Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Tief im Todenhöfer-Land
Zum 80. Geburtstag schenkt sich ein ehemaliger CDU-Abgeordneter eine eigene Partei. Bei der Bundestagswahl erhält sie in einem Viertel von Duisburg beinahe jede vierte Stimme. Was ist da los in Bruckhausen? Und was sagt Jürgen Todenhöfer eigentlich selbst
Wäre die Bundestagswahl nur überall so ausgegangen wie in Duisburg-Bruckhausen, sagt Jürgen Todenhöfer am Telefon, dann hätte er ja vielleicht Kanzler werden können. Er klingt ein wenig erschöpft an diesem Dienstag Anfang Oktober, gerade erst ist der 80-Jährige aus Afghanistan zurückgekehrt. Zwei Wochen, so erzählt er es stolz, verhandelte er dort mit den Taliban über die Freiheit einer Ortskraft, die nun endlich das Land habe verlassen können. Todenhöfer hat für diese Mission seinen eigenen Wahlkampfabschluss verpasst. Als am Abend des 26. September die ersten Prognosen im Fernsehen laufen und die Partei Team Todenhöfer bei einem halben Prozent landet, ist das Team in Berlin allein, ohne seinen Gründer. Sechs Tage später schreibt Todenhöfer auf Facebook: „Wir haben unsere Wahlziele nicht erreicht.“
Wer mit dem Bus dorthin fährt, wo Team Todenhöfer doch erfolgreich war, sieht rechts eine kleine Parkanlage und links die Kokerei von Thyssenkrupp. Hinter dem Grünstreifen liegt eine Siedlung, in der sich vor allem alte, marode Arbeiterhäuser aneinanderreihen. Wer hier wohnt, ist häufig ein Nachfahre türkischer Gastarbeiter, die in den 1960er-Jahren in den Stadtteil kamen. Heute leben in Bruckhausen rund 5500 Menschen. Der Ausländeranteil liegt bei 54 Prozent, noch einmal deutlich mehr Anwohner haben einen Migrationshintergrund.
Im Norden Bruckhausens liegt der Stimmbezirk 1001. 804 Menschen durften hier an der Bundestagswahl teilnehmen, aber nicht einmal jeder Dritte von ihnen hat das getan. Das zeigt sich auch bei einem Spaziergang durch das Viertel. Die Reaktion der wenigen Passanten ist meist gleich. Todenhöfer? Nie von dem gehört. So auch zwei Frauen, die sich auf Türkisch in einem Kiosk unterhalten. Die SPD habe hier mal was verteilt, sagt die eine. Sie hat keinen deutschen Pass und darf nicht wählen. Die andere durfte, hatte aber gar kein Interesse.
Doch hier in Bruckhausen, wo das politische Berlin ganz weit weg erscheint, hat Team Todenhöfer 22,9 Prozent der Stimmen geholt. Das reicht für den zweiten Platz – vor FDP, CDU, Grünen und AfD. Wie kann das sein?
Todenhöfer sagt, seine Partei sei keine Migranten-Partei, eher eine humanistische Bewegung. Die guten Ergebnisse in Vierteln mit großen muslimischen Communitys erklärt er sich so: „Alle Kriege der vergangenen 20 Jahre waren Kriege gegen Muslime. Und wir sind gegen diese Kriege.“Team Todenhöfer fordert unter anderem das sofortige Ende aller Auslandseinsätze der Bundeswehr und ein Verbot von Waffenexporten. Und eigentlich, so sagt er, hätte man bei der Bundestagswahl gute Chancen gehabt. Doch dann sei der Wahlkampf medial zu einem Kopfan-Kopf-Rennen zwischen Armin Laschet und Olaf Scholz erklärt worden. „Ein tödliches Argument für uns.“
Im Politikbetrieb gilt Todenhöfer bei vielen als Selbstdarsteller, als bizarre Figur und grauer Rebell. Immer wieder ist er mit kruden Positionen und Statements zu Israel aufgefallen. Für eines seiner Bücher besuchte Todenhöfer den Islamischen Staat und traf sich mit Syriens Diktator Baschar al-Assad. Den Gaza-Streifen bezeichnete er einst als „weltgrößtes Konzentrationslager“.
1970 tritt der Jurist Todenhöfer in die CDU ein. Schnell macht er Karriere, 1972 zieht er in den Bundestag ein. Dort vertritt er oft konservative Positionen und wird der rechten „Stahlhelm-Fraktion“um Alfred Dregger zugeordnet. SPD-Urgestein Herbert Wehner sagte mal über Todenhöfer: „Dieser Mann ist reif für die Nervenheilanstalt.“An seinem 80. Geburtstag tritt Todenhöfer im November 2020 aus der CDU aus und gründet vor dem Brandenburger Tor in Berlin das Team Todenhöfer. Dass ein ehemaliger CDU-Rechtsaußen
ausgerechnet im multiethnischen Bruckhausen so erfolgreich ist, mag nur auf den ersten Blick überraschen. Der 80-Jährige genießt vor allem in der muslimischen Community Kult-Status. Das liegt an seiner Kritik an den US-Interventionen in Afghanistan und dem Irak, aber wahrscheinlich auch an einer kolportierten Nähe zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Bei der Bundestagswahl 2017 wurde die mittlerweile in der Versenkung verschwundene Erdogan-nahe „Allianz Deutscher Demokraten“mit 31,8 Prozent die stärkste Partei im Bruckhausener Norden. Viele ihrer ehemaligen Wähler machten nun wohl ihr Kreuz bei Todenhöfer.
„Uns war bewusst, dass sich viele Menschen im Duisburger Norden eher mit uns identifizieren können“, sagt Kübra Arslan. Die 37-jährige Lehrerin ist Teamleiterin Duisburg bei Team Todenhöfer und kandidierte auf dem elften Platz der NRW-Landesliste. Mit dem Ruf als Partei der Muslime kann Arslan allerdings auch nicht viel anfangen. „Das ist unabhängig von Religion“, sagt sie. Das Parteiprogramm sei eben darauf ausgerichtet, die Ärmeren zu unterstützen, die besonders im Norden der Stadt leben. „Diese Leute sind interessiert daran, entlastet zu werden.“
In Duisburg holte die Partei stadtweit immerhin 1,7 Prozent, was auch bei weitem nicht für den Bundestagseinzug gereicht hätte. „Ich glaube nicht, dass die Erwartungshaltung in der Partei größer war“, sagt Arslan. Nun gehe es darum, weiter zu wachsen und neue Strukturen für die NRW-Landtagswahl im Mai zu schaffen. Auch der Name soll laut Arslan auf den Prüfstand kommen. „Das ist etwas, was nicht beibehalten werden soll“, sagt sie.
Im Wahlkampf hatte Todenhöfer auf den letzten Metern noch einen prominenten Verbündeten gefunden: Ex-Fußball-Nationalspieler Mesut Özil. Der postete eine Woche vor der Wahl auf Twitter ein Foto, das ihn zusammen mit Todenhöfer zeigt. Özil bezeichnete ihn dabei als Deutschlands mutigsten Politiker und sprach eine Wahlempfehlung aus. Heute sagt Todenhöfer, das Foto habe ihm weder geschadet noch genutzt. „Aber es wurde natürlich medial kaputt gemacht.“
Am Ende findet sich doch noch ein Wähler in Bruckhausen. Er lehnt im Eingang von „Aladdin’s Cafe“. Klar kenne er Todenhöfer, sagt Yener Karanfil und bittet herein. Drinnen erzählt der 41-Jährige bei einer Tasse Tee von „Spiegel-TV“-Dokus und dem Buch „Warum tötet Zaid?“, für das Todenhöfer durch den vom Krieg zerstörten Irak reiste. Das gute Ergebnis in Bruckhausen überrasche ihn nicht, sagt Karanfil. „Das war hier Gesprächsthema, einige haben ihn gewählt.“
Viele hätten den 80-Jährigen schon vorher gekannt, weil er Muslime unterstütze. Bei der Wahl im Jahr 2017 hatte Karanfil sein Kreuz noch bei der CDU gesetzt. „Die Mutti hat das gar nicht schlecht gemacht“, sagt er. Nun bei Team Todenhöfer. „Ich würde mich freuen, wenn der mal nach Duisburg kommt.“Dann, sagt Karanfil, will er ihn auf einen Tee einladen.