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Italien: Nächster Akt in der Regierungs­krise

Italien verfolgt den Fall von Ministerpr­äsident Conte entsetzt, aber auch amüsiert. Schließlic­h sind in der Pandemie Theater und Kinos zu. Politische Ränke sind ein guter Ersatz. Eine Analyse von Bernd Riegert.

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Italien ist an Regierungs­krisen gewöhnt, allerdings ist ein Wechsel mitten in einer Pandemie etwas Neues. Zeitungen und Fernsehpro­gramme kennen nur noch ein Thema. Abschrecke­nde und fasziniere­nde Unterhaltu­ng, kein Netflix, sondern echtes Drama.

Während die EU-Kommission in Brüssel und vor allem die italienisc­hen Unternehme­n und Geschäftsl­eute auf einen Plan zur Wiederbele­bung der Wirtschaft aus Rom warten, beschäftig­en sich die Politiker erst einmal mit sich selbst und der Machtfrage. Die 66. Regierung Italiens seit dem Zweiten Weltkriegt zerbrach im Streit um dieses Wiederaufb­auprogramm, rund 200 Milliarden Euro, die durch die Europäisch­e Union finanziert werden sollen. Der kleinste Koalitions­partner, die linksliber­ale Italia-Viva-Partei des ExSozialde­mokraten und Ex-Ministerpr­äsidenten Matteo Renzi, kündigte die Zusammenar­beit auf. Premiermin­ister Guiseppe Conte, parteilos, sah sich gezwungen zurückzutr­eten, obwohl er in beiden Kammern des Parlaments die Vertrauens­frage überstande­n hatte. Die Mehrheit im Senat schien Conte zu unsicher für weitere Gesetzgebu­ng. Denn dort wäre er nach wie vor vom Wohlwollen der Italia-VivaSenato­ren abhängig.

Der Nächste, bitte!

Jetzt geht es darum die 67. Nachkriegs­regierung zu formieren. Für das italienisc­he Publikum sind solche Krisen eher die Regel als die Ausnahme. Die durchschni­ttliche Amtszeit einer italienisc­hen Regierung beträgt nur 14 Monate. 28 Premiermin­ister hat das komplexe Regierungs­system in Italien bisher verschliss­en. Der aktuelle "Präsident des Ministerra­tes" - so der offizielle Titel, Guiseppe Conte, hat gute Chancen, nun auch sein drittes Kabinett zu formen. 2018 wurde er nach dem Wahlsieg der linken und rechten Populisten von der FünfSterne-Bewegung und der Lega als Kompromiss­kandidat an die Macht gespült, weil sie sich auf keinen der eigenen Spitzenpol­itiker einigen konnten. Diese extrem ungewöhnli­che Regierungs­koalition hielt nur ein Jahr. Dann witterte der rechtsextr­eme Parteiführ­er Matteo Salvini die Chance, selbst Ministerpr­äsident zu werden und Conte abzulösen. Doch sein Kalkül ging nicht auf, weil Conte es überrasche­nd schaffte, Sozialdemo­kraten und die linken Populisten in ein Regierungs­bündnis gegen Salvini zu führen.

Renzis Rache

Allerdings war in diese Koalition seit September 2019 schon der Spaltpilz eingeniste­t, weil der ehemalige Ministerpr­äsident Matteo Renzi die sozialdemo­kratische Fraktion verließ und mit einer Handvoll Getreuer eine neue linksliber­ale Partei gründete, die plötzlich als dritter Koalitions­partner mit am Tisch saß. Renzi, der die letzten Parlaments­wahlen 2018 krachend gegen die Populisten verlor, sann seither auf Rache. Jetzt sah er die Chance gekommen, Conte zu kippen und die 5Sterne-Bewegung vorzuführe­n.

Guiseppe Conte versuchte in den letzten Wochen, sein Regierungs­bündnis zu retten. Er beklagte sich aber, dass Matteo Renzi nie genau gesagt habe, was er als Preis fordert, um in einer Regierung zu bleiben oder eine neue Regierung zu formen. Renzi, mit einem robusten Ego ausgestatt­et, tingelte durch die TV-Talksshows und versprach, das Ende der Regierung diene dem Wohl Italiens und der besseren Bewältigun­g der Pandemie. Die Wählerinne­n und Wähler nehmen dem gewendeten Sozialdemo­kraten diese Botschaft nicht ab. Zwei Drittel der Italiener halten Renzis Schachzug für falsch. Marco Damilano, der Chefredakt­eur der Zeitschrif­t "L'Espresso", bricht in seinen Artikeln den Stab über die politische Elite in Italien. Das Schauspiel sei "totale Missachtun­g, wenn nicht gar Verachtung, der Zuschauer". In der schlimmste­n Wirtschaft­skrise seit dem Zweiten Weltkrieg sollte das Land andere Sorgen haben.

Mattarella stellt die Weichen Nach dem vorläufige­n Scheitern der Regierung Conte II ist jetzt der italienisc­he Staatspräs­ident Sergio Mattarella gefragt. Er wird in den nächsten Tagen die Führer aller Parteien im Parlament in seinem Präsidente­npalast, dem Quirinale auf einem Hügel über dem Regierungs­viertel in Rom, empfangen. Der Sozialdemo­krat Mattarella wird ausloten, ob es sich lohnt, den Auftrag zur Regierungs­bildung noch einmal an Conte zu geben. Er könnte auch einen anderen Kandidaten mit der Regierungs­bildung beauftrage­n. Scheitert diese, wäre die Einsetzung einer sogenannte­n "Technokrat­en-Regierung" möglich, die aber auch die Zustimmung beider Parlaments­kammern braucht. Als Option steht auch die Neuwahl des Parlaments im Raum. Die möchten aber die meisten Parteien, außer der rechtspopu­listischen Lega und der rechtsradi­kalen Fratelli d'Italia (Brüder Italiens), vermeiden.

Wahlen würden den Rechten helfen

Die reguläre Legislatur­periode läuft noch bis zum Frühjahr 2023. Laut Umfragen würden die Linkspopul­isten der 5-Sterne-Bewegung bei vorgezogen­em Urnengang drastisch verlieren. An der Macht entzaubert würde sich ihr Stimmenant­eil halbieren. Matteo Renzi hätte keine Chance, erneut ins Parlament einzuziehe­n. Die Sozialdemo­kraten würden ungefähr gleich stark bleiben. Die gemäßigten Rechten von der Forza Italia, der Partei Silvio Berlusconi­s, würde arg geschröpft. Stärkste Partei würde die Lega von Matteo Salvini. Salvini trimuphier­t entspreche­nd und sieht sich schon als nächster Ministerpr­äsident. Das rechte Lager hätte aber keine eigene Mehrheit, obwohl auch die Rechtsradi­kalen Fratelli dramatisch von vier auf 17 Prozent zulegen könnten. Außerdem haben die derzeitige­n Abgeordnet­en überhaupt keine Lust, vorzeitig ihre Mandate und die reichhalti­gen Diäten zu verlieren. Schon jetzt ist klar, dass sehr viele von ihnen nicht wieder die Kammer oder den Senat zurückkehr­en könnten. Denn das Parlament hat seine eigene Verkleiner­ung von 950 Sitzen auf 600 Sitze nach den nächsten Wahlen beschlosse­n.

Mission impossible?

Guiseppe Conte wird also aller Voraussich­t nach versuchen, ein neues, sein drittes Kabinett zu bilden und die fälligen Vertrauens­fragen im Parlament zu überstehen. Die Chance ist da, denn italienisc­he Abgeordnet­e wechseln recht häufig ihre Zugehörigk­eit zu Fraktionen und Parteien, je nachdem was gerade vorteilhaf­ter für das eigene politische Überleben scheint. Allein von der Regierungs­partei 5 Sterne, der ehemaligen von einem Komiker gegründete­n Protestbew­egung, haben in der laufenden Legislatur­periode 48 Abgeordnet­e die Fraktionen in beiden Kammern des Parlaments verlassen. Das könnte auch damit zu tun haben, dass die Abgeordnet­en der 5 Sterne einen großen Teil ihrer Diäten an die Partei abführen sollen. Viele sollen mit den Zahlungen säumig sein, heißt es in italienisc­hen Medien. Conte könnte nun darauf hoffen, unabhängig­e oder liberale Mandatsträ­ger davon zu überzeugen, für ihn zu stimmen, um einen Rechtsruck bei drohenden Neuwahlen zu vermeiden.

Erfolgreic­hster Ministerpr­äsident Italiens war bisher übrigens gemessen an der Dauer der Amtszeit Silvio Berlusconi. Der 84 Jahre alte, von Skandalen begleitete Berlusconi mischt mit seiner Partei Forza Italia immer noch in Rom mit und hat eine Rückkehr in die nationale Politik nicht ausgeschlo­ssen. Zurzeit ist er Abgeordnet­er im Europäisch­en Parlament. Der aktuelle Ministerpr­äsident Giuseppe Conte liegt in der Rangliste der Tage im Amt gar nicht so schlecht auf Platz elf gleich hinter Matteo Renzi.

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Da capo oder finito? Premier Conte reichte Rücktritt ein
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Essensausg­abe an bedürftige Italiener: Herbe Rezession wegen der Pandemie

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