Horst Hano Er brachteden Leipziger Protest in die Wohnzimmerder DDR
Seine Berichte in der Tagesschau haben Leipzig 1989 weltweit bekannt gemacht. Und sie gaben der Friedlichen Revolution die Öffentlichkeit, die es brauchte, um zum republikweiten „Flächenbrand“zu werden. Für die Stasi war der ARD-Korrespondent Horst Hano hingegen ein „Agent“.
Er war erst seit zwei Monaten Korrespondent in Ostberlin, als Horst Hano (81) Anfang September 1989 zur Herbstmesse nach Leipzig reiste. „Die Leipziger Messen waren für West-Korrespondenten immer ein ,must‘, denn man hatte da die Möglichkeit, mal ohne Kontrolle mit den Menschen zu reden“, erzählt er.
Die DDR-Warengüterschau interessierte den TV-Journalisten an jenem 4. September 1989 allerdings herzlich wenig. „Ich bin mit meinem Team zur Nikolaikirche, wo an diesem Montag ja wieder das Friedensgebet stattfinden sollte“, erinnert sich Hano. In der Kirche durfte das ARD-Team allerdings nicht filmen. Hano: „Die Organisatoren wollten keine Kameras beim Gebet, sagten uns aber, es würde sich lohnen, draußen zu warten.“
Zunächst habe man die Sicherheitskräfte gefilmt, die dagegen auch nicht einschritten. Immerhin war Messe und die DDR wollte sich nach außen hin weltoffen und friedfertig zeigen. „Überall lungerten die Stasi-Leute rum. In ihren Stonewashed-Jeans und Blousons waren sie schon von weitem zu erkennen“, erzählt Hano.
Nach dem Friedensgebet strömten die Massen - es waren rund 1 000 Menschen - auf den Nikolaikirchhof. Plötzlich wurde das erste Transparent entrollt. „FÜR EIN OFFNES LAND MIT FREIEN MENSCHEN“. Zwei junge Frauen hielten es in den Händen. Kurz darauf ein zweites, drittes und viertes ... Und die ARD-Kamera fing alles ein.
Es dauerte nur wenige Sekunden, bis die Stasi-Leute die Transparente zu Boden rissen. Zum ersten Mal erklang auf dem Nikolaikirchhof der hundertfache Ruf „Stasi raus!“.
Welche historische Dimension diese Bilder haben würden, war Horst Hano damals noch nicht klar. „Wir hatten andere Probleme - der Film musste schnell raus zur Tagesschau, wir hatten nur noch eine halbe Stunde bis Redaktionsschluss.“
In einem zum Übertragungswagen umgebauten Wohnmobil schnitten die TV-Leute eiligst die Bilder zurecht. Um 20 Uhr war Hanos Bericht aus Leipzig der Aufmacher der Tagesschau. Zum ersten Mal hatten westliche Journalisten den Montagsprotest gefilmt, zum ersten Mal war die Stasi vor laufenden West-Kameras gegen Demonstranten eingeschritten.
Und Hano wurde Zeitzeuge einer weiteren wichtigen Entwicklung, die in der damaligen Berichterstattung jedoch etwas unterging. Denn während die Montagsproteste in Leipzig bis zum Sommer im wesentlichen von Ausreisewilligen geprägt waren, hallte an diesem 4. September dem „Wir wollen raus“erstmals auch klar ver
nehmbar ein „Wir bleiben hier“entgegen. „Ausreiser“und „Hierbleiber“, die aus ihrer Heimat DDR ein freies Land machen wollten, demonstrierten fortan gemeinsam.
Hanos Tagesschau-Bericht gilt heute als wichtiger Teil einer Initialzündung. Denn auch Millionen DDR-Bürger schauten die Nachrichten der ARD. So erfuhren sie, wie weit die Proteste in Leipzig mittlerweile gingen. Und dass es nicht, wie von den DDR-Staatsmedien in verunglimpfender Weise behauptet, „Rowdys“waren, die hier protestierten, sondern ganz normale Bürger.
Nach dem 4. September schwoll der Protest im Lande jedenfalls fühlund sichtbar an. Für Hano und die West-Korrespondenten in Ostberlin hatte die Berichterstattung von jenem Montag hingegen krasse Folgen. „Leipzig war danach für uns eine verbotene Stadt“, erinnert sich der ARD-Veteran. Selbst privat ließ man die West-Journalisten nicht mehr aus Berlin heraus. „Wir haben es einmal mit dem Auto von Freunden versucht, wurden aber schon an der Stadtgrenze Berlins angehalten und zur Rückkehr gezwungen.“
So blieb die Zeit bis zur entscheidenden Demo am 9. Oktober, die von zwei Berliner Dokumentarfilmern für die ARD heimlich vom Turm der Reformierten Kirche gefilmt wurde, ein „schwarzer Fleck“in der Berichterstattung.
Aus seiner 300 Seiten dicken Stasi-Akte erfuhr Hano später, dass er von den DDR-Behörden nicht als Journalist, sondern als Agent gesehen und täglich überwacht wurde. Operativ-Name: „Wotan“. „Dort steht so viel dummes Zeug drin, beispielsweise, dass ich angeblich immer bei Rot über die Straße gegangen sei, um nicht verfolgt werden zu können ...“Die Stasi sah darin tatsächlich einen Beleg für die vermeintliche Agententätigkeit von „Wotan“.
Für Horst Hano, der für die ARD auch als Korrespondent aus Spanien, Portugal, Skandinavien und London berichtete, war der Einsatz am 4. September in Leipzig einer der bewegendsten Momente seiner langen Reporter-Karriere. „Ich habe da erstmals gemerkt, dass hier viel mehr im Gange ist, als ich bislang ahnte.“Neun Montagsdemonstrationen später fiel die Mauer. Alexander Bischoff