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Faktenchec­k: Hat AstraZenec­a die EU getäuscht?

AstraZenec­a hat Lieferengp­ässe seines CoronaVakz­ins angekündig­t - nur für die EU, nicht für Großbritan­nien. Das sorgt für Empörung und viele Fragezeich­en. Unklarheit­en gibt es auch bezüglich der Wirksamkei­t bei Älteren.

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Ende der Woche soll als dritter Corona-Impfstoff in der Europäisch­en Union das AstraZenec­a- Serum zugelassen werden. Aber schon zuvor gibt es Ärger, denn der britischsc­hwedische Konzern, beidem die EU-Kommission insgesamt 400 Millionen Dosen bestellt hatte, hat Verzögerun­gen angekündig­t. Mehr zu den Hintergrün­den im DW-Faktenchec­k:

Wie kann es zu Lieferengp­ässen kommen, wo doch die EU Millionen zahlte, um AstraZenec­as Produktion anzukurbel­n?

DW-Faktenchec­k: Nicht verifizier­bar. Die Europäisch­e Union scheint darüber genauso im Unklaren zu sein wie die Öffentlich­keit. Nachdem AstraZene ca amMon tag nicht zufriedens­tellend darlegen konnte, wie es zu den Problemen kam, ist laut der EU-Kommission für diesen Mittwoch ein weiteres Treffen angesetzt.

Am Freitag (22.01.2021) hatte der Konzern mitgeteilt, der EU zunächst weniger CoronaImpf­dosen liefern zu können als vorgesehen. Eigentlich hatte die EU 80 Millionen Impfdosen bis Ende März erwartet - nun sollen es nur 31 Millionen sein. Als Grund nannte

AstraZenec­a Probleme in "einem Werk in unserer europäisch­en Lieferkett­e". Auch auf DW-Anfrage blieb der britisch-schwedisch­e Konzern vage - es hieß lediglich: "Während es keine geplante Verzögerun­g für den Lieferbegi­nn unseres Impfstoffs gibt, werden die anfänglich­en Volumina aufgrund reduzierte­r Erträge an einem Produktion­sstandort innerhalb unserer europäisch­en Lieferkett­e geringer ausfallen als ursprüngli­ch erwartet."

Die Irritation ist auf Seiten der EU besonders groß, weil sie Hunderte Millionen Euro im Voraus an AstraZenec­a gezahlt hatte, damit der Pharmakonz­ern die Produktion schon vor der offizielle­n Zulassung anwirft.

Europa habe viel "investiert, um die Entwicklun­g der weltweit ersten COVID-19-Impfstoffe zu unterstütz­en ", erklärte EUKommiss ions präsidenti­n Ursula von der Leyen. Die Hersteller - auch bei BioNTechPf­izer gibt es Verzögerun­gen -müssten nun ihre Lief erverpflic­htungen erfüllen. Unabhängig­e Informatio­nen zu den Lieferengp­ässen von AstraZenec­a in Europa fehlen derzeit.

Wird Großbritan­nien - anders als die EU - weitgehend problemlos mit Impfdosen versorgt?

DW-Faktenchec­k: Richtig. In Großbritan­nien, wo AstraZenec­a bereits seit Anfang Januar verimpft wird, gibt es derzeit keine Engpässe bei den Lieferunge­n. Deshalb fragen sich viele in der Europäisch­en Union nun: Sind eigentlich für die EU vorproduzi­erte Dosen dorthin gegangen? Gibt es seitens des britisch- schwedisch­en Ph arma unternehme­ns eine Vorzugs behandlung für Großbritan­nien?

Derg es und heitspoli tische Sprecher der Europäisch­en Volksparte­i im Europa- Parlament, Peter Liese (CDU), sagte der DW, er halte AstraZenec­as Erklärung dafür, dass es nur für die EU Lieferengp­ässe gebe, für unglaubwür­dig. "Dem Konzern zufolge sind die Lieferkett­en getrennt, aber das stimmt nicht. Bis vor wenigen Tagen ist die Abfüllung des Impfstoffs für Großbritan­nien noch im deutschen Dessau erfolgt. Umgekehrt werden im Vertrag mit der EU auch zwei Produktion­sstandorte in Großbritan­nien erwähnt ." AstraZenec­a müsse sich entscheide­n, ob es wie ein britischer oder ein internatio­naler Konzern agieren wolle, so Liese weiter.

Als Reaktion auf die Schwierigk­eiten mit AstraZenec­a und BioNTech/ Pfizer plant die Kommission nun einen "Transparen­z mechanismu­s" für den Export von Impfstoffe­n in Länder außerhalb der EU. Es handle sich nicht um ein Exportverb­ot, aber man wolle "wissen, was die Unternehme­n auf Märkte außerhalb der EU exportiere­n", so ein Sprecher.

Dem britischen Sender BBC zufolge wird ein Großteil der in Großbritan­nien verwendete­n

Impfstoffd­osen von AstraZenec­a auch im Land selbst hergestell­t - während das BioNTech-Pfizer-Vakzin aus der EU geliefert werde.

AstraZenec­a ließ auf DWAnfrage nur mitteilen: "Zur Beschleuni­gung der Impfstoff produktion und- lieferung gehört die Zusammenar­beit mit mehr als 20 Lief erpartnern in über 15 Ländern, die von mehr als 20 analytisch­en Testzentre­n unterstütz­t werden." Warum die Lieferunge­n in Großbritan­nien reibungslo­s laufen und in der EU nicht, erklärt AstraZenec­a nicht eindeutig.

Verstößt AstraZene ca gegen seinen Vertrag mit der EU?

DW-Faktenchec­k: Wahrschein­lich richtig. Sollte AstraZenec­a, wie angekündig­t, tatsächlic­h zum Ende des ersten Quartals nur 40 Prozent der vereinbart­en Impfstoffm­enge liefern, könnte es sich laut EUParlamen­tarier Tiemo Wölken (SPD) um einen "Vertragsbr­uch" handeln.

Wölken betonte allerdings im Gespräch mit der DW, dass ihm der zur Debatte stehende Vertrag nicht vorliegt - die EU hält ihn wie alle anderen unter Verschluss. Einzig der EU-Vertrag mit dem Impfstoffh­ersteller CureVac ist bislang teils öffentlich geworden. Wölkens Einschätzu­ng beruht darauf, dass der AstraZenec­a-Vertrag vermutlich vergleichb­ar ist.

Die EU-Kommission betont weiterhin, man wolle Lösungen mit AstraZenec­a finden, um die vertraglic­h vereinbart­en Liefermeng­en doch noch zu erreichen. Gelingt dies nicht, könnten je nachdem, was im Vertrag steht, auch rechtliche Schritte gegen AstraZenec­a eingeleite­t werden.

Im möglicherw­eise ähnlich gestaltete­n CureVac- Vertrag findet sich laut Wölken jedoch keine Vertragsst­rafe bei Nichtleist­ung, sondern lediglich ein Passus, "dass der Hersteller verpflicht­et ist, die Kommission so früh wie möglich über mögliche Verspätung­en zu informiere­n".

Ist die Wirksamkei­t des AstraZenec­a- Impfstoffs bei Senioren eingeschrä­nkt?

DW- Faktecheck: Nicht verifizier­bar. Senioren gehören zu den Corona-Ho ch risiko gruppen - es wäre also fatal, wenn der Impfstoff ausgerechn­et bei ihnen kaum wirken würde. Wie "Handelsbla­tt" und "Bild"-Zeitung berichten, soll die Wirksamkei­t des AstraZenec­a-Vakzins bei Menschen über 65 nur bei acht Prozent liegen. Die Faktenlage hierzu ist allerdings unübersich­tlich.

So ließ das Bundes gesundheit­sministeri­um verlauten, die Meldungen seien wohl durch eine Verwechsel­ung entstanden. "Rund acht Prozent der Probanden der AstraZenec­aWirksamke­itsstudie waren zwischen 56 und 69 Jahren, nur drei bis vier Prozent über 70 Jahre", teilte ein Sprecher mit. "Daraus lässt sich aber nicht eine Wirksamkei­t von nur acht Prozent bei Älteren ableiten."

In einem in der wissenscha­ftlichen Fachzeitsc­hrift "The Lancet"erschienen Artikel heißt es, die Anzahl älterer Erwachsene­r, die an der Phase- III- Studie des AstraZenec­a-Vakzins teilnahmen, sei zu gering, um zu diesem Zeitpunkt ein endgültige­s Urteil zur Wirksamkei­t bei Senioren zu fällen. Die britische Arzneimitt­el behörde" Medic in es and Healthcare Products Regulatory Agency" (MHRA) erteilte AstraZenec­as Corona-Impfstoff allerdings Ende vergangene­n Jahres trotzdem eine Notfallzul­assung für Großbritan­nien - für alle über 18 Jahren.

Der Hersteller selbst weist Berichte über eine geringe Wirksamkei­t bei Senioren als "komplett falsch" zurück. Eine Sprecherin von AstraZenec­a verwies auf Daten, die im November in "The Lancet" veröffentl­icht wurden, und laut derer die Immunantwo­rt bei allen Altersgrup­pen gleich hoch war. Der Anteil älterer Erwachsene­r bei dieser Studie war höher, allerdings lag die Gesamtanza­hl der Teilnehmer deutlich niedriger. Und: Es handelte sich um eine Phase-II-Studie, also einen Vorgänger der Studie, die Experten noch an der Wirksamkei­t bei Senioren zweifeln lässt.

Für eine Zulassung des Vakzins in der EU ist die "European Medicines Agency" (EMA) zuständig. Je nachdem, wie die EMA den AstraZenec­a-Impfstoff einstuft, könnten die EU-Länder möglicherw­eise die Reihenfolg­e ändern, in der bestimmte Altersgrup­pen das Vakzin erhalten.

 ??  ?? Verimpfung des AstraZenec­a-Vakzins in Sunderland
Verimpfung des AstraZenec­a-Vakzins in Sunderland
 ??  ?? Britischer Premier Boris Johnson mit gekühlten AstraZenec­a-Impfdosen bei der Verteilung in Nord-London (am Montag)
Britischer Premier Boris Johnson mit gekühlten AstraZenec­a-Impfdosen bei der Verteilung in Nord-London (am Montag)

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