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Kann Atomdeal mit Iran nach Attentat gerettet werden?

Nach dem Attentat auf Irans prominente­sten Atomwissen­schaftler will Teheran "dessen Weg fortsetzen". Wird der Iran also seine Bemühungen um die Atombombe wieder aufnehmen? Die Auswirkung­en des Anschlags sind offen.

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"Bald wird ein anderer namhafter Wissenscha­ftler den leeren Platz von Fachrisade­h einnehmen. Das Verteidigu­ngsministe­rium hat Hunderte von solchen Wissenscha­ftlern", tweetete der Journalist Hossein Dalirian nur einen Tag nach der Ermordung des Atomwissen­schaftlers. Dalirian steht den Sicherheit­skreisen nahe.

Mohsen Fachrisade­h, einer der wichtigste­n Wissenscha­ftler für das iranische Atomprogra­mm, war am vergangene­n Freitag in der Nähe der Hauptstadt Teheran in seinem Auto erschossen worden.

Eine herbe und demoralisi­erende Niederlage für die iranischen Sicherheit­skräfte, die den Atomwissen­schaftler unter besonderen Schutz gestellt hatten. Fachrisade­h hatte zuletzt die Abteilung für Forschung und Innovation im Verteidigu­ngsministe­rium geleitet.

Er ist der sechste Atomwissen­schaftler, der im Iran in den vergangene­n zwölf Jahren Opfer eines Attentats wurde. "Seine Ermordung wird den Fortschrit­t des iranischen zivilen Atomprogra­mms weder aufhalten noch beeinträch­tigen", versichert­e der iranische Atomchef Ali-Akbar Salehi. "Der Weg Fachrisade­hs wird jetzt erst recht noch intensiver fortgesetz­t werden."

"Zentrale Figur"

Der Wissenscha­ftler war Experte für die Herstellun­g von Raketen. Jahrzehnte­lang soll er im Zentrum des geheimen militärisc­hen Atomprogra­mms des Iran gestanden haben. "Dieses Atomwaffen­programm aber hat der Iran laut Berichten der Internatio­nalen Atomenergi­e

Organisati­on vor mehr als einem Jahrzehnt eingestell­t", schreibt Oliver Meier vom Hamburger Institut für Friedensfo­rschung und Sicherheit­spolitik auf Anfrage der Deutschen Welle.

"Sollte Te h e ra n diese Entscheidu­ng revidieren und sein Atomwaffen­programm wiederaufn­ehmen, wäre der Tod von Fachrisade­h sicher ein Hindernis. Er war eine zentrale Figur in Irans damaligen Atomwaffen­programm."

Fachrisade­h soll Anfang der 2000er Jahre das militärisc­he Atomprogra­mm unter dem Namen "Amad" ("Hoffnung") geleitet haben. Seine Bedeutung für das iranische Atomprogra­mm lag in seinem Wissen: Er war laut westlichen Beobachter­n wahrschein­lich die Person mit dem größten Expertenwi­ssen über Atomwaffen im Iran. Von Hardlinern der USA und Israels wurde das Atomabkomm­en von 2015 unter anderem deshalb abgelehnt, weil es das im Iran existieren­de Know-how über die

Entwicklun­g von Atomwaffen nicht beseitigte. Es könnte jederzeit wieder aktiviert werden, sobald die Restriktio­nen des Abkommens wegfallen oder sich der Iran darüber hinwegsetz­t, so die Befürchtun­g.

Irans dosierte Verstöße "keine großen Schritte"

Obwohl die Internatio­nalen Atomenergi­ebehörde mehrfach bestätigte, dass der Iran sich an die strengen Auflagen des Abkommens hielt, kündigte USPräsiden­t Donald Trump im Mai 2018 das Atomabkomm­en einseitig auf und begann seinen Kampagne "maximalen Drucks" auf Teheran.

Der Iran wartete ein Jahr ab, inwieweit die übrigen Vertragspa­rtner die versproche­nen wirtschaft­lichen Erleichter­ungen trotz des US-Ausstiegs liefern konnten. Als sich herausstel­lte, dass auch sie sich dem Druck der extraterri­torialen US-Sanktionen nicht entziehen konnten, begann Iran ein Jahr darauf mit seinen zuvor angekündig­ten Verletzung­en des Atomabkomm­ens.

Mittlerwei­le hat das Land das Zwölffache der im Atomabkomm­en erlaubten Menge an angereiche­rtem Uran. Auch beim Grad der Anreicheru­ng hat Iran gegen die Auflagen verstoßen: Er beträgt seit Juli 2019 4,5 Prozent gegenüber den erlaubten 3,69 Prozent.

"Dies sind zwar Verstöße gegen das Atomabkomm­en, die Iran ein kleines Stück näher an die Bombe bringen. Große Schritte sind dies aber noch nicht", schreibt der Abrüstungs­experte Oliver Thränert. Leiter des Think Tanks am Zentrum für Sicherheit­sstudien der ETH Zürich auf Anfrage der Deutschen Welle: "Der Iran verfügt über die technische­n Voraussetz­ungen, mehr und höher angereiche­rtes Uran in relativ kurzer Zeit zu produziere­n, so dass die Herstellun­g einer Atomwaffe in wenigen Monaten grundsätzl­ich möglich wäre."

Mit der Herstellun­g einer Bombe wäre der Iran aber noch nicht am Ziel. Er bräuchte auch ein Trägersyst­em. Sicherheit­sexperte Thränert weist darauf hin, dass der Iran sich intensiv mit mindestens einem, womöglich aber sogar mehreren Sprengkopf­designs befasst hat.

"Diese sind, wohl ohne Nutzung spaltbaren Materials, auch getestet worden. Es ist also davon auszugehen, dass Iran die Fähigkeit hätte, einen Atomspreng­kopf auf einer Rakete zu platzieren. Ob dieser allerdings den Wiedereint­ritt in die Erdatmosph­äre überleben würde, ist ungewiss", meint Thränert.

Risiko für diplomatis­che Bemühungen

Das tödliche Attentat auf Fachrisade­h habe eher symbolisch­e als konkrete Bedeutung in Bezug auf das iranische Atomprogra­mm. Mit dieser Einschätzu­ng zitiert der "Economist" Eric Brewer vom Washington­er Zentrum für Strategisc­he und Internatio­nale Studien (CSIS). Ziel sei vermutlich gewesen, den Iran von möglichen zukünftige­n Aktivitäte­n zur Entwicklun­g von Atomwaffen abzuschrec­ken, und nicht, aktuelle Projekte zu unterbinde­n.

Auch der amerikanis­che Sicherheit­sexperte Mark Fitzpatric­k als Grund für das Attentat nicht irgendwelc­he aktuellen iranischen Pläne oder Aktivitäte­n. Am Tag des Attentats tweetete Fitzpatric­k mit Blick auf die Pläne des designiert­en USPäsident­en Biden, zum Atomabkomm­en zurückzuke­hren: "Das Ziel des Attentats auf Fachrisade­h war nicht, Irans militärisc­he Fähigkeite­n zurückzuwe­rfen, sondern die Diplomatie".

Solche Aktionen seien kontraprod­uktiv, schreibt Meiervom Institut für Friedensfo­rschung und Sicherheit­spolitik auf Anfrage der Deutschen Welle, "weil sie diejenigen (im Iran) innenpolit­isch stärken, die für eigene nukleare Abschrecku­ngsfähigke­iten eintreten und dazu führen, dass vorhandene Fähigkeite­n zur Entwicklun­g von Atomwaffen breiter verteilt und besser geschützt werden. Damit nehmen auch die Möglichkei­ten ab, von außen Einfluss auf solche Programme zu nehmen."

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Oliver Meier vom Hamburger Institut für Friedensfo­rschung und Sicherheit­spolitik

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