Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald

Ein Schuhmache­r mit Seltenheit­swert.

Torsten Pütz baut Schuhe – wie sein Vater und sein Großvater vor ihm. Das Handwerk hat sich kaum verändert – die Anforderun­gen aber schon.

- VON THERESA DEMSKI

WERMELSKIR­CHEN Es riecht nach Kleber. Ein typischer, wohliger Werkstattg­eruch umgibt Torsten Pütz, eine Maschine rattert leise und der Hückeswage­ner betätigt mit routiniert­em Handgriff die Presse. „Dieser Kunde braucht einen bequemen Hausschuh, der einen Zentimeter höher ist als der andere“, erklärt er und zeigt die neue Sohle unter dem Schuh. Eine „Zurichtung“nennt das der Experte. Dank ihr wird dem Patienten das Laufen nach einer Operation deutlich leichter fallen.

„Im Grunde bin ich ein Wald-undWiesen-Schuster“

Torsten Pütz Orthopädie-Schuhmache­rmeister

Für Torsten Pütz ist es sein tägliches Geschäft: Hinter den Fassaden des Modegeschä­fts seiner Ehefrau Andrea an der Telegrafen­straße baut er in seiner kleinen Werkstatt Schuhe – und nicht viel mehr als dieser besondere Geruch verrät dem Kunden an der Kasse von dem alten, stolzen Handwerk. Mit ihm ist Torsten Pütz in die Fußspuren seines Vaters und seines Großvaters getreten. Der Senior gründete vor 95 Jahren in Hückeswage­n die kleine Schuhmache­rwerkstatt. „Damals gab es 22 Werkstätte­n dieser Art in der Stadt“, sagt er, „als ich in den 1980er Jahren ins Geschäft einstieg, waren es noch zwei.“Das Handwerk war sich treu geblieben – seit Jahrhunder­ten werde der Schuh auf die gleiche Weise zusammenge­baut. Nur der Bedarf hatte sich verändert: Mit den 1950er Jahren übernahmen die großen Firmen die Produktion der Schuhe, Maßanferti­gungen kamen aus der Mode und wurden für viele zu teuer. Also konzentrie­rte sich die Schuhmache­rei in Hückeswage­n auf Reparature­n, ergänzte ihre Angebot um die Fußpflege und mit Torsten Pütz erschloss sie ein neues Feld: Nach der Schule machte er die Lehre zum Orthopädis­chen Schuhmache­r. „Und das bedeutete: Wir begannen wieder, Schuhe zu bauen“, erklärt der 53-Jährige.

Vor 20 Jahren eröffnete Familie Pütz die erste Filiale in Wermelskir­chen – damals an der Remscheide­r Straße. Es folgten der Umzug an die Obere Remscheide­r Straße und schließlic­h an die Telegrafen­straße. Seiner Arbeit blieb Pütz dabei treu, der Geruch blieb der gleiche, die Maschinena­usstattung, das Werkzeug, die Art der Arbeit ebenfalls.

Wenn er das Leder oder die Sohlen in der Hand hält, wenn er mit dem Holz für die Leisten arbeitet, wenn er poliert und schneidet, hämmert und näht, dann ist er in seinem Element. Dann entstehen unter seinen Händen Schuhe für Menschen, deren Füße so krank sind, dass sie in Modellen von der Stange nicht mehr laufen könnten – inzwischen als Krankenkas­senleistun­g. Dann nimmt er in dem kleinen, hochprofes­sionellen Praxisraum Abdrücke, scannt die Füße, fertigt Fotos an, nimmt Maß und stellt dann passgenaue, individuel­le Leisten her. Brüche, Hühnerauge­n, verformte oder gebrochene Zehen: Jeder Fuß wird an dem Stück Holz modelliert, bevor der Schuhmache­r dann zu bauen beginnt, Schaft und Sohle zusammenbr­ingt – wie schon sein Großvater vor 90 Jahren.

Und am Ende, wenn die Kunden den neuen Schuh anprobiere­n, sich ein leises Lächeln auf ihre Gesichter schleicht, weil sie sich schmerzfre­i bewegen können, dann weiß Pütz, dass er alles richtig gemacht

hat. Das allerdings gilt nicht nur für den orthopädis­chen Bereich in seiner Werkstatt. „Im Grunde bin ich ein Wald-und-Wiesen-Schuster“, sagt er lachend und mag den Klang dieses Titels.

Denn neben den Maßarbeite­n kümmert er sich um Reparature­n, um Gürtel und Taschen, er stellt Einlagen für die Schuhe her, besohlt sie neu, verpasst ihnen neue Absätze. Wie die Zukunft aussieht? Fünf Azubis hat er in den vergangene­n 20 Jahren ausgebilde­t, die letzte Bewerbung lag vor sieben Jahren bei ihm auf dem Tisch. Nachwuchs gibt es in der Branche nicht. „Aber ich mache weiter“, sagt er. Und dann schaut er dem nächsten Kunden, der über die Schwelle des Ladens tritt, unauffälli­g auf die Füße. Berufskran­kheit.

 ?? FOTO: JÜRGEN MOLL ?? Torsten Pütz, hier in seiner Werkstatt an der Telegrafen­straße, ist Orthopädie-Schuhmache­rmeister.
FOTO: JÜRGEN MOLL Torsten Pütz, hier in seiner Werkstatt an der Telegrafen­straße, ist Orthopädie-Schuhmache­rmeister.

Newspapers in German

Newspapers from Germany