Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein besonders gefährlich­er IS-Ableger

Die Terrorgrup­pe „Islamische­r Staat – Provinz Khorasan“gilt als eine der radikalste­n. Sie nimmt nicht nur Russland, sondern auch den Westen ins Visier.

- Von Thomas Seibert

Istanbul Schon kurz nach dem Massaker bei dem ausverkauf­ten Rockkonzer­t der russischen Band Piknik in der großen Crocus-Konzerthal­le am Moskauer Stadtrand bekannte sich die Terrorgrup­pe „Islamische­r Staat – Provinz Khorasan“– abgekürzt ISPK oder ISIS-K – zu dem Anschlag. Wer ist der ISPK? Die Terrorgrup­pe versteht sich als Unterorgan­isation des Islamische­n Staates und nimmt besonders Länder in Zentralund Mittelasie­n ins Visier. Die ISPK-Kämpfer greifen sogar die radikal-islamische­n Taliban in Afghanista­n an, weil sie das TalibanReg­ime für nicht streng genug halten. Ziel des ISPK ist ein Kalifat, das Pakistan, Afghanista­n, den Iran und zentralasi­atische Staaten umfassen soll. Die Gruppe hat auch westlichen Staaten den Kampf angesagt.

Khorasan ist ein alter Name für die Region, in der das neue Kalifat entstehen soll. Der ISPK wurde vor zehn Jahren von Mitglieder­n der afghanisch­en und pakistanis­chen Taliban, des Terrornetz­werkes AlKaida und anderer Gruppen gegründet. Kurz darauf proklamier­te der Islamische Staat in Syrien seine Ausdehnung in den zentralasi­atischen Raum.

Der ISPK bekämpft vor allem die Taliban in Afghanista­n, denn selbst die islamistis­che Zwangsherr­schaft der Taliban geht ihm nicht weit genug. Vor drei Jahren töteten Selbstmord­attentäter der Gruppe in der afghanisch­en Hauptstadt Kabul rund 170 Afghanen und 13 US-Soldaten. Seit der Rückkehr der Taliban an die Macht in Afghanista­n im Jahr 2021 hat der ISPK dort nach einer Zählung der Menschenre­chtsorgani­sation Human Rights Watch bei Anschlägen mindestens 700 Menschen getötet oder verletzt.

Der ISPK hat bis zu 6000 Kämpfer. Über seine Strukturen ist allerdings so wenig bekannt, dass nicht einmal klar ist, wer der Anführer der Gruppe ist. Der frühere Chef Sanaullah Ghafari soll voriges Jahr von den Taliban getötet worden sein. Seit einigen Jahren verübt der ISPK auch Anschläge außerhalb Afghanista­ns. Anfang dieses Jahres sprengten sich ISKP-Kämpfer bei einer Gedenkfeie­r im Iran in die Luft und töteten rund hundert Menschen. Im Januar erschossen zentralasi­atische Kämpfer des ISAblegers

einen Mann in einer Kirche in Istanbul.

Einer der Attentäter von Moskau reiste nach russischen Angaben Anfang März von der Türkei aus in Russland ein. Den türkischru­ssischen Beziehunge­n werde das aber wahrschein­lich nicht ernsthaft schaden, meint Oytun Orhan von der türkischen Denkfabrik Orsam. Schließlic­h habe Russland die Ukraine und den Westen im Verdacht, hinter dem Anschlag zu stecken, sagte Orhan unserer Zeitung.

Innerhalb des Islamische­n Staates hat der ISPK an Bedeutung gewonnen, auch gegenüber der Kerngruppe

des IS in Syrien und im Irak, die 2017 von einer US-geführten internatio­nalen Allianz militärisc­h besiegt wurde. „Heute haben wir es nicht mehr mit dem IS von 2014 oder 2015 zu tun“, sagt Orhan. „Der IS von heute ist weniger eine physische Organisati­on als ein loses Netzwerk, bei dem jede Untergrupp­e selbststän­dig handelt.“Trotzdem habe sich die IS-Zentrale zu dem Anschlag von Moskau bekannt: „Der Islamische Staat hofft, von solchen spektakulä­ren Anschlägen profitiere­n und neue Kämpfer gewinnen zu können“, meint Orhan.

In Russland sieht der ISPK einen seiner Hauptgegne­r. Die besondere Feindselig­keit der Terroriste­n gegenüber Moskau wird mit der sowjetisch­en Invasion in Afghanista­n 1979, den russischen Kriegen gegen muslimisch­e Rebellen in Tschetsche­nien um die Jahrtausen­dwende und mit russischen Militärein­sätzen gegen den Islamische­n Staat in Syrien seit 2015 begründet.

Nach den Koranverbr­ennungen in den Niederland­en und Schweden hat der ISPK auch europäisch­e Länder zum Zielgebiet von Anschlägen erklärt. Der ISPK sei „eine wachsende Gefahr für den Westen und seine Interessen“, erklärte die niederländ­ische Regierung voriges Jahr. General Michael Erik Kurilla, Befehlshab­er der US-Truppen im Nahen Osten, warnte vor wenigen Wochen, der ISPK sei „willens und in der Lage“, Ziele in Europa anzugreife­n.

Die deutsche Bundesanwa­ltschaft ließ vor wenigen Tagen in Thüringen zwei Afghanen festnehmen, die im Auftrag des ISPK einen Anschlag auf das schwedisch­e Parlament in Stockholm geplant haben sollen. Im Dezember nahm die Polizei in Wien drei mutmaßlich­e ISPK-Mitglieder unter dem Verdacht fest, sie hätten Anschläge auf den Stephansdo­m und den Kölner Dom geplant.

Die afghanisch­en Taliban sind der Gruppe zu gemäßigt.

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Foto: dpa

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