„Kaule“-Darsteller treffen sich nach 57 Jahren wieder
In der DDR waren sie Personen, die man heute Kinderstars nennt. Die Dreharbeiten zum DEFA-Kinderfilm „Kaule“schweißten sie einst zusammen, dann verloren sie sich allerdings aus den Augen. Bis jetzt. Dabei erlebten sie einige Überraschungen.
SCHWERIN – Die Augen sind es, an denen man ihn wiedererkennt. „Das ist er, das ist Kaule“, raunt die ältere Dame im Schweriner Kino „Capitol“nicht wirklich leise ihrer Nachbarin zu. Hartmut Schwerdtfeger ist solche Reaktionen mittlerweile gewohnt: Seitdem der „Nordkurier“Anfang des Jahres für die DEFA-Stiftung im Osten Mecklenburg-Vorpommerns nach den Darstellern des Kinderfilms suchte, sind die Dreharbeiten im Sommer 1966 für den 69-jährigen Neustrelitzer plötzlich wieder sehr präsent.
Und seit einigen Tagen sind es nun auch zwei der drei anderen Kinderdarsteller: Karin Geister, die damals Asmus hieß und die Karola spielte, und UlfPeter Tannert, der Darsteller des Pjotr. Auch sie hatten sich auf den „Nordkurier“-Aufruf gemeldet und waren, wie Hartmut Schwerdtfeger von der DEFA-Stiftung, zum Filmkunstfest nach Schwerin eingeladen worden, wo „ihr“Streifen in digitalisierter Fassung wiederaufgeführt wurde.
Philip Zengel, Sprecher der DEFA-Stiftung, hat für die ungewöhnliche Suchaktion eine ganz einfache Erklärung: Die Kinderrollen seien damals mit Mädchen und Jungen aus Neubrandenburger und Neustrelitzer
Schulen besetzt worden. „Keiner ist später Schauspieler geworden, deshalb gab es auch keine anderen Ansatzpunkte für die Suche nach ihnen, als uns an die Öffentlichkeit zu wenden.“
Ulf-Peter Tannert kann sich noch gut an das Casting in der Oberschule 1 in Neubrandenburg erinnern: „Früher kam der Zahnarzt in die Schule und guckte sich da reihenweise Münder an. Dann kam wieder jemand und guckte uns an, ohne dass wir wussten, wozu. Einige bekamen daraufhin eine Einladung und mussten Gedichte aufsagen, und diejenigen, die das am besten konnten, wurden in den Filmstudios in Babelsberg noch mal angeschaut – da war dann auch klar, dass es um einen Film ging.“
Karola-Darstellerin Karin Geister, die wie die anderen Kinder damals in die 5. Klasse ging, wusste das offenbar schon früher. Sie erinnert sich daran, dass sich Regisseur Rainer Bär, dessen Debütfilm „Kaule“war, einfach mit in ihre Klasse setzte und die Kinder beobachtete.
Dann traf er eine Vorauswahl, und auch diese Kinder erlebten an ihrer Schule eine nächste und schließlich in Babelsberg eine letzte Casting-Runde. Zu Rainer Bär hatte Karin Geister später, als sie in Berlin studierte, übrigens noch einmal Kontakt: „Da suchten sie jemanden für einen ,Polizeiruf' – aber ich bin es dann letztlich nicht geworden.“
Wann die Kinderdarsteller zum letzten Mal Kontakt zueinander hatten, darüber müssen alle drei länger nachdenken. Auf jeden Fall war es bei der Premiere von „Kaule“im Mai 1967 im Berliner Filmtheater „Kosmos“– und etwas später noch einmal bei der Neubrandenburger und der Neustrelitzer Premiere.
In der Vier Tore Stadt waren dann auch die Mitschüler dabei, erinnert sich Karin Geister. Ulf-Peter Tannert weiß noch, wie stolz auch sein Klassenlehrer damals auf seine Leistung im Film war – da die Kinderdarsteller während der Dreharbeiten häufiger in der Schule fehlten, war das nicht unwichtig. Hartmut Schwerdtfeger erinnert sich noch daran, wie aufgeregt er war, als sie damals auf die Bühne gerufen wurden – „genauso wie jetzt“, gesteht er in Schwerin.
Nach der Filmpremiere 1967 ging erst einmal jeder seinen eigenen Weg, schloss die Schule ab, entschied sich für einen Beruf, gründete eine Familie... Die Kinderdarsteller von einst verloren sich aus den Augen, bis zum Wiedersehen jetzt in Schwerin nach 57 Jahren. Philip Zengel hat es am 1. Mai in der Lobby des Schweriner Intercity-Hotels miterlebt. „Das war wirklich rührend, da glitzerten auch ein paar Tränen“, verrät er.
Wenig später, bei der ersten von zwei im Laufe der Festivalwoche geplanten Filmvorführungen im Schweriner Festivalkino „Capitol“, ist diese Rührung dann aber verflogen. Dafür schwelgen die Endsechziger in Erinnerungen – auch wenn manche sich nicht sofort einstellt. „Weißt du noch, wo das war, in Warnow oder in
Triepkendorf?“, fragen sie sich immer wieder. Denn hier, zwischen Bützow und Sternberg, sind viele Szenen für „Kaule“gedreht worden.
Vieles fällt ihnen wieder ein, während sie sich den 80-minütigen Schwarzweiß-Film nach mehreren Jahrzehnten wieder ansehen. Zum Beispiel zu der Szene, in der sich die Ziege von Kaules Tante stranguliert – und in der Karola und Kaule, die mit dem Tier Zirkuskunststücke einüben wollten, bitterlich weinen. „Das lief alles ohne Hilfsmittel“, erinnert sich Hartmut Schwerdtfeger, der bis heute stolz darauf ist, dass die Szene nur ein einziges Mal gedreht werden musste.
Tolle Erinnerungen haben die drei Darsteller auch an die Filmstudios in Babelsberg, wo ebenfalls gedreht wurde. Frank Schöbel und Gojko Mitić haben sie damals unter anderem getroffen. „Denn zu der Zeit wurde auch gerade ,Chingachgook, die große Schlange' gedreht“, weiß Ulf-Peter Tannert noch ganz genau, und:
„Wir durften uns damals aus der Requisite Sachen für unsere Indianerszenen holen.“
Weniger Spaß gemacht hat das Nachsynchronisieren. Die Tonspur wurde damals noch einmal gesondert aufgenommen, nachdem der eigentliche Dreh abgeschlossen war. „Wir haben uns also den Film angeschaut und immer dann, wenn wir auf der Leinwand dran waren, etwas zu sagen, haben wird das noch mal extra eingesprochen“, erklärt Karin Geister, die schon seit Langem in NordrheinWestfalen lebt.
Nötig war das Nachsynchronisieren auch, weil Kazimierz Opalinski, der Darsteller des Vaters Pietsch, während des Drehs nur Polnisch gesprochen hatte. „Das hab’ ich natürlich nicht verstanden“, gesteht Hartmut Schwerdtfeger, „deshalb musste ich mir immer sein letztes Wort merken, um dann richtig einzusetzen.“
Noch viele Erinnerungen tauschen die drei Rentner aus – an die Dreharbeiten, aber auch generell an jene Zeit, die nun schon 57 Jahre zurückliegt. „Wir sind damals viel ins Kino gegangen“, sinniert Ulf-Peter Tannert, „das kostete bei uns in Neubrandenburg ja nur 30 Pfennige“. Fernseher gab es in den 1960er Jahren noch längst nicht in jedem Haushalt, und wie im Film hätten sie als Kinder viel mehr Zeit draußen verbracht, als das Zehn- oder Elfjährige heute tun.
Auseinander gehen sie schließlich mit einem Versprechen: Von nun an wollen sich Kaule, Karola und Pjotr jedes Jahr wiedersehen.