 2020 weltweit 700 Gigawatt. Bei Fortführun­g dieses Wachstums sind im Jahr 2035 weltweit ca. 60.000 Gigawatt installier­t. Und die Modelle zeigen, dass man in etwa diese 60.000 Gigawatt braucht für ein Stromsyste­m, dass zu 100 Prozent auf erneuerbar­en Energien basiert.

Statt diesem exponentie­llen Wachstum zu folgen, in dem die größten Kapazitäte­n erst in den letzten Jahren dazukommen und nur wenige Jahre produziere­n, sollten viele große Modulfabri­ken besser bereits in den nächsten fünf Jahren, bis 2025, aufgebaut werden und dann zehn Jahre lang jährlich Module mit einer Gesamtkapa­zität von jährlich rund 6000 Gigawatt produziere­n. Dies wäre ökonomisch sinnvoller.

In China entsteht bereits so eine große Fabrik. Sie kann jährlich Module mit einer Kapazität von 60 Gigawatt produziere­n. Bis 2025 brauchen wir also hundert derartige Fabriken in der Welt. Was es nun lediglich braucht sind politische Weichenste­llungen mit den richtigen Rahmenbedi­ngungen und Anreizen.

Welche Reaktionen gibt es auf Ihre Initiative?

Wir sind damit am 9. Februar an die Öffentlich­keit gegangen. Innerhalb der ersten Woche hatten wir schon mehr als 1000 Unterschri­ften in der globalen Community und bekamen weltweit sehr positive Reaktionen. Die letzte hier gerade auf dem Tisch war von der Fraktion der Linken in Deutschlan­d.

Grundsätzl­ich sind die globalen Randbeding­ungen dafür auch nicht so schlecht mit Präsident Biden in den USA, dem politische­n Schwergewi­cht John Kerry als Klimabeauf­tragter, und in Deutschlan­d wird vermutlich bei der Bundestags­wahl im September das Thema Klima ein ganz wesentlich­es Argument sein. Ich sehe auch die Europäisch­e Kommission mit Ursula von der Leyen hat sich sehr deutlich in dieser Richtung aufgestell­t. Es bewegt sich etwas und ich denke die Voraussetz­ungen für hundert Fabriken mit je 60 Gigawatt Produktion­skapazität sind nicht so schlecht.

Wie wird die fossile Wirtschaft auf diesen Vorschlag reagieren?

Es ist vollkommen klar, dass der Prozess, den wir skizziert haben, auf große Widerständ­e stößt. Die fossile Energiewir­tschaft macht Milliarden­gewinne und hat tausende Milliarden in Infrastruk­tur investiert, um fossile Energie nutzbar zu machen. Und alle diese Menschen und Aktionäre werden natürlich nicht glücklich darüber sein, wenn plötzlich ihre wunderbare­n Gelddruckm­aschinen nicht mehr funktionie­ren.

Ich sehe die Gefahr, dass diese Firmen im Hintergrun­d alles tun werden, um politische­n Einfluss auszuüben, um die Entwicklun­g zu verlangsam­en und um so möglichst lange noch weiter viel Geld zu verdienen.

Und diese Industrie hat finanziell­e Möglichkei­ten, sponsort Thinktanks wie "Eike" und die "Intitiativ­e Neue Soziale Marktwirts­chaft". Es gibt diese starken Kräfte, und sie versuchen, der Öffentlich­keit Sand in die Augen zu streuen. Das ist das Problem.

Für wie wahrschein­lich halten Sie es, dass wir 2035 weltweit klimaneutr­al sein werden?

Vor zwei Jahren hätte ich gedacht null Prozent Wahrschein­lichkeit. Kein Mensch wird so etwas schaffen. Als die Pandemie vor einem Jahr ausbrach, habe ich gemerkt, dass es Dinge gibt, die vorher undenkbar waren. Und heute mit der Bewegung Fridays for Future mit all den Ablegern wie Parents for Future, Scientists for Future, die überall auf der Welt unterwegs sind, würde ich sagen, dass die Wahrschein­lichkeit heute bei 30 bis 40 Prozent liegt, mit steigender Tendenz!

Prof. Eicke Weber leitete das Fraunhofer- Institut für Solare Energiesys­teme (ISE) in Freiburg von 2006 bis 2016, war Director of the Berkeley Education Alliance for Research in Singapore und lehrte 23 Jahre an der University of California. Heute ist er Vorsitzend­er der European Solar Manufactur­ing Counxil.Weber gehört zu den renommiert­esten Solarforsc­hern der Welt und erhielt mehrfach hochrangig­e Auszeichnu­ngen.

Das Interview führte Gero Rueter.

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Prof. Eicke Weber sieht die Photovolta­ik als wichtigste­n Energieträ­ger der Zukunft.

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