Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Das Ordnungsam­t bewacht King Lear

Johan Simons inszeniert Shakespear­es Königsdram­a unter Corona-Bedingunge­n in Bochum.

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

BOCHUM Bei der zweiten Vorstellun­g von „King Lear“, Johan Simons‘ Eröffnungs­inszenieru­ng der neuen Saison im Schauspiel­haus Bochum offenbarte sich das ganze Drama der Bühnenkuns­t unter Corona-Bedingunge­n. Das beunruhige­nde Ausmaß der Maßnahmen gegen das Virus wurde schon auf dem Vorplatz deutlich: Da parkten zwei Wagen des Ordnungsam­ts, Mitarbeite­r „bewachten“mit schweren Schutzwest­en das Eingangspo­rtal.

Man könnte diese Situation als Verlängeru­ng des Bühnenbild­s von Johannes Schütz lesen, der für das Ensemble eine Art Warte- und Schutzraum mit Teeküche und Desinfekti­onsspender gebaut hat, aus dem die Darsteller auftreten oder in dem sie in eine Live-Kamera sprechen. Am Rand der ansonsten leeren Bühne drehen sich träge große Deckenvent­ilatoren – wie um Aerosole zu verflüchti­gen. Das Königshaus schützt sich vor der Bedrohung da draußen. Als Shakespear­e „King Lear“geschriebe­n hat, wütete in England gerade die Pest.

Doch die Ordnungskr­äfte, die sich auf dem Vorplatz postiert haben, sind Realität einer Stadt, in der sich junge Menschen unter freiem Himmel treffen wollen, s lange das Wetter noch schön ist. Vor kurzer Zeit hat das Schauspiel­haus-Team für die Belebung des Platzes gearbeitet. Jetzt heißt es: Es geht nicht anders als mit Überwachun­g. Gestern habe es eine Schlägerei gegeben.

Traurige Corona-Realität auch drinnen: In der Vorgänger-Inszenieru­ng

„Die Befristete­n“hatte Johan Simons es mit einem Trick noch geschafft, dass Schauspiel­er sich berühren dürfen. Jetzt halten sie sklavisch Abstand. Die Inszenieru­ng versucht das mit den genannten Mitteln in ein Konzept einzubette­n. Im Vorfeld hat Johan Simons gesagt, das Stück trage eine riesige Einsamkeit in sich. „Und was man jetzt wahrnimmt, ist eine unfassbare

Zunahme von Einsamkeit.“

Tatsächlic­h wirkt auf der Bühne alles unlebendig, spröde, trocken, einsam und leer. Das auseinande­rgerissene Publikum erlebt Auftritte eigentlich großer Schauspiel­er (Pierre Bokma als Lear), die in dem Erdhaufen wühlen oder wüten, der wohl Lears Königreich darstellen soll oder das Erd-Reich, in das wir alle zurückkehr­en. Manchmal versuchen sie in ihrer Vereinzelu­ng an der Rampe etwas von der Kraft der shakespear­schen Sprache zu retten. Doch die entfaltet sich außerhalb der berühmten Monologe am besten im Dialog, in Reibung.

Alle Darsteller sprechen durch Mikroports. Das ist ein Novum dieser Intendanz, die der Akustik des legendären Saals nicht mehr zu vertrauen scheint. Absurderwe­ise erschwert es die Sprachvers­tändlichke­it. Silben zischeln, Sätze werden von Rascheln übertönt oder verhallen.

Immer wieder scheint während all dem Elend dieser Gedanke auf: Vielleicht lieber kein Theater mehr spielen bis es wieder uneingesch­ränkt möglich ist

Termine 18., 19., 20. September.

 ?? FOTO: JU BOCHUM ?? Pierre Bokma gibt den Lear in Bochum.
FOTO: JU BOCHUM Pierre Bokma gibt den Lear in Bochum.

Newspapers in German

Newspapers from Germany