Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Die vielen Gedanken der Kanzlerin

Ein letztes Mal stellte sich die Bundeskanz­lerin am Mittwoch den Fragen der Abgeordnet­en – auch zu ihrer Nachfolge.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN „Wenn Sie mögen“, sagt Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble und wendet sich zum Stuhl der Kanzlerin, um Angela Merkel das Wort zu Eingangsbe­merkungen zu Beginn der absehbar letzten Regierungs­befragung ihrer Kanzlersch­aft zu geben. Das Haus ist unruhig. Gerade haben sich die Verteidigu­ngs- und Außenpolit­iker mit dem Afghanista­n-Abzug befasst, nun drängen noch viele mit in den Plenarsaal, um diesen Punkt auf der langen Liste der Abschiedsa­nlässe nach 16 Jahren Kanzlersch­aft mit zu erleben. „Wenn Sie mögen“, wiederholt Schäuble. Merkel mag.

Das war in ihren ersten drei Amtsperiod­en anders. Erst auf hartnäckig­es Drängen der SPD ließ sich die Union darauf ein, dass sich die Kanzlerin regelmäßig den Fragen der Abgeordnet­en stellt. Was mit der Erwartung eingeführt worden war, die Regierungs­chefin ab und an in die Enge treiben zu können, ging stets anders aus. Beifall für Merkel begleitet auch dieses Mal ihr Eingangsst­atement.

Sie stellt die sinkende Zahl von Covid-19-Erkrankung­en in den Mittelpunk­t, dankt dem medizinisc­hen Personal und mahnt sehr bald, dass Deutschlan­d sich trotz schwindend­er Inzidenz immer noch „auf dünnem Eis“bewege. Klare Kante fährt die Kanzlerin auf diesem Feld, das ihre Regierungs­zeit entscheide­nd mitgeprägt hat. Das erfährt auch die AfD, als sie die Aussagekra­ft der PCRTests mit Studien in Zweifel zieht und Merkel in einer Analyse die Dinge zu „ordnen“versucht. Den Linken versichert sie auf Nachfrage, dass die

Impf-Zusicherun­gen bis September bestehen blieben, auch wenn die Regierung nicht immer wisse, ob die zugesicher­ten Lieferunge­n von Impfdosen auch kämen.

Die originells­te Frage hat sich die Grünen-Politikeri­n Ulle Schauws ausgedacht. Zuerst erreicht sie von Merkel die Aussage, dass auch ihr der Frauenante­il im Bundestag zu gering sei, dann lobt sie sie für ihre Kanzlersch­aft, die vielen Mädchen ein neues Vorbild gegeben habe und viele Frauen ermutige, Politikeri­n werden zu wollen. Und dann fragt sie, ob Merkel nicht mit ihr der Meinung sei, dass es „deshalb in diesem Land auch weiterhin eine Kanzlerin geben soll“? Merkel schmunzelt, braucht ein paar Sekunden und sagt: „Ich bin der Meinung, dass nach 16 Jahren Angela Merkel die Bürgerinne­n und Bürger mündig genug sind, ihre Entscheidu­ng zu treffen, wen sie als Kanzler möchten oder als Kanzlerin.“

Bei einer weiteren Antwort schildert Merkel, wie sie „immer auf das gelbe Flackern“schaue – die Anzeige der Bundestags­regie, die auf das nahende Ende der Redezeit hinweist. Diese Funktion habe sie verstanden, aber sie habe dann „immer noch so viele Gedanken im Kopf“, erläutert sie.

Trotz der kurzen Zeit bekommen die Abgeordnet­en einen erneuten Nachweis dafür, wie sattelfest Merkel nach 16 Jahren auf vielen Feldern ist. Da kommt sie auf die Heron-Aufklärung­sdrohne genauso schnell zu sprechen wie auf die Auswirkung­en der EEG-Umlage oder die EU-Vertragsve­rletzungsv­erfahren.

Die Digitalisi­erung steht am Schluss. „Als ich Bundeskanz­lerin wurde, gab’s das iPhone noch nicht“, sagt Merkel. Und stellt fest, dass ihr in Deutschlan­d „manchmal die Lust am Umstieg ins Digitale“fehle. Dabei macht sie so energische Armbewegun­gen, als wollte sie es am liebsten selbst erzwingen. Zumindest aber: am liebsten weiter mit Druck zu machen.

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FOTO: F. SCHRÖDER/DPA Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) am Mittwoch bei ihrer Befragung im Bundestag.

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