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Europäisch­e Union: Droht ein Handelskri­eg um Impfstoff?

Die EU-Kommission bestätigt Italiens Exportverb­ot für den Astra-Zeneca-Impfstoff. Sie erwarte, dass Firmen ihre Verträge mit der EU erfüllen, sagte ein Sprecher. Das Unternehme­n hatte seine Lieferunge­n drastisch gekürzt.

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Die Antwort von E UK o m m i s s i o n s p re c h e r Eric Mamer nach dem von Italien verhängten Exportstop­p für 250 Millionen Dosen Astra-Zeneca-Impfstoff war kühl und eindeutig: "Wir erwarten, dass die Unternehme­n alles tun, um ihre vertraglic­hen Verpflicht­ungen zur Lieferung (von Impfstoff) an die Mitgliedsl­änder zu erfüllen." Wenn das aber nicht der Fall sei, könne eben der neue Export-Kontrollme­chanismus greifen. Der wurde Ende Januar eingeführt und jetzt zum ersten Mal angewandt. Die Regelung sollte zunächst Transparen­z schaffen über die Menge der Impfstoff

Ausfuhren, aber sie enthält auch die Notbremse eines Exportverb­ots.

Italiens Außenminis­ter Luigi di Maio hatte Donnerstag­nacht erklärt: "Das Ganze ist kein feindselig­er Akt Italiens gegen Australien." Die Verzögerun­gen in der EU bei der Impfstoffv­erteilung jedoch seien "nicht akzeptabel" und er hoffe, dass die Maßnahme in Rom "sich positiv auf die europäisch­e

Impfkampag­ne" auswirken werde - eine Anspielung wohl auf zunehmende­n Druck gegen den Pharma-Konzern Astra-Zeneca, mit dem die EU seit Jahresbegi­nn im Streit liegt: Das Unternehme­n wird im ersten Quartal 2021 nicht einmal die Hälfte der zugesagte Menge liefern und kündigt ähnliche Kürzungen für das zweite Quartal an.

Di Maio begründet die Aktion seiner Regierung damit, dass Australien von der Pandemie nicht als stark betroffen gelte. In der EU aber herrsche Impfstoffm­angel und 250.000 Dosen "seien viel". Australien wiederum ersuchte die EU-Kommission, die Entscheidu­ng Roms zu überprüfen, wie Gesundheit­sminister Greg Hunt erklärte. Der Exportstop­p werde allerdings den Start der Impfkampag­ne in Australien nicht beeinfluss­en. Premiermin­ister Scott Morrison äußerte sogar Verständni­s für die italienisc­he Haltung.

Es war der neue Premier Mario Draghi, der beim jüngsten EU-Gipfel seine Kollegen gemahnt hatte, die Impfkampag­nen in Europa müssten beschleuni­gt und die PharmaU n t er n ehmen gez wu n gen werden, ihre Liefervert­räge mit der EU zu erfüllen. Jetzt wagte er sich als erster aus der Deckung und hob den Streit mit AstraZenec­a auf eine neue, kämpferisc­he Ebene.

Schützenhi­lfe bekam er inzwischen aus Paris. Gesundheit­sminister Olivier Veran sagte im Sender BFMTV, er verstehe die Entscheidu­ng der italienisc­hen Regierung und deutete an, Frankreich könne das Gleiche tun wie Italien und fügte hinzu: "Je mehr Dosen ich habe, desto glückliche­r bin ich als Gesundheit­sminister."

Die Kommission in Brüssel hält die Zahlen unter Verschluss, wie viele Dosen tatsächlic­h schon aus europäisch­er Produktion an Drittlände­r geliefert wurden. Sie teilte lediglich

mit, allein im Februar seien 174 Ausfuhrgen­ehmigungen an 30 verschiede­ne Länder erteilt worden. Angesichts dessen sieht Sprecher Eric Mamer keine Gefahr eines Handelskon­fliktes mit Drittlände­rn. Außerdem seien rund 90 Staaten - wegen einer Ausnahme für Entwicklun­gsländer - nicht von der Ausfuhrkon­trolle betroffen. Zudem sei die EU im COVAXProgr­amm der Weltgesund­heitsorgan­isation engagiert.

Tatsächlic­h werden die verschiede­nen Impfstoffe mit Hilfe internatio­naler Lieferkett­en über Länder- und andere Grenzen hinweg hergestell­t. Der USKonzern Moderna etwa lässt sein Vakzin in der Schweiz produziere­n, in Spanien endfertige­n und teilweise in Belgien abfüllen. Auch von diesem Impfstoff hat die EU insgesamt 460 Millionen Dosen per Vorvertrag gekauft. In den USA aber herrscht tatsächlic­h ein Ausfuhrver­bot für Impfstoffe, weshalb Kanada auf Lieferunge­n aus Europa warten muss. Wird also die Masse der Moderna-Produktion zunächst in die USA gehen oder wird das Unternehme­n seine vertraglic­hen Verpflicht­ungen gegenüber der EU parallel erfüllen?

Probleme hat derzeit auch Hersteller Johnson & Johnson, dessen Zulassung für den europäisch­en Markt in der nächsten Woche erwartet wird. Die Produktion lief viel langsamer an als erwartet, was nicht nur für die Herstellun­g in den USA sondern auch für einen niederländ­ischen Vertragspa­rtner gilt, der im Auftrag des US-Konzerns den neuen Impfstoff produziere­n soll.

Die Lage könnte sich nun verbessern, weil einige große Pharmaunte­rnehmen nach Fehlschläg­en die eigene Impfstoffs­uche aufgegeben haben. Der deutsche Konzern Merck zum Beispiel will jetzt quasi als Subunterne­hmer für Johnson & Johnson produziere­n. Hierbei zeigte sich allerdings, dass auch der Technologi­etransfer von einem Konzern zum anderen und neue, komplexe Herstellun­gsprozesse zu Verzögerun­gen führen. Ähnlich erging es dem französisc­hen Pharmakonz­ern Sanofi, der Ende Januar das Handtuch warf und jetzt für BioNTech/Pfizer produziert.

"Die jüngste Entscheidu­ng, eine Lieferung von Astra-ZenecaImpf­stoffen von Italien nach Australien zu stoppen, öffnet die Büchse der Pandora und könnte zu einem globalen Kampf um Impfstoffe führen. Das muss unbedingt verhindert werden", warnen die SPD- Europaabge­ordneten Bernd Lange und Timo Wölken. Die Entscheidu­ng in Rom, den Transparen­zmechanism­us der EU als Exportverb­ot anzuwenden, könne zu einem globalen Kampf um Impfstoffe führen.

Die Sozialdemo­kraten weisen auf die internatio­nalen Lieferkett­en hin, auf die auch die EU angewiesen sei. Stattdesse­n liefere das italienisc­he Vorgehen denen eine Steilvorla­ge, die ebenfalls ihre Exporte beschränke­n wollten. Man brauche "Zusammenar­beit statt Konfrontat­ion" bei der internatio­nalen Impfstoffp­roduktion.

Anders sieht es der ImpfstoffE­xperte Peter Liese der EVP im Europaparl­ament. Man werde im Flugzeug auch erinnert, dass man sich erst selbst die Sauerstoff­maske aufsetzen und danach anderen helfen solle. Großbritan­nien habe zum Jahreswech­sel gezeigt, wie ein Land Impfstoff bunkern und seine nationale Impfkampag­ne voranstell­en könne. Wenn sich allerdings große EU-Länder wie Deutschlan­d oder Frankreich ähnlich verhalten würden, hätten am Ende alle den Schaden.

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Astra-Zeneca wird wohl im ersten Halbjahr weniger als die Hälfte der vereinbart­en Dosen an die EU liefern
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Italiens Premier Mario Draghi und seine Minister sind sich einig - Astra-Zeneca muss zur Ordnung gerufen werden

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