Bergische Morgenpost Wermelskirchen/Hückeswagen/Radevormwald
„Die Groko braucht einen neuen Geist“
Der CSU-Chef erklärt, warum ihm das Verhältnis zu Frankreich Sorgen macht und warum er eine europäische Armee will. Und warum er glaubt, dass die Regierung in Berlin fürs Erste hält.
MÜNCHEN Ministerpräsident Markus Söder bittet die Gäste in ein riesengroßes und verglastes Arbeitszimmer in der bayerischen Staatskanzlei am Englischen Garten in München. Mitten im Raum steht eine vergoldete Löwenskulptur. Auch das Sofa hat Löwenfüße. Der CSU-Mann trinkt seinen Kaffee aus einer Spiderman-Tasse. Neben dem Spinnenmann steht darauf die Frage:„Spinne oder Mann?“Das möchten wir dann auch gern wissen. Und noch einiges mehr.
Herr Ministerpräsident, schöne Tasse. Was sind Sie von diesen beiden Varianten – die Spinne im Netz oder der echte Mann?
SÖDER Ich habe als Kind gern Marvel-Comics gelesen. Und heute freue ich mich, dass meine Jungs diese Leidenschaft teilen. Spiderman ist eine schöne Geschichte von dem einfachen Jungen, der Großes zustande bringt. In der Politik arbeiten wir aber ohne Netz und doppeltem Boden.
Womit wir gleich bei Österreich wären. Sind Sie von dem Ausmaß der Korruptionsbereitschaft der FPÖ überrascht?
SÖDER DieWucht ist groß, aber nicht überraschend. Eine Zusammenarbeit mit Rechtspopulisten ist nirgendwo sinnvoll. Denn das Denken solcher Rechtspopulisten ist, dass sich der Staat deren Interessen unterzuordnen hat und deren Politik vor dem Recht rangiert und nicht umgekehrt. Neuwahlen als Konsequenz sind absolut richtig.
Wird die Affäre um die FPÖ Einfluss auf die Chancen der rechten Parteien bei der Europawahl am Sonntag haben?
SÖDER Natürlich werden jetzt deren Funktionäre eine Dolchstoßlegende konstruieren wollen. Wir müssen klarmachen: Stimmen für Rechtspopulisten sind verschenkt. Sie wollen Europa regierungsunfähig machen, es lähmen und schwächen; sie wollen die Demokratie und Parlamente blockieren. Und dann wollen sie davon profitieren, indem sie sich als Retter aufspielen. Das ist ein historisch bekanntes destruktives Konzept. Deshalb der klare Appell vor allem an jene, die im Zweifel sind: Wir müssen uns dagegen wehren.
Was muss denn in Europa anders werden?
SÖDER Innerhalb der EU fehlt manchmal der Respekt gerade vor den kleinen Ländern. Wir Deutsche sollten nicht ständig kleinere Länder belehren, sondern sie besser mitnehmen und verstehen. Dazu gehört ein besserer Austausch vor Ort – wie es früher war. Vom großen Tisch in Brüssel aus kann man nicht immer die ganze EU verstehen. Unter Freunden besucht man sich gegenseitig auch einmal zu Hause. Das war auch das Prinzip von Helmut Kohl und Franz Josef Strauß. Das will ich als CSU-Vorsitzender wieder beleben.
Haben die Freunde Frankreich und Deutschland einander zuletzt zu wenig besucht?
SÖDER Das deutsch-französische Verhältnis macht mir Sorge. Das Grundverständnis, dass die EU nur dann funktioniert, wenn Deutschland und Frankreich gemeinsam handeln, scheint in Paris skeptischer betrachtet zu werden. Ich würde mich freuen, wenn es wieder mehr Gemeinsamkeit gäbe. Das heißt aber nicht, dass wir jeden Vorschlag aus Paris euphorisch aufnehmen müssen. Am Ende müssen beide Partner überzeugt sein, und dazu braucht es Kompromisse. Bei allen Schwächen der großen Koalition hat Deutschland die größte innere und wirtschaftliche Stabilität innerhalb Europas. Frankreich hat sich deutlich verbessert, aber diskutiert noch immer zwischen Rechtsextremen und Gelbwesten. Es fehlt dort eine starke bürgerliche Mitte wie die CDU/CSU. Ich hoffe, dass Frankreich und Deutschland nach der Wahl gemeinsam Manfred Weber vorschlagen.
Was noch zum Beispiel?
SÖDER Es wäre ein wichtiges Signal, wenn wir in den nächsten Jahren wirklich europäische Streitkräfte bekämen. Unsere Sicherheit lässt sich nur gesamteuropäisch denken.Warum sollte eine europäische Verteidigungsstrategie nicht von einem europäischen Verteidigungskommissar gestaltet werden? Wir sollten keine halben Sachen machen, sondern langfristig ein eigenständiges europäischesVerteidigungskontingent, eine Cyberbrigade und eine europäische Satellitenabwehr-Strategie auf den Weg bringen.
War es richtig, dass die Bundeskanzlerin in Deutschland nur einen einzigen Wahlkampfauftritt für die Union vor der Europawahl absolviert?
SÖDER Sie machtWahlkampf.Wobei ihr eigentlicher Einsatz für die EVP erst nach der Wahl losgeht. In dem dann zu erwartenden europäischen Personenpoker ist sie sicherlich unsere stärkste Fürsprecherin.
Aber nach der Wahl könnte die Bundesregierung schon auseinandergebrochen sein, sagen Mitglie
der der Koalition.
SÖDER Das glaube ich nicht. Die Regierung wird halten, weil es keine konstruktiven Alternativen gibt. Jedes Mal, wenn sich Parteien aus innerparteilichen Beweggründen aus einer Regierungsverantwortung verabschieden, kehren sie dahin nie mehr zurück. Man sollte sich keinen Vorteil beim Wähler erhoffen, wenn man sich vor der Verantwortung drückt.
Nach der Europawahl wird die SPD-Justizministerin nach Brüssel gehen. Der Posten muss neu besetzt werden. Ist auch ein neues Gesicht der Union zu erwarten? SÖDER Ich sehe dafür derzeit keinerlei Anlass.
Sie haben mit der CDU schon einmal die Ressorts Innen und Verteidigung getauscht.
SÖDER Für die CSU-Ministerien gibt es keinerlei Anlass zu Veränderungen. Neue Köpfe allein helfen der Groko nicht, es braucht einen neuen Geist.
Worin könnte der sich ausdrücken?
SÖDER In neuer Inspiration, statt sich parteipolitisch in immer kleineren Karos zu verlieren. Wir könnten den kompletten Soli-Abbau jetzt angehen. Er wird am Ende ohnehin für alle kommen. Denn fast alle Juristen gehen davon aus, dass ein nur 90-prozentiger Abbau des Solidaritätszuschlags verfassungswidrig ist. Fällt der Zweck weg, muss die Abgabe fallen, und natürlich für alle. Außerdem müssen wir die Prioritäten ändern: Wir geben noch viel zu wenig für Innovationen aus. Wenn wir da nicht schleunigst zulegen, dann geht es uns wie im Fußball: schöne Spiele in der Bundesliga, aber kein Erfolg in der Champions League.
Sie selbst haben eine erstaunliche Wandlung durchgemacht: vom Anti-Grünen zum entschlossenen Beschützer der Bienen. Haben die Grünen ihren Schrecken für die CSU verloren?
SÖDER Umweltschutz haben die Grünen nicht gepachtet. Wir hatten in Bayern schon ein Umweltministerium, bevor es die Grünen gab. Wir wollen jetzt in Bayern eine Modellregion für Artenschutz und Landwirtschaft werden. Jedes Jahr soll es 60.000 Hektar mehr an ökologischer Bewirtschaftung geben, und wir investieren national am meisten in eine nachhaltige Agrarökologie. Artenschutz ist auch eine Aufgabe für Berlin. Gerade die Agrarfabriken im Norden und Osten Deutschlands müssen ökologischer werden, damit die Artenvielfalt eine Chance hat. Bei den Grünen macht mir indes Sorge, dass sie mit dem vermeintlich philosophisch anmutenden Robert Habeck Verbindungen nach ganz links knüpfen wollen. Auch er hat große Sympathien für Enteignungen wie Herr Kühnert. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass es Ideen gibt, ein linkes grün-rot-rotes Bündnis zu schmieden.
KRISTINA DUNZ UND GREGOR MAYNTZ FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.