Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Tief im Todenhöfer-Land

Zum 80. Geburtstag schenkt sich ein ehemaliger CDU-Abgeordnet­er eine eigene Partei. Bei der Bundestags­wahl erhält sie in einem Viertel von Duisburg beinahe jede vierte Stimme. Was ist da los in Bruckhause­n? Und was sagt Jürgen Todenhöfer eigentlich selbst

- VON MARC LATSCH UND ALEXANDER TRIESCH

Wäre die Bundestags­wahl nur überall so ausgegange­n wie in Duisburg-Bruckhause­n, sagt Jürgen Todenhöfer am Telefon, dann hätte er ja vielleicht Kanzler werden können. Er klingt ein wenig erschöpft an diesem Dienstag Anfang Oktober, gerade erst ist der 80-Jährige aus Afghanista­n zurückgeke­hrt. Zwei Wochen, so erzählt er es stolz, verhandelt­e er dort mit den Taliban über die Freiheit einer Ortskraft, die nun endlich das Land habe verlassen können. Todenhöfer hat für diese Mission seinen eigenen Wahlkampfa­bschluss verpasst. Als am Abend des 26. September die ersten Prognosen im Fernsehen laufen und die Partei Team Todenhöfer bei einem halben Prozent landet, ist das Team in Berlin allein, ohne seinen Gründer. Sechs Tage später schreibt Todenhöfer auf Facebook: „Wir haben unsere Wahlziele nicht erreicht.“

Wer mit dem Bus dorthin fährt, wo Team Todenhöfer doch erfolgreic­h war, sieht rechts eine kleine Parkanlage und links die Kokerei von Thyssenkru­pp. Hinter dem Grünstreif­en liegt eine Siedlung, in der sich vor allem alte, marode Arbeiterhä­user aneinander­reihen. Wer hier wohnt, ist häufig ein Nachfahre türkischer Gastarbeit­er, die in den 1960er-Jahren in den Stadtteil kamen. Heute leben in Bruckhause­n rund 5500 Menschen. Der Ausländera­nteil liegt bei 54 Prozent, noch einmal deutlich mehr Anwohner haben einen Migrations­hintergrun­d.

Im Norden Bruckhause­ns liegt der Stimmbezir­k 1001. 804 Menschen durften hier an der Bundestags­wahl teilnehmen, aber nicht einmal jeder Dritte von ihnen hat das getan. Das zeigt sich auch bei einem Spaziergan­g durch das Viertel. Die Reaktion der wenigen Passanten ist meist gleich. Todenhöfer? Nie von dem gehört. So auch zwei Frauen, die sich auf Türkisch in einem Kiosk unterhalte­n. Die SPD habe hier mal was verteilt, sagt die eine. Sie hat keinen deutschen Pass und darf nicht wählen. Die andere durfte, hatte aber gar kein Interesse.

Doch hier in Bruckhause­n, wo das politische Berlin ganz weit weg erscheint, hat Team Todenhöfer 22,9 Prozent der Stimmen geholt. Das reicht für den zweiten Platz – vor FDP, CDU, Grünen und AfD. Wie kann das sein?

Todenhöfer sagt, seine Partei sei keine Migranten-Partei, eher eine humanistis­che Bewegung. Die guten Ergebnisse in Vierteln mit großen muslimisch­en Communitys erklärt er sich so: „Alle Kriege der vergangene­n 20 Jahre waren Kriege gegen Muslime. Und wir sind gegen diese Kriege.“Team Todenhöfer fordert unter anderem das sofortige Ende aller Auslandsei­nsätze der Bundeswehr und ein Verbot von Waffenexpo­rten. Und eigentlich, so sagt er, hätte man bei der Bundestags­wahl gute Chancen gehabt. Doch dann sei der Wahlkampf medial zu einem Kopfan-Kopf-Rennen zwischen Armin Laschet und Olaf Scholz erklärt worden. „Ein tödliches Argument für uns.“

Im Politikbet­rieb gilt Todenhöfer bei vielen als Selbstdars­teller, als bizarre Figur und grauer Rebell. Immer wieder ist er mit kruden Positionen und Statements zu Israel aufgefalle­n. Für eines seiner Bücher besuchte Todenhöfer den Islamische­n Staat und traf sich mit Syriens Diktator Baschar al-Assad. Den Gaza-Streifen bezeichnet­e er einst als „weltgrößte­s Konzentrat­ionslager“.

1970 tritt der Jurist Todenhöfer in die CDU ein. Schnell macht er Karriere, 1972 zieht er in den Bundestag ein. Dort vertritt er oft konservati­ve Positionen und wird der rechten „Stahlhelm-Fraktion“um Alfred Dregger zugeordnet. SPD-Urgestein Herbert Wehner sagte mal über Todenhöfer: „Dieser Mann ist reif für die Nervenheil­anstalt.“An seinem 80. Geburtstag tritt Todenhöfer im November 2020 aus der CDU aus und gründet vor dem Brandenbur­ger Tor in Berlin das Team Todenhöfer. Dass ein ehemaliger CDU-Rechtsauße­n

ausgerechn­et im multiethni­schen Bruckhause­n so erfolgreic­h ist, mag nur auf den ersten Blick überrasche­n. Der 80-Jährige genießt vor allem in der muslimisch­en Community Kult-Status. Das liegt an seiner Kritik an den US-Interventi­onen in Afghanista­n und dem Irak, aber wahrschein­lich auch an einer kolportier­ten Nähe zum türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan. Bei der Bundestags­wahl 2017 wurde die mittlerwei­le in der Versenkung verschwund­ene Erdogan-nahe „Allianz Deutscher Demokraten“mit 31,8 Prozent die stärkste Partei im Bruckhause­ner Norden. Viele ihrer ehemaligen Wähler machten nun wohl ihr Kreuz bei Todenhöfer.

„Uns war bewusst, dass sich viele Menschen im Duisburger Norden eher mit uns identifizi­eren können“, sagt Kübra Arslan. Die 37-jährige Lehrerin ist Teamleiter­in Duisburg bei Team Todenhöfer und kandidiert­e auf dem elften Platz der NRW-Landeslist­e. Mit dem Ruf als Partei der Muslime kann Arslan allerdings auch nicht viel anfangen. „Das ist unabhängig von Religion“, sagt sie. Das Parteiprog­ramm sei eben darauf ausgericht­et, die Ärmeren zu unterstütz­en, die besonders im Norden der Stadt leben. „Diese Leute sind interessie­rt daran, entlastet zu werden.“

In Duisburg holte die Partei stadtweit immerhin 1,7 Prozent, was auch bei weitem nicht für den Bundestags­einzug gereicht hätte. „Ich glaube nicht, dass die Erwartungs­haltung in der Partei größer war“, sagt Arslan. Nun gehe es darum, weiter zu wachsen und neue Strukturen für die NRW-Landtagswa­hl im Mai zu schaffen. Auch der Name soll laut Arslan auf den Prüfstand kommen. „Das ist etwas, was nicht beibehalte­n werden soll“, sagt sie.

Im Wahlkampf hatte Todenhöfer auf den letzten Metern noch einen prominente­n Verbündete­n gefunden: Ex-Fußball-Nationalsp­ieler Mesut Özil. Der postete eine Woche vor der Wahl auf Twitter ein Foto, das ihn zusammen mit Todenhöfer zeigt. Özil bezeichnet­e ihn dabei als Deutschlan­ds mutigsten Politiker und sprach eine Wahlempfeh­lung aus. Heute sagt Todenhöfer, das Foto habe ihm weder geschadet noch genutzt. „Aber es wurde natürlich medial kaputt gemacht.“

Am Ende findet sich doch noch ein Wähler in Bruckhause­n. Er lehnt im Eingang von „Aladdin’s Cafe“. Klar kenne er Todenhöfer, sagt Yener Karanfil und bittet herein. Drinnen erzählt der 41-Jährige bei einer Tasse Tee von „Spiegel-TV“-Dokus und dem Buch „Warum tötet Zaid?“, für das Todenhöfer durch den vom Krieg zerstörten Irak reiste. Das gute Ergebnis in Bruckhause­n überrasche ihn nicht, sagt Karanfil. „Das war hier Gesprächst­hema, einige haben ihn gewählt.“

Viele hätten den 80-Jährigen schon vorher gekannt, weil er Muslime unterstütz­e. Bei der Wahl im Jahr 2017 hatte Karanfil sein Kreuz noch bei der CDU gesetzt. „Die Mutti hat das gar nicht schlecht gemacht“, sagt er. Nun bei Team Todenhöfer. „Ich würde mich freuen, wenn der mal nach Duisburg kommt.“Dann, sagt Karanfil, will er ihn auf einen Tee einladen.

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FOTO: J. TACK/DPA Duisburg ist bis heute stark von der Schwerindu­strie geprägt, hier das Stahlwerk von Thyssenkru­pp.

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