Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
Die Dystopie eines Optimisten
Der Kölner Bestsellerautor Frank Schätzing hat einen neuen Thriller geschrieben – allerdings einen direkt aus unserem Leben. In seinem Sachbuch geht es um die katastrophalen Folgen eines ungebremsten Klimawandels.
KÖLN Frank Schätzing hat einen neuen Thriller geschrieben. Diesmal aber einen echten, also einen aus dem wirklichen Leben: Darin geht es um nicht weniger als um die Zukunft unserer Welt und um einen Klimawandel, den man inzwischen getrost als Klimakatastrophe bezeichnen kann. Wir sind also Teil dieses Thrillers, und das macht ihn besonders nervenaufreibend: Denn während man einen literarischen Thriller am Ende einfach zuklappen und sich anderen Dingen zuwenden kann, muss diesmal das Buch unweigerlich und bedrohlich offen bleiben.
„Was, wenn wir einfach die Welt retten?“heißt der Titel des neuen Sachbuchs, den so umständlich und flapsig nur jemand wie Frank Schätzing wählen kann. Schließlich muss er sich mit mehr als 8,4 Millionen verkauften und weltweit verbreiteten Büchern um entsprechende Aufmerksamkeit nicht mehr allzu große Sorgen machen.
Aber warum nun ein Sachbuch, wenn auch ein gutes recherchiertes? Diese Frage hat sich auch der 63-jährige Kölner gestellt. Als Romanschreiber habe er keine Botschaften, erzählt uns Frank Schätzing. „Ich mag persönlich keine Romane, die mir mit dem Holzhammer eine Message verkaufen wollen. Klimaschutz ist ein tolles Thriller-Sujet, kein Zweifel, aber das Thema schien mir zu wichtig, um es zu fiktionalisieren. Darum ein Sachbuch.“Das sich freilich wie ein Thriller liest und nach seinen Worten nichts beschönigen, dafür fesseln und vor allem Optionen aufzeigen soll.
Und der Zeitdruck ist immens. Spätestens nach 2015 hätte man konsequent handeln müssen, so Schätzing. Stattdessen verschleppten die Länder das Thema – allen voran Deutschland. „Die Welt hat weiter auf Turbowachstum gesetzt, als gäb’s kein Morgen.“
Schätzing schreibt im Präsens und mit einem ausgeprägten Sinn für Dramatik, die sich kein Wissenschaftler so leisten könnte. Also konzipiert er mittendrin eine Klimakatastrophen-Serie mit Staffel eins bis sieben und unterschiedlichen Szenarien bis zum Jahr 2100.
Das ist – typisch Schätzing – alles sehr anschaulich: wie erst die Gletscher verschwinden und dann die Flüsse versiegen, wie das Amazonas-Gebiet zur Savanne wird, Nordafrika versteppt und Berlins Durchschnittstemperatur im Sommer auf 45 Grad Celsius steigt. Erst leiden zwei Milliarden Menschen an Durst und Hunger, dann – wir sind schon in Staffel sieben –, sinkt die Weltbevölkerung. Es kommt zum ökologischen und ökonomischen Zusammenbruch, zu Kriegen, zum Ende der Zivilisation. Schade, sagt Schätzing, dass die Menschen nicht früher aus dieser Staffel ausgestiegen sind. Doch die Pointe ist: Dieses „Drehbuch“beruht darauf, was der Weltklimarat für den Fall voraussagt, wenn wir weitermachen wie bisher.
Vielleicht sind wir auch deshalb so träge im Klimaschutz, weil der Wandel noch immer so abstrakt zu sein scheint. Anders als die Coronavirus-Pandemie. Aber ausgerechnet sie könnte uns auch helfen. Denn unsere Erfahrung bislang war, dass Seuchen vor allem in armen Ländern ausbrachen. „Corona hat den Horror in unser Land getragen. Kein Platz auf der Welt ist sicher, Wohlstand schützt uns kaum. Plötzlich wird aus Statistik echtes Leben, rückt, was weit weg war, nah heran. Wir stellen Verbindungen her: Pandemie, Klimawandel, Massentierhaltung, soziale Ungerechtigkeit, häusliche Gewalt, alles ergibt ein Bild. So bekommt auch der Klimawandel langsam ein Gesicht“, sagt Schätzing. Allerdings sei Corona zwar eine weltweite, aber doch vorübergehende Katastrophe. Der Klimawandel hingegen könnte „die weltweite, ultimative Katastrophe sein“.
Was uns seiner Meinung nach unter anderem fehlt, ist das ikonische Bild zum Klimawandel: „Ein einziges Foto sagt uns unmissverständlich: Krieg. Ein anderes sagt: Flutkatastrophe. Ein drittes: Hunger. Aber Klimawandel zeigt sich in 1000 interpretationsoffenen Symptomen. Wir können uns nicht vorstellen, was es heißt, in einer drei Grad wärmeren
Welt zu leben. Was ich allerdings auch gelernt habe: wie vielfältig unsere Optionen sind!“
Bei allem ist Frank Schätzing ein Optimist geblieben. Er setzt auf den mündigen Bürger, eine verantwortungsbereite Wirtschaft und auf eine handlungsfähige und -willige Politik. „Es liegt in unserer Hand“, sagt uns der Autor. Das ist ein kleiner Satz, hinter dem eine große Aufgabe steht.
Die haben vor der Pandemie die Demonstranten der „Fridays for Future“-Bewegung schon einmal angefangen. „Man muss den jungen Menschen danken, dass sie diese Bewegung in Gang gesetzt haben. Ohne ‚Fridays for Future’ wären wir heute weniger weit.“Allerdings bräuchte die Bewegung nach seinen Worten auch den Rückhalt aus der Mitte der Gesellschaft. „Alt-JungFronten müssen abgebaut werden. ‚Fridays for Future’ müssen sich zur Weltklimabewegung ausweiten, unabhängig von Alter, sozialer Schicht, Ethnie, Nationalität. Jeder, der etwas zum Klimaschutz beitragen und durch sein Verhalten Druck auf Politik und Wirtschaft ausüben will, soll sich dort zu Hause fühlen.“
Warum? Damit am Ende aus unserem Thriller doch noch ein Krimi wird. Denn ein Thriller, erzählt Schätzing, beginnt mit der sogenannten heilen Welt, bis etwas Schreckliches einbricht. Dagegen ist es beim Krimi so: „Am Anfang steht die Eskalation, dann wird Ordnung in die Sache gebracht.“Es bleibt die Erkenntnis: Ob Krimi und Thriller, immer sind wir die Hauptakteure.