Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Der König des Kakao
Vor der Westküste Afrikas liegen die Inseln São Tomé und Príncipe. Hier produziert Claudio Corallo die wohl beste Schokolade der Welt.
Pechschwarze Wolken bemützen die Felsnadeln in der Baia das Agulhas, Blitze zucken. Wie eine Zeichnung historischer Forschungsreisender wirkt dieses Panorama, wie eine Illustration aus dem Abenteuerroman „Die vergessene Welt“. Darin erzählt Sherlock-Holmes-Erfinder Arthur Conan Doyle die fantastische Geschichte einer Expedition, die in einem fernen Land Dinosaurier aufspürt. Sollten die Echsen aus der Urzeit tatsächlich irgendwo auf dem Globus überlebt haben, dann wohl hier, auf Príncipe, dieser Insel wie aus „Jurassic Park“.
Als mahnender Finger aus Vulkangestein reckt sich der Pico de Príncipe bis auf 947 Meter in die Höhe. Als Felsentürme und Tafelberge wachsen auch seine nicht minder spektakulären Nachbarn aus dem dampfenden Regenwald. An der Steilküste klatschen die Wellen an schwarze Lavabrocken. Doch in den Buchten leuchtet goldgelber Sand unter rauschenden Kokospalmen. Einmal an Land gegangen, entdeckt man die Kakaoplantagen aus der Kolonialzeit. Unter dem Blätterdach mächtiger Blattwurzelbäume wachsen jene historischen Sorten, die Claudio Corallo in die wohl beste Schokolade der Welt verwandelt.
São Tomé und Príncipe? Bislang kennen den 200.000-Einwohner-Winzstaat, gelegen westlich des afrikanischen Kontinents im Golf von Guinea, nur wenige Feinschmecker. Einst produzierten die beiden Inseln so viel Kakao wie kein anderes Land auf der Welt. 1975 kam die Unabhängigkeit. Weil es mit dem Kommunismus auch hier nicht klappte, verfielen die Plantagen. Heute ranken sich Lianen durch Maschinenhallen, Würgefeigen überwuchern die alten Wohnanlagen. Doch auf der Farm Terreiro Velho auf der Insel Príncipe ist der Dornröschenschlaf vorbei. Hier residiert Claudio Corallo, der König des Kakao.
Wer eine schicke Boutique erwartet, wird überrascht sein. „Auf Äußerlichkeiten gebe ich nicht viel“, grinst der sympathische Italiener, der Besucher in T-Shirt und Flip-Flops empfängt. Fenster hat sein historisches Herrenhaus schon lange keine mehr, auch das Dach ist inzwischen undicht. Doch Claudio Corallo hat sein Leben in Afrika verbracht, ist also hart im Nehmen. Im Alter von bald 70 Jahren verschwendet er auch keine Zeit an so etwas Unwichtiges wie Reparaturen.
Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang widmet er jede Minute erst den Kakaopflanzen auf seiner Plantage und dann der Weiterverarbeitung der geernteten reifen Schoten. Er ist ein Fanatiker, ein Mann mit einer Mission, aber einer mit Charme und Humor. Claudio Corallo treibt einen irren Aufwand, der sich am Ende aber auszahlt: Seine Schokolade schmeckt viel aromatischer und intensiver als alles, was man anderswo kosten kann.
Chocolatiers gibt es unzählige, doch nahezu alle kaufen sie ihren Rohstoff von Händlern. Auf Anbau, Ernte und Verarbeitung des Kakaos nehmen sie keinen Einfluss, sondern nutzen das fertige Produkt für Pralinen oder Tafeln. Doch Corallo baut seinen Kakao komplett selbst an. „Es sind jene alten Sorten, die vor 200 Jahren aus Brasilien eingeführt worden sind und anderswo längst nicht mehr wachsen.“Moderne Hybridsorten bringen zwar mehr Ertrag. „An den Geschmack der alten Sorten kommen die Neuzüchtungen aber nicht heran.“
Rot, gelb und orange leuchten die Schoten im dichten tropischen Grün, wenn sie geerntet werden. Das wochenlange Fermentieren der herausgelösten Bohnen, das behutsame Trocknen, das erst nach unzähligen Versuchen perfektionierte Rösten: Alles machen sie hier selbst und von Hand. Am Ende wird Bohne für Bohne auch ein winzig kleiner Trieb aussortiert, der für Fehlaromen sorgt. „Bitterkeit ist bei Schokolade immer ein Defekt“, sagt der Meister. „Wenn der Kakao gut ist, braucht man auch keine Vanille oder andere Zusatzstoffe.“Das unterscheidet Corallos Produkte von industriell hergestellten Produkten.
Schokolade mit 75, 80, gar 100 Prozent Kakao entsteht in Claudio Corallos Manufaktur, dazu Kreationen mit Ingwer, Orangenschalen, Meersalz und Pfeffer. Über einen Onlineshop werden die Delikatessen in der ganzen Welt vertrieben. Auch die Köche vor Ort sind
auf den Geschmack gekommen und experimentieren mit der Schokolade des Maestros. Die Lodge Praia Sundy serviert ein ganzes Schokoladenmenü – erst eine Tapenade aus zerstoßenen Kakaobohnen, Olivenöl,
Kapern und Sardellen, dann Gnocchi mit Oktopus und einer Paste aus 100 Prozent Kakao, und später Tagliatelle Bolognese, in die rohe Kakaostückchen gemixt worden sind.