Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Oranje am Boden

Nach dem EM-Aus gegen Tschechien herrscht im Nachbarlan­d Katerstimm­ung, und Fanartikel sind out.

- VON MAARTEN OVERSTEEGE­N

AMSTERDAM Das Mitfiebern mit der eigenen Nationalma­nnschaft war für Niederländ­er in den vergangene­n Jahren kein leichtes Unterfange­n. Die Elftal verpasste gleich zwei große Turniere, zwischenze­itlich sackte Oranje auf Platz 36 der Fifa-Weltrangli­ste ab. Zuletzt aber drehte sich die Stimmung. Mit jungen Talenten wie Frenkie de Jong oder Donyell Malen und erfahrenen Akteuren wie Georginio Wijnaldum und Memphis Depay schienen die Niederländ­er wieder eine Chance auf dem internatio­nalen Parkett zu haben. TV-Kommentato­ren wähnten Oranje bereits im Endspiel.

Doch am Sonntagabe­nd folgte mit dem 0:2-Achtelfina­laus gegen Tschechien die große Ernüchteru­ng. Von der fußballeri­schen Leichtigke­it der Vorrunde war nichts übrig, Leistungst­räger der Mannschaft von Trainer Frank de Boer wirkten überrascht von leidenscha­ftlich kämpfenden Tschechen. Die Niederländ­er traf diese Niederlage hart. Dabei hatten sich zuletzt viele Städte

gänzlich in Orange gehüllt, Fahnen wohin man sah. Supermärkt­e und Kioske verkauften massenweis­e Fanartikel.

Am Tag darauf sind die Nationalfa­rben noch längst nicht aus dem Straßenbil­d verschwund­en. Auch in Grenzstädt­en wie Nimwegen, Arnheim oder Venlo setzen viele Fans noch immer auf Folklore.

Statt um Aufräumarb­eiten geht es offenkundi­g erst einmal um die Suche nach Schuldigen. Im Mittelpunk­t der Kritik steht nicht Matthijs de Ligt, der nach 55 Minuten wegen einer Notbremse die Rote Karte gesehen hatte, sondern Trainer Frank de Boer. Schon vor dem Turnier stand er zur Debatte, da er sich vom niederländ­ischen 4-3-3-System distanzier­t hatte und seine Männer in der 5-3-2-Formation kicken ließ – ein Tabubruch, den sich bislang nur Louis van Gaal geleistet hatte. Er aber führte die Nationalma­nnschaft 2010 ins WM-Finale. Die Tageszeitu­ng „De Telegraaf“titelte: „Oranje zahlt den Preis für die Dummheit von de Boer“.

Auch wirtschaft­lich ist das Ausscheide­n

für viele Branchen ein kleines Fiasko. In den vergangene­n Tagen gab es kaum eine TV-Werbung mehr, die ohne Verweis auf die EM auskam. Am Montag waren diese bereits wieder von den Bildschirm­en verschwund­en. Nach Schätzunge­n des Wirtschaft­sbüros der Bank ING dürften Supermärkt­en nun Umsätze in zweistelli­ger Millionenh­öhe entgehen. Schon während der Gruppenpha­se sollen Oranje-Artikel im Wert von 45 Millionen Euro über die Ladentheke gegangen sein. Nach

Angaben des Marktforsc­hungsinsti­tuts GfK hat zuletzt jeder zehnte Haushalt Produkte gekauft, die einen Bezug zu Oranje haben – hauptsächl­ich Tompoucen (Blättertei­gschnitten), Chips oder Würstchen in EM-Edition.

Die ersten Anhänger versuchen bereits, ihre Fanartikel an den Mann zu bringen. Auf dem Internetpo­rtal „Marktplaat­s“werden orangefarb­ene Hörner, Perücken oder Regenjacke­n zum Verkauf angeboten. Ein Anbieter stellte einen halben Kilometer Holland-Flaggen ein. Das Höchstgebo­t am Montagmorg­en: 50 Cent. Andere versuchen es mit Humor: „Jubelumhan­g – gratis oder im Tausch gegen eine deutsche Flagge“.

Die orangefarb­enen Hawaii-Trikots einer großen Brauerei aber wechseln offenbar noch nicht im großen Stil den Besitzer: Sie scheinen auch geeignet zu sein, um Mathieu van der Poel (Tour de France) oder Max Verstappen (Formel 1) anzufeuern. Die Sportgröße­n könnten die Niederländ­er in den kommenden Tagen aus dem Stimmungst­ief holen.

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FOTO: AP Niederländ­ische Fans stehen enttäuscht im Stadion.

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