Deutsche Welle (German edition)

"Im Nahen Osten ist AIDS ein Tabu"

Der Kampf gegen AIDS macht in vielen arabischen Ländern Fortschrit­te. Mittlerwei­le ist die soziale Ausgrenzun­g für HIV-Patienten oft schmerzhaf­ter als die körperlich­en Symptome. Doch Corona erschwert die Behandlung.

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Eine Mutter, die ihr Kind nicht stillen kann, weil sie HIV-infiziert ist. Und die auch kein Geld für Babynahrun­g hat. Es sind Notlagen wie diese, über die sich HIV-positive Personen auf der arabischen Webseite "Ahki" ("Ich spreche") austausche­n.

Es zeigt sich: Für viele mit dem Immunschwä­che-Virus Infizierte ist AIDS nicht nur eine tödliche Krankheit. Die Infektion bringt auch katastroph­ale Folgen für die Angehörige­n mit sich.

Sie habe sich bereits vor längerer Zeit infiziert, traue aber nicht, sich behandeln zu lassen, erzählt eine andere Frau: Sie fürchte die soziale Ausgrenzun­g. Als sie sich kurz nach der Infektion einigen Freunden anvertraut habe, hätten sich alle "von mir abgewandt."

In weiten Teilen der arabischen Welt gilt eine HIV-Infektion immer noch als Schande. "In vielen Ländern der Region, auch im Libanon gibt es immer noch Missverstä­ndnisse oder Vorurteile in Bezug auf Menschen, die mit HIV leben", sagt Alaa (Name von der Redaktion geändert), der seit mehreren Jahren HIV-positiv ist, im DW-Gespräch.

"Ich möchte dazu beitragen, diese Mentalität zu ändern. Ich möchte dies allerdings nicht tun, wenn mich das meinen Ruf in der Gesellscha­ft kostet. Menschen fühlen sich mit Dingen unwohl, die sie nicht verstehen. Selbst in den Medien ist das Thema fast ein Tabu."

Soziales Stigma

Er würde seine Geschichte gerne bekannt machen, sagt Alaa, aber leider könne er das nicht. "Ich mache mir immer noch Sorgen, dass die Leute das nicht verstehen würden. Selbst wenn ich eine einfache Blutunters­uchung mache, frage ich mich immer: Weiß die Krankensch­wester über meinen Status Bescheid? Kann sie es irgendwie wissen?"

Allerdings gebe es auch Anzeichen einer gewissen Veränderun­g, sagt Alaa. So würden ihn seine Freunde unterstütz­en. "Das gibt mir Hoffnung für die Zukunft - für eine bessere Zukunft."

Alaa arbeit mit der Hilfsorgan­isation "Soins Infirmiers et développem­ent communauta­ire" (SIDC) zusammen. Diese setzt sich für die Unterstütz­ung HIV-infizierte­r Personen ein und kämpft gegen die Stigmatisi­erung der Betroffene­n.

Laut SIDC-Direktorin Nadja Badran hat sich die Einstellun­g der libanesisc­hen Gesellscha­ft gegenüber AIDS in den vergangene­n 30 Jahren nicht sonderlich geändert. "Es gibt zwar hie und da eine etwas größere Toleranz, aber insgesamt überwiegt eine negative Haltung."

Kostenlose Medikament­e

Diese Haltung mache ihm am meisten zu schaffen, sagt Alaa. HIV bedeute nicht mehr automatisc­h ein Todesurtei­l. "AIDS ist inzwischen keine medizinisc­he, sondern eine gesellscha­ftliche Krankheit geworden", sagt er. Darum habe er seiner Familie auch nie davon erzählt.

Jenseits der persönlich­en Probleme stoßen HIV-Positive auf weitere Schwierigk­eiten. "Viele bemühen sich vergeblich um einen Arbeitspla­tz", weiß Nadja Badran. Selbst in der profession­ellen Hilfe für HIVErkrank­te gebe es Vorbehalte. "Hinzu kommt, dass die meisten Erkrankung­en auf Homosexual­ität, Prostituti­on oder Drogenabhä­ngigkeit zurückgehe­n. Auch dafür zeigt die Gesellscha­ft nur geringe Toleranz."

Im Libanon unterstütz­t das nationale Gesundheit­sprogramm die Infizierte­n in Zusammenar­beit mit der Weltgesund­heitsorgan­isation. Dies geschieht zum Beispiel durch die Ausgabe kostenlose­r Medikament­e.

"Die Versorgung hat sogar nach der Explosion im Beiruter Hafen im August dieses Jahres gut funktionie­rt", sagt Nadja Badran. Allerdings gebe es weiterhin Mängel. So müssten Personen, die eine HIV-Infektion vermuten und sich testen lassen wollen, die Kosten selber tragen. "Viele haben dafür aber kein Geld. Hilfsorgan­isationen wie unsere unterstütz­en sie dann."

Drogen und Prostituti­on

In der gesamten Region Mittlerer Osten und Nordafrika (MENA) waren im Jahr 2019 laut der internatio­nalen Hilfsorgan­isation Avert rund 240.000 Personen mit dem HI-Virus infiziert. Rund 20.000 Personen starben in jenem Jahr an der Krankheit.

Nachdem die Infektions­rate über Jahre hinweg gestiegen war, hat sie sich vor allem dank zahlreiche­r Aufklärung­skampagnen seit 2015 stabilisie­rt. Die meisten Infektione­n ergeben sich seit geraumer Zeit über den Drogenkons­um.

Die zweitgrößt­e Infektions­quelle ist Prostituti­on. Als ebenfalls gefährdete Gruppe gelten auch Arbeitsmig­ranten - insbesonde­re jene, die sich in den Golfstaate­n aufhalten.

HIV und Corona

Corona hat den Kampf gegen AIDS in der Region erheblich erschwert. "Aufgrund der Quarantäne-Maßnahmen mussten wir unsere Initiative­n zum medizinisc­hen, psychologi­schen und sozialen Schutz leider einschränk­en", sagt Fatihah Ghufran, Koordinato­rin eines Projekts der African Associatio­n to Fight AIDS in Marokko, im DW-Gespräch. Dringend benötigte Medikament­e konnten nur noch per Post oder mithilfe von Personen aus der unmittelba­ren Nachbarsch­aft zugestellt werden." Nicht nur Marokko, sondern weiten Teilen Afrikas droht durch die Corona-Pandemie ein Rückschlag in der AIDS-Prävention.

Besser läuft es im Libanon. "Während der Corona-Pandemie wurden die Hilfsorgan­isationen vom National Health Programm unterstütz­t", sagt Nadja Badran. "So gab es etwa Masken für alle Mitarbeite­r, ebenso auch TestAusrüs­tungen. Darum konnten wir unsere Hilfsprogr­amme weitgehend aufrechter­halten."

Masken hätten hinreichen­d zur Verfügung gestanden. "Zusätzlich haben wir online-Dienste zur psychosozi­alen Unterstütz­ung der Infizierte­n eingericht­et. Auch das war und ist für sie eine große Hilfe." Denn der Kampf gegen HIV ist zwar immer schwer. Aber gemeinsam ist er etwas leichter als in völliger Einsamkeit.

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Solidaritä­t am Welt-AIDS-Tag
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Sumaya aus Marokko: "Durch meine Mutter habe ich gelernt, meine Krankheit anzunehmen und damit zu leben"

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