Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Die vielen Gedanken der Kanzlerin
Ein letztes Mal stellte sich die Bundeskanzlerin am Mittwoch den Fragen der Abgeordneten – auch zu ihrer Nachfolge.
BERLIN „Wenn Sie mögen“, sagt Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und wendet sich zum Stuhl der Kanzlerin, um Angela Merkel das Wort zu Eingangsbemerkungen zu Beginn der absehbar letzten Regierungsbefragung ihrer Kanzlerschaft zu geben. Das Haus ist unruhig. Gerade haben sich die Verteidigungs- und Außenpolitiker mit dem Afghanistan-Abzug befasst, nun drängen noch viele mit in den Plenarsaal, um diesen Punkt auf der langen Liste der Abschiedsanlässe nach 16 Jahren Kanzlerschaft mit zu erleben. „Wenn Sie mögen“, wiederholt Schäuble. Merkel mag.
Das war in ihren ersten drei Amtsperioden anders. Erst auf hartnäckiges Drängen der SPD ließ sich die Union darauf ein, dass sich die Kanzlerin regelmäßig den Fragen der Abgeordneten stellt. Was mit der Erwartung eingeführt worden war, die Regierungschefin ab und an in die Enge treiben zu können, ging stets anders aus. Beifall für Merkel begleitet auch dieses Mal ihr Eingangsstatement.
Sie stellt die sinkende Zahl von Covid-19-Erkrankungen in den Mittelpunkt, dankt dem medizinischen Personal und mahnt sehr bald, dass Deutschland sich trotz schwindender Inzidenz immer noch „auf dünnem Eis“bewege. Klare Kante fährt die Kanzlerin auf diesem Feld, das ihre Regierungszeit entscheidend mitgeprägt hat. Das erfährt auch die AfD, als sie die Aussagekraft der PCRTests mit Studien in Zweifel zieht und Merkel in einer Analyse die Dinge zu „ordnen“versucht. Den Linken versichert sie auf Nachfrage, dass die
Impf-Zusicherungen bis September bestehen blieben, auch wenn die Regierung nicht immer wisse, ob die zugesicherten Lieferungen von Impfdosen auch kämen.
Die originellste Frage hat sich die Grünen-Politikerin Ulle Schauws ausgedacht. Zuerst erreicht sie von Merkel die Aussage, dass auch ihr der Frauenanteil im Bundestag zu gering sei, dann lobt sie sie für ihre Kanzlerschaft, die vielen Mädchen ein neues Vorbild gegeben habe und viele Frauen ermutige, Politikerin werden zu wollen. Und dann fragt sie, ob Merkel nicht mit ihr der Meinung sei, dass es „deshalb in diesem Land auch weiterhin eine Kanzlerin geben soll“? Merkel schmunzelt, braucht ein paar Sekunden und sagt: „Ich bin der Meinung, dass nach 16 Jahren Angela Merkel die Bürgerinnen und Bürger mündig genug sind, ihre Entscheidung zu treffen, wen sie als Kanzler möchten oder als Kanzlerin.“
Bei einer weiteren Antwort schildert Merkel, wie sie „immer auf das gelbe Flackern“schaue – die Anzeige der Bundestagsregie, die auf das nahende Ende der Redezeit hinweist. Diese Funktion habe sie verstanden, aber sie habe dann „immer noch so viele Gedanken im Kopf“, erläutert sie.
Trotz der kurzen Zeit bekommen die Abgeordneten einen erneuten Nachweis dafür, wie sattelfest Merkel nach 16 Jahren auf vielen Feldern ist. Da kommt sie auf die Heron-Aufklärungsdrohne genauso schnell zu sprechen wie auf die Auswirkungen der EEG-Umlage oder die EU-Vertragsverletzungsverfahren.
Die Digitalisierung steht am Schluss. „Als ich Bundeskanzlerin wurde, gab’s das iPhone noch nicht“, sagt Merkel. Und stellt fest, dass ihr in Deutschland „manchmal die Lust am Umstieg ins Digitale“fehle. Dabei macht sie so energische Armbewegungen, als wollte sie es am liebsten selbst erzwingen. Zumindest aber: am liebsten weiter mit Druck zu machen.